VOLKER HAMANN
PERFORMANCE

Performance ist überall.
Der Begriff von Performance aus der bildenden Kunst ist umfassender als der elaborierte Kunstbegriff des euro-amerikanischen Kunstbetriebs. Meine eigene Definition ist noch weiter gefaßt, als diese, aber auch nur eine unter anderen möglichen.(1) "Weit gefaßt" heißt nicht, "das Durchschnittliche regiert" sondern es kann qualitativ zugespitzt werden.

Permanente Performance Konferenz

1. Zur Dimension des ständigen Vorgangs

Die Permanente Performance Konferenz selbst kann Extended Performance sein. Sie ist gleichzeitig ein gegenwärtiges Integrationswerkzeug, eine Form und ein Vorgang, mehrerer Erscheinungsebenen von Performance.

Hier sind nur ein paar Ebenen zusammengestellt um die mögliche Bandbreite der Konferenz deutlich zu machen:

A "Life"-Performances, ausgeführt oder in Performern angelegt (Primäre Ebene)

B Direkte Konferenz (2)
(Primäre Meta-Ebene)

Realisiert:
z.B. erste Konferenz im Belgischen Haus l995.
z.B. ständige Performance Events der Ultimate Akademie.
z.B. andere Beiträge die zum Bewußtsein der Konferenz beitragen.

Konzeptuell:
Global jede direkte interne Kommunikation, Selbstorganisation und direkte gemeinsame selbstreflexive Aktion von Performern.

3. Dokumentation und Öffentlichkeit
(Die heute noch übliche sekundäre Ebene)

4. Internet- indirekte Konferenz (3)
(kann für alle oben genannten Ebenen instrumentalisiert werden, kann aber auch
digital primäre Ebene sein.)

5. Eternal Network: philosophische Ebene
(instrumentalisieren = Eigentor)

Die Kategorien bleiben im Fluß, die Verschiedenheit der Standpunkte der Beteiligten ist ein wertvoller Beitrag. Eine dogmatische Konferenz isoliert sich, die künstlerischen Konkurrenzängste müssen bearbeitbar bleiben, eine parasitäre, durch einen Einzelnen oder eine Gruppe aufgesetzte Struktur könnte zwar kurzfristig wie ein Erfolg aussehen, wäre aber ein dauernder Schaden für das vorhandene, dichte Potential.

Unterstützen könnte ich, vielleicht bald sogar durch Mitarbeit, die Entwicklung zu einer offenen Struktur, die durch viele Autoren (kollektives Copyright) gesteuert ein transpersonelles Eigenleben beginnt und als Aufgabe annimmt, ein Angebot für Alle zu sein ohne in Durchschnittlichkeit zu versinken. Geburtshilfe und direkte Konferenzen in Köln, getragen von den Selbstorganisationen der Performer, ansonsten ein Angebot für Alle.

Zur (kunst)historischen Bedeutung (Längsschnitt):

Die Konferenz, JETZT für einige Jahre durchgeführt, könnte die angemessene Fortsetzung dessen sein, was in Köln Ende der 50er Jahre begann, zeitgenössische Kunst auf globalem (damals "internationalem") Niveau, die ihre Wurzeln in lokalen Sümpfen nicht abschneidet.

Zur globalen Bedeutung (Querschnitt):

Die Verbindungen der Künstler untereinander sind nun tatsächlich global. Das Internet repräsentiert aber nur einen indirekten Ausschnitt der direkten Beziehungen und ein Feld in dem direkte und indirekte Beziehungen initiiert und dokumentiert werden können.

Den Teilnehmern sollten die Chance gelassen werden, die in solchen Fällen üblichen Annahmen als Irrtümer erkennen zu können.

Die Annahme, dort würden alle Performances der Welt oder "die wichtigsten" veröffentlicht und vertreten sein (4). Die wichtigste Performance findet immer gerade dort um die Ecke im Trivialen statt, wo wir sie nicht vermuten.

Die Annahme, digitaler Pragmatismus sei weniger ideologisch als Anderes (5). Im Gegenteil, man merkt nur nicht, wie selektiv man handelt und wahrnimmt.

Die Liste läßt sich erweitern. Es lassen sich für die Konferenz Konsequenzen daraus ziehen: Organisation, Handlungen, Struktur, kommuniziertes Bewußtsein.

