THE VIRTUAL DIARY

1. August - 31.September 1992

Der Verlag IL in Köln und ASA-European haben über 50 Menschen (Künstler, Literaten, Organisatoren, Wisenschaftler, Freunde und unbekannte Personen) eingeladen, ein dem Stafettenprinzip entsprechendes Tagebuch zu realisieren.

Die Initiatoren haben in der Zeit von 1. August bis 30. September 1992 je drei Tage an zwei bis drei Personen vergeben. Diese wurden aufgefordet, an diesen Tagen durch Texte, Bilder oder mit anderen Zeichen via Telefax ihre Befindlichkeit oder Themen, mit denen Sie gerade beschäftigt sind, an das offene Büro des Quantenpool Köln zu senden. Die Initiatoren hatten die Auswahl der Tage und der eingeladenen Personen mit einem hohen Spielraum der Divergenzen getroffen. Es wurde nicht nur erhofft, sondern das Virtual Diary zeigt es augenscheinlich, daß die Reflexionen auf innere und äußere Geschehnisse hochgradig variabel sind und poetische Qualitäten bekommen.

Es entstand ein Virtual