Permanente Performance Konferenz und Internet

Nachfolgende Sätze dienen nicht dazu, etwas zu verteufeln, daß wir besser benutzen sollten, wenn es wirklich sinnvoll ist. Aber es gibt bestimmte Erfahrungen und Beobachtungen, die außer vielen Benutzern auch Neill Postman oder Clifford Stoll gemacht haben, die man durchaus bedenken könnte, statt dem von Geschäftemachern verbreiteten Bewußtsein auf den Leim zu gehen.

1. Computer und Netzwerke allein machen die Gesellschaft nicht besser. Keine soziale Frage ist alleine durch Einsatz von Technik lösbar.

2. Der Überfluß an Information KANN den eigenen Wahrnehmungs- , Denk- und Handlungsprozess zersetzen, so wie Lärm auf einer einfacheren Ebene den Hörnerv schädigt und damit das Verstehen musikalischer Strukturen zerstört. Die volle Bedeutung dieses Zersetzens wird nur denjenigen klar, die das Medium intensiv genutzt haben und die schwer beschreibbaren Veränderungen kennen.

Massenmanipulation ist mit dem technischen Instrumentarium im Prinzip wieder leichter durchführbar geworden. Viele Informationen sind für menschliche Problemlösungen überflüssig, vielmehr verstopfen sie mehr oder weniger unerträglich die dazu nötigen direkten sinnlichen Wahrnehmungs-Kanäle.

Die Verheißung einer grenzenlosen Freiheit der Imagination unterschlägt die Imaginationsfeindlichkeit des Mediums. Statt Informationsangebot brauchen wir Informationsschutz, statt wachsender Archive müßten wir individuell steuerbare Informationsvermeidung entwickeln, wie wir sie für die Industrieverpackung im Haushalt anstreben. Die informationelle Umweltverschmutzung übertrifft die übrige bei weitem, wird aber immernoch als "Verbesserung" verkauft. Unsere Gehirne werden zu leeren Hallen ausgestopft mit zusammenhangslosen, nach digitaler Codierung wertlos gewordenen Dateien.

4. Wo das Internet eine quantitative Steigerung der Kommunikation erlaubt, verflacht die Kommunikation seltsamerweise leicht zur sinnlosen, kurzlebigen, unproduktiven, unzugänglichen Oberflächlichkeit.

Erwartungen, die audiovisuelle Prägnanz der Information liefere auch eine neue Qualität, werden enttäuscht, manche verplempern allerdings viel Lebenszeit bis zur Einsicht: Im Cyberspace gibt es keine Offroad-Trips und keine Grenzdurchbrüche für den User (es sei denn, er gehört zu den armen Socken, die den Einbruch in einen fremden Computer als Durchbruch fürs Leben feiern muß). Alles ist vorcodiert, wir bewegen uns nur noch in einer Simulation auf der Basis vorgegebener Codes. Wie wir mit dem Computer den Gesprächstherapeuten simulieren können, so können wir uns auch eine unendlich flexible Archivstruktur vorgaukeln, die dennoch unbemerkt eine hierarchische Konditionierung unseres Denken bewirkt. Wir können dem Netz nicht wirklich unser eigenes Programm aufzwingen, wir können seine Funktion nicht radikal ändern, wir haben nicht mehr sondern weniger Macht als im Primären.

Es ist dennoch angebracht, die Möglichkeiten für eine angemessene Nutzung des Netzes auszuloten.

Fußnoten

1 Auch wenn sich schließlich sogar in der euro-amerikanischen Kunstwelt ein Begriff wie Performance herausgebildet hat, gibt es in anderen Kulturen schon lange ein Verständnis von Vorgängen die teilweise analog sind zu dem, was wir als Performance bezeichnen.
Unser Ethno- oder Eurozentrismus verhindert es, daß wir sehen, wie begrenzt wir darin sind, fremde Codes in ihrem Kontext so zu verstehen, daß wir Analogien zu unseren Codes ziehen können. So bleiben in der verengten Wahrnehmung des deutschen Galeristenverbandes bis heute die Höhlenmalerei "keine Kunst" und die Tafelbilder der Aboriginees rangieren unter "Ethnokitsch".

2 Direkt: Kommunikation in direkter sinnlicher Verbindung (ursprünglich analog, ohne technische Medien)

3 Indirekt: Kommunikation ohne direkte sinnliche Verbindung, über technische Medien (vowiegend digital)

4 Wie bei konvetionellen Dokumentationen (z.B. Büchern) wird der Effekt eintreten, daß das im Medium dokumentierte als "Auswahl des Wichtigsten" gilt, während das Undokumentierte als "Entwertetes" behandelt wird. Das Eine wird in die öffentliche Geschichte eingehen, das Andere vergessen. Das sichert aber auch Denjenigen ihre Ruhe, die im Vergessen Wesentlicheres bearbeiten.

5 In den künstlerischen Netzwerken der 70er und 80er Jahre, die sich schon als "global" betrachteten, gab es eine merkwürdige Ignoranz der Tatsache gegenüber, daß 90% der Teilnehmer "middle-class, männlich, weiß, Amerikaner oder Europäer" waren.
Die "Welt", das war das beschränkte Vermögen des eigenen Geistes, über den Rand seiner Schüssel zu schauen. Das diesbezügliche Bewußtsein hat sich bis heute nur graduell geändert:
50 Kröten monatlich für den Internet Anschluß abgedrückt,
50 Kröten in irgendeinem Zusammenhang pro Jahr für die "arme Dritte Welt" - aber niemand dort kennen und keinen Zusammenhang sehen.

(Volker Hamann)

VOLKER HAMANN
(erweiterte Fassung des vorher aufgeführten Beitrages PERFORMANCE)

Glücklicherweise ist gerade in Köln nicht zu erwarten, daß eine verbindliche Definition von Performance entwickelt wird. Meine Texte sind also nur eine von vielen möglichen Bestandsaufnahmen. Werden Operationen nötig, schärfe ich meine von manchen Leuten als zu offen und relativistisch empfundenen Standpunkte gerne zu einem Set schnittiger Skalpelle.

Volker Hamann 96

Performance ist überall

Hier geht es um "ARTPERFORMANCE".
In der bildenden Kunst ist der Begriff von Performance umfassender als der elaborierte Begriff im euro-amerikanischen Kunstbetrieb.

Ich habe bewußt geschrieben "Performance ist überall" und nicht "Alles um einen herum ist Performance." Treffende Performance ist nämlich seltener als es scheint. Sie findet vielleicht öfter dort statt, wo sie nicht so genannt wird und der etablierte Kunstbetrieb, der Performance - Experte sie nicht vermuten.

In diesem (vielleicht etwas buddhistischen) Sinne geschieht sie einfach.
Nicht aber wie das Wetter, sondern als künstlerische menschliche Präsenz in einer Arbeit (und sei es die Arbeit des "Nicht tun"), die über sich selbst hinaus weist (ob als Traum, als Utopie oder ...)

1. Wer durch eine Performance verändert ist, hat bewußt oder unbewußt eine eigene Definition von Performance. Nimmt man die ganzen, sich teilweise extrem widersprechenden Definitionen der Performer und ihrer Rezipienten als Möglichkeiten für Performances, dann ist Performance überall.

Genauer gesagt: Wer nicht hinter den begründet erweiterten Kunstbegriff (Beuys und Andere) zurückfallen will, kann Performance heute als ein überall in verschiedenen kulturellen Situationen mögliches Geschehen begreifen, zu dem es in verschiedenen Kulturen mehr oder weniger spezifische Bewußtseins-Kontexte gibt, wobei die westliche nur eine der möglichen Varianten ist (1). Wie in einer bestimmten kulturellen Situation mit einem bestimmten kulturellen Anspruch das Denken über Performance zugespitzt wird, kann dann an verschiedenen Orten der Welt mit verschiedenen Personen verschieden sein.

2. Die Bedeutung, die Materie (Dinge, Lebewesen) und Energie (Handlungen, Feinstoffliches, Mentales) in einer Performance transportieren oder erlangen, kann überall weiter wirken, wo diese Bestandteile wieder auftauchen. Performance ist überall. Seit Beuys haben alte Kinderbadewannen an Charme gewonnen und niemand kann irgendwo auf der Welt in ähnlicher Weise wie Abramovic/Ulay (2) an einem polierten Tisch sitzen, ohne potentiell deren Arbeit zu berühren. Selbst wenn niemand dabei ist, der den Zusammenhang erkennt, könnte er sich später herstellen.

Performance definieren

Begriffe wie "Kunst" oder ,,Performance" müssen weder dogmatisch zugespitzt noch dogmatisch verallgemeinert werden. Die Klarheit dieser Begriffswerkzeuge ergibt sich daraus, daß Menschen ihren Lebens- und Bewußtseinszusammenhang auf Kontext-Ebenen (z.B. eigener Körper/ eigene Kultur/ globale Situation) definieren können.

Kaum etwas ist weniger beliebig, als die eigene Wahrnehmung des Kontextes eines gemeinten (geistigen) Gegenstands. Sie ist von unserem Lebensinteresse nicht zu trennen. Beschreiben wir den Kontext, wird deutlich, warum wir etwas in unserer individuell und kulturell konditionierten Weise sehen. Welche Kontexte relevant sind, hängt mit dem Anspruch der Arbeit zusammen:

Wer Familie, Freund und Freundin als Zuschauer beim Anzünden der eigenen Kopfhaare braucht, hat einen anderen Anspruch als Zbigniew Warpechowski (3), der eine ähnliche Handlung bewußt im Kontext eines bestimmten, international bedeutenden Kunstraumes vollzieht. Und es ist nichtmal ein Anspruch besser oder berechtigter als der andere.

Die Begriffe sind in Bezug auf einen uns bewußter werdenden globalen Kontext in der jeweiligen kulturellen Situation (einer bestimmten Kultur oder Mischungen davon) klärbar und können dann zugesspitzt werden - sofern man das braucht. Eine Performance kann ja auch ohne Theorieballast entstehen, aus dem Denken und Machen, aus Intuition, aus Dasein.

Und was zeigen Performer bewußt oder unbewußt auf dieser Basis? Fast unvermeidlich Hinweise auf ein (Welt-)Bild. Wobei es ein gefährlicher Kurzschluß ist, das präsentierte bewegte Bild mit einer direkten Aussage über den Performer zu verwechseln.

Trotz der Präsenz der Performer bleibt es möglich, daß - wie in der Malerei und anderen bildenden Künsten - Gezeigtes oder sogar Vollzogenes (zum Beispiel das immer wieder diskutierte Töten von Tieren) ein vom Performer initiiertes Image produzieren, das abgetrennt von ihm im Bewußtsein Anderer weiter existiert.

Es gibt in der Geschichte der Performance eine Vielzahl intelligent kalkulierter Tabuverletzungen, die den Unterschied zwischen Bild und lebendigem Bezeichnetem bearbeiten. Das in diese Richtung hochentwickelte Bewußtsein ist einer der fundamentalsten Beiträge der Performer zur zeitgenössischen Kunst (4).

Dimensionen der Permanenten Performance Konferenz

Die Permanente Performance Konferenz selbst kann Extended Performance sein. Sie kann gleichzeitig ein immer wieder auf eine neue gegenwärtige Situation bezogenes Orientierungs- und Integrationswerkzeug sein. Sie ist gleichzeitig Form und Vorgang auf mehreren Erscheinungs-Ebenen von Performance.

1. Situation

a) Kunsthistorisch (Längsschnitt):

Die Konferenz, JETZT für einige Jahre durchgeführt, könnte die angemessene Fortsetzung dessen sein, was in Köln Ende der 50er Jahre begann: Zeitgenössische Kunst auf globalem (damals "internationalem") Niveau, die ihre Wurzeln in lokalen Sümpfen nicht abschneidet.

b) Global (Querschnitt):

Die Verbindungen der Künstler untereinander sind nun tatsächlich global. Das Internet repräsentiert aber nur einen indirekten Ausschnitt der direkten Beziehungen und ein Feld in dem direkte und indirekte Beziehungen initiiert und dokumentiert werden können.
2. Ebenen

a) "Life"-Performances, ausgeführt oder in Performern angelegt = Primäre Ebene

b) Direkte Konferenz (5) = Primäre Meta-Ebene

Realisiert:
z.B. erste Konferenz im Belgischen Haus 1995
z.B. ständige Performance Events der Ultimate Akademie
z.B. andere Beiträge die zum Bewußtsein der Konferenz beitragen

Konzeptuell: Global jede direkte interne Kommunikation, Selbstorganisation und direkte gemeinsame selbstreflexive Aktion von Performern

c) Schrift/Bild/Relikt Dokumentation und Öffentlichkeit = heute noch übliche sekundäre analoge Ebene

d)
Internet: Indirekte Konferenz = kann für alle oben genannten Ebenen instrumentalisiert werden, kann aber auch digital primäre Ebene sein oder die heute noch übliche sekundäre analoge Dokumentations- und Öffentlichkeitsebene bis zu einem bestimmten Grad zunehmend ersetzen

e)
Eternal Network (7)= metaphysische Ebene. Instrumentalisieren zerstört die eigene Arbeit. Aber sich philosophisch drüber streiten, das geht gut.

3. Hindernisse, Vorschläge für Übereinkünfte:

Eine dogmatische Konferenz isoliert sich. Die Kategorien der Konferenz bleiben im Fluß, die Verschiedenheit der Standpunkte der Beteiligten ist ein wertvoller Beitrag .

Teilnehmern, die mit vorgefertigten Vorstellungen beteiligt sein wollen, sollte die Chance gelassen werden, ihre Irrtümer zu erkennen:

Die (unbewußte) Vorstellung, man könne der Konferenz seine eigene Struktur aufsetzen. Das ist schon mehrfach ganz praktisch zurückgewiesen worden. Wenn es jemand (Einzelner oder Gruppe) gelänge, sich die Konferenz in dieser From unterzuordnen, könnte das zwar kurzfristig wie ein Erfolg aussehen, wäre aber ein dauernder Schaden für das vorhandene dichte Potential.

Die Vorstellung, man müsse sich gut verkaufen und für´s Berühmtwerden alles tun, losgelöst von Inhalten. Siehe oben.

Die Vorstellung, auf der Konferenz würden alle Performances der Welt oder "die wichtigsten" veröffentlicht und vertreten sein (8). Die wichtigste Performance findet immer gerade um die Ecke unerwartet im Trivialen statt.
Die Vorstellung, digitaler Pragmatismus sei weniger ideologisch als Anderes (9). Im Gegenteil, man merkt nur nicht, wie selektiv man handelt und wahrnimmt.

Die Vorstellung, man bräuchte sich der Arbeit Anderer nicht stellen und könne die eigene ohne Rücksicht auf Verluste durchdrücken. Die eigene Arbeit kann so extrem und egomanisch sein wie sie will, irgendwann kommt der Punkt, wo sie die Auseinandersetzung mit der Arbeit Anderer verbessert.
Künstlerische Konkurenzängste müssen bearbeitbar bleiben.

Die Liste läßt sich kürzen und erweitern. Es lassen sich für die Konferenz Konsequenzen daraus ziehen: Organisation, Handlungen, Struktur, kommuniziertes Bewußtsein.

Ich möchte die Entwicklung zu einer offenen Struktur unterstützen, die durch viele Autoren (kollektives Copyright) gesteuert ein transpersonales Eigenleben beginnt und als Aufgabe annimmt, ein Angebot für Alle zu sein, ohne in Durchschnittlichkeit zu versinken. Geburtshilfe und direkte Konferenzen in Köln, getragen von den Selbstorganisationen der Performer, im Übrigen ein Angebot an Alle, die sich konsequent mit Performance beschäftigen (wollen).

Performance interkulturell.

Es gibt in verschiedenen Kulturen Phänomene, die als analog zu westlicher Performance gelten können. Die üblichen Hindernisse, sie überhaupt als gleichwertig wahrzunehmen sind folgende:

1. Ethnozentrismus
In der ethnozentrischen Weltsicht erscheint die eigene Gruppe als das Zentrum aller Dinge. Alle Anderen werden im Hinblick auf sie eingestuft und bewertet (10). Diese bevorzugte Wahrnehmung der Eigengruppe ist ein notwendiges Moment für deren Selbstbehauptung innerhalb ihrer soziokulturellen Umwelt. Ethnozentrisches Denken kann als universales Phänomen gesehen werden.

Im aggressiven Ethnozentrismus wird Fremdgruppen das Menschsein abgesprochen und damit Rassismus, Mord und Krieg Boden bereitet. Wer das begreifen kann, hat die Verantwortung, human damit umzugehen.

Wer bestreitet, daß seine Wahrnehmung ethnozentrisch ist, hat den engen Raum dogmatischen Denkens noch nicht bewältigt. Kommunikation zum Überleben Aller ist ein höherrangiges Ziel als Abgrenzung zum Überleben Weniger.

Der Großteil der abendländischen Wissenschaft ist ethnozentrisch (11). Der Ethnozentrismus westlicher Gesellschaften manifestiert sich unter anderem in unserer Begriffsbildung (und damit unserer Weltsicht). Menschen sind nur in begrenztem Maße fähig, fremde Codes in ihrem Kontext so zu verstehen, daß sie die Analogien zu den eigenen Codes erkennen.

Während wir es in abendländischen Gesellschaften aber nicht anmaßend finden, Begriffe aus anderen Kulturen so zu definieren, wie es uns paßt, reagieren wir gerne belehrend, wenn zum Beispiel Afrikaner unsere Begriffe nach ihrem Interesse definieren und mit neuen Inhalten füllen.

2. Eurozentrismus
Besonders aggressive Form von Ethnozentrismus. Mittlerweile hat man, wenn diese Haltung offensichtlich war, bis zur intellektuellen Selbstkasteiung nachgebessert. Dennoch ist unser Denken traditionell so eurozentrisch, daß sich die Mehrheit der Europäer (und Nachfahren von Kolonialisatoren) ihrer Verblendung nicht bewußt ist. Statt mögliche reale Änderungen als Investition in die Zukunft, Befreiung und Chance zu begreifen, sind unsere Gesellschaften mit der Abwehr von Verantwortung, mit Verlustängsten und Verzichtsphantasien beschäftigt.

Für den postmodernen Eurozentristen ist die Kolonialgeschichte eine überwundene Episode und der Holocaust ein deutscher Unfall, der überall hätte passieren können. Er hat schon mal Döner Kebap probiert und leiht den türkischen Nachbarn gerne was. In anderen Kulturen gilt ihm dennoch nur das als Kultur oder Kunst, was er auf griechisch-europäisch-anglo-amerikanische "Weltkultur" zurückführen kann.

Der Rest hat ein angenehm exotisches Image abzugeben, unterhaltsame Ethnoperformance, Khakimode oder Gesänge aus ernsten religiösen Zeremonien als Techno verwurstet.

Sehen wir uns das Verhältnis von künstlerischer Kommunikation im Internet zur künstlerischen Kommunikation der meisten Menschen in Bangladesch an (ein Vergleich, den sich gegenwärtig niemand sonst leistet), können wir feststellen, daß es uns an Begriffen fehlt, die global anwendbar, aber mit dem Denken der Menschen an Ort und Stelle zuspitzbar, also offen sind, ohne beliebig zu sein.

Das Verhältnis der global unterschiedlichen Kulturen untereinander erweist sich als überhaupt nicht beliebig, wenn wir die Möglichkeit zulassen, daß Andere unsere Bewußtseinsformen für sich umbauen. Wenn wir das Bewußtsein von Menschen in anderen Kulturen nicht nur ausbeuten und vereinnahmen wollen, brauchen wir ein Denken in Begriffen, die Anderen die Möglichkeit bieten, in einem freien Verhältnis dazu ihr eigenes Bewußtsein zu definieren, in Anlehnung, Abwandlung oder Ablehnung unserer Begriffe.
Wir selbst benutzen die Codes aller Anderen in unserer Version der Weltkultur ohne Skrupel. Warum sollten Sie unsere nicht ebenso benutzen?

Der deutsche Galeristenverband hat vor einiger Zeit versucht, diesbezüglich das Rad der Geschichte zurückzudrehen und Aboriginee-Künstler von der Art Cologne auszuschließen.

Das Argument:
Die Kunst der australischen Eingeborenen habe nicht den von Europa ausgegangenen Prozess der Abstraktion (vom Abbilden zur Moderne) mitgemacht, sei also ethnische Kunst. Im Hinterkopf zu ergänzen: Also keine Weltkunst, denn was das ist, definieren immernoch WIR!

Das Argument war vorgeschoben, weil die Galerien im geschrumpften Kunstmarkt auf ihren alten Beständen saßen, während die Australier gut verkauften. Die Herren gingen wohl davon aus, mit Wilden könne man hinter den Kulissen so umspringen. Man hatte sich getäuscht. Der in ihrer Argumentation verborgene Rassismus und Eurozentrismus wurde erkannt und öffentlichkeitswirksam zurückgewiesen. Der Kampf um den Markt geht selbstverständlich so schmutzig weiter wie zuvor.

Daß die Kunst der Aboriginees seit Jahrtausenden so sehr mit Abstraktion und Schöpfen zu tun hat (und sich nie wie in Europa zum Abmalen von Kirchenfürsten und Adligen erniedrigen ließ), daß postmoderne Künstler das Wissen der Aboriginees gerne hätten, nur mal am Rande erwähnt.

3. Die ethnologische Brille
Ethnologen oder andere Sozialwissenschaftler, die zufällig Ahnung von Performance haben könnten, werden selten fachlich ernst genommen, wenn sie aus den Kategorien des Faches ausbrechen.

Sie beschreiben eine ähnliche Qualität wie Performance tendenziell eher als Teil eines Rituals oder als initiationsähnlichen Übergang oder als Alltagskultur. Man darf vermuten, auch dann, wenn der jeweilige Vorgang durchaus nichts mit der bloßen Wiederholung einer durchritualisierten, unindividuellen, äußerlichen Form zu tun hat.

Beispiel: Zu einem Teil der Kultur der Aboriginees gehört es, individuelle kulturelle Erfindungen im Traum zu machen. Sie werden dann vorgetanzt oder gesprochen. Manche dieser Performances gehen durch Nachahmung in die allgemeine Kultur ein. Das hängt auch davon ab, inwieweit sie im konkreten kulturellen Zusammenhang, der sehr komplex sein kann, wesentliche und anders nicht transportierbare Bedeutung codieren.

4. Die fremden Wurzeln
Zum Beispiel: "Gutai" war eine kulturspezifische in den 50er Jahren in Japan präsente Kunstrichtung, die dann Fluxus beeinflußte. Im Rahmen von "Gutai" gab es Solo- und Gruppenaktionen vor Publikum, die heute wieder gezeigt als "Happening" oder "Performance" verstanden würden.

5. Die Projektion, die erweiterten Begriffe seien nicht fruchtbar handhabbar, weil man irrtümlich annimmt, in einem erweiterten Begriff sei dann ja alles Kunst oder Performance (also kein Unterschied mehr denkbar).

Wessen Denken sich der Komplexität der Gegenwart nicht stellen kann, der sollte Zuhören üben. Man kann nicht Weltgültigkeit beanspruchen und die Welt nur als Scheibe mit sich selbst in der Mitte begreifen. Formen, die einen globalen Anspruch haben (und sei es nur der, im westlichen Sinne Allgemeingültige, Weltkunst zu sein), sind weder aus der Froschperspektive noch aus der Perspektive elitärer Stelzenläufer gültig formulierbar. Bemerkenswerte Ausnahmen sind möglich (man frage bei Boris Nieslony nach Professor Cappy).

Im Tibetischen gibt es den Begriff "Zorig", von dem selbst die Tibeter meinen, daß er nicht dem europäischen Kunstbegriff vergleichbar wäre, weil UNSER (oder zumindest der französische) Kunstbegriff so eingeschränkt ist. "Zorig" läßt sich mit "Wissenschaft des Hervorbringens" (science du faire) übersetzen (12) . "Wissenschaft des Hervorbringens" drückt ziemlich genau das aus, was viele Künstler nicht nur als Performer betreiben. Da diese Arbeit nicht produktorientiert ist und sich beim Vermarkten schon mal in NICHTS auflöst, wird sie auf dem Kunstmarkt eher ignoriert als gefördert und geht nicht in kunstmarktabhängige Kunstdefinitionen ein.

Internet Performance Konferenz

Nachfolgende Sätze sollen nicht verteufeln, was wir angemessen nutzen sollen. Aber es gibt bedenkenswerte Erfahrungen und Beobachtungen, die außer vielen Benutzern auch Neill Postman oder Clifford Stoll (13) gemacht haben.

Computer und technische Netzwerke allein machen die Gesellschaft nicht besser. Keine soziale Frage ist alleine durch Einsatz purer Technik lösbar.

2. Der Überfluß an belangloser Information kann den eigenen Wahrnehmungs- , Denk- und Handlungsprozess zersetzen, so wie Lärm auf einer einfacheren Ebene den Hörnerv schädigt und damit das Verstehen musikalischer Strukturen zerstört. Die volle Bedeutung dieses Zersetzens wird nur denjenigen klar, die das Medium intensiv genutzt haben und die schwer beschreibbaren Veränderungen kennen.

Viele Informationen sind für menschliche Problemlösungen überflüssig, eher verstopfen sie mehr oder weniger unerträglich die dazu nötigen direkten sinnlichen Wahrnehmungskanäle.

3. Die Verheißung einer grenzenlosen Freiheit der Imagination unterschlägt die Imaginationsfeindlichkeit des Mediums. Statt Informationsangebot brauchen wir Informationsschutz, statt wachsender Archive müßten wir individuell steuerbare Informationsvermeidung entwickeln, wie wir sie für den Industrieverpackungen im Haushalt anstreben. Die informationelle Umweltverschmutzung wird aber immernoch als "Verbesserung" verkauft.

4. Wo das Internet eine quantitative Steigerung der Kommunikation erlaubt, verflacht die Kommunikation seltsamerweise leicht zur sinnlosen, kurzlebigen, unproduktiven, unzugänglichen Oberflächlichkeit.

5. Erwartungen, die audiovisuelle Prägnanz der Information liefere eine neue Qualität an Kommunikation, werden enttäuscht. Im Cyberspace gibt es keine wirklichen Offroad-Trips und Grenzdurchbrüche für den User (und wer den Einbruch in einen fremden Computer als Durchbruch für's Leben feiern muß, ist eine arme Socke).

Alles ist vorcodiert, wir bewegen uns nur noch in einer Simulation auf der Basis vorgegebener Codes. Denn wie wir mit dem Computer den Gesprächstherapeuten simulieren können, so können wir uns auch eine unendlich flexible Archivstruktur vorgaukeln, die dennoch bereits von Anderen vorgedacht eine Konditionierung unseres Denkens bewirkt.

Wir können dem Internet nicht wirklich unser eigenes Programm aufzwingen, wir können seine Funktion nicht radikal ändern, wir haben nicht mehr, sondern weniger Macht als im Primären und Analogen.

Es ist aber trotzdem angebracht, die angemessene Nutzung des Netzes auszuloten. Tatsächlich gibt es abgesehen von obigen kritischen Punkten noch ein weites Feld für Internet- und Computerperformances.

Fußnoten

(1) siehe "Performance interkulturell"

(2) siehe Performance-Ritual-Prozeß: Handbuch der Aktionskunst in Europa/ 1993 Elisabeth Jappe. München - New York. S. 100/101

(3) siehe Performance-Ritual-Prozeß: Handbuch der Aktionskunst in Europa/ 1993 Elisabeth Jappe. München - New
York. S. 102/103

(4) Um es nochmal deutlich zu sagen: Wer als Hyperrealistischer Maler einen Mord auf die Leinwand bringt, ist als Künstler nicht der Mörder, muß Mord nicht gut finden oder das berühmte Sexualproblem haben. In dieser Hinsicht ist Performance in der Konkretheit der Handlungen wirklich begrenzter und lebendiger als bloß abbildende Künste.

Wer Performance zum Beispiel als Vorwand für inhumane Demonstrationen mißbraucht, etwa seinen Selbstmord als Performance inszeniert (usw.) ist disqualifiziert, ein Arschloch, hat von Performance, vielleicht trotz jahrelanger Arbeit daran, absolut NICHTS verstanden. Der Unterschied zwischen einer geschickten, produktiven Tabuverletzung und unmenschlicher Dummheit liegt allerdings fast nirgends in der Kunst so nah beieinander.

(5) Direkt: Kommunikation in direkter sinnlicher Verbindung, ursprünglich analog, ohne technische Medien.

(6) Indirekt: Kommunikation ohne direkte sinnliche Verbindung, über technische Medien (vorwiegend digital)

(7) Der Begriff "Eternal Network" wurde in solchen Zusammenhängen zuerst von Robert Filliou verwendet und ist im internen Austausch der Networker sehr bedeutend, die aus der Linie Fluxus/ Mailart/ Correspondence Art kommen.

(8) Wie bei konventionellen Dokumentationen (z.B. Büchern) tritt der Effekt ein, daß das im Medium dokumentierte als "Auswahl des Wichtigsten" gilt, während das Undokumentierte als "Entwertetes" behandelt wird. Das Eine geht in die öffentliche Geschichte ein, das Andere wird vergessen. Das sichert aber auch denjenigen ihre Ruhe, die Wesentliches bearbeiten und andere Übertragungskanäle bevorzugen.

(9) In den künstlerischen Netzwerken der 70er und 80er Jahre, die sich schon als "global" betrachteten, gab es eine merkwürdige Ignoranz der Tatsache gegenüber, daß geschätzt etwa 90% der Teilnehmer white-male-middle-class Amerikaner oder Europäer waren. Das hat sich bis heute nicht wesentlich geändert. Man möchte den Reiz der globalen Kommunikation - aber nicht die Konsequenzen aus dem ziehen, was globale Entwicklungen die wir initiiert haben, um unseren Wohlstand vermeintlich zu sichern, in armen Ländern anrichten.

(10) vergleiche W.G. Sumner: Folkways. New York 1906

(11) vergleiche Taschenwörterbuch der Ethnologie/ 1982 Panoff/Perrin. Berlin. Und: Neues Wörterbuch der Völkerkunde/ 1988 Hirschberg (Hg.). Berlin

(12) vergleiche "magiciens de la terre" / 1989, Ausstellungskatalog Editions du Centre Pompidou, S. 241

(13) Silicon Snake Oil - Second Thoughts on the Information Highway/ 1995 Clifford Stoll, New York


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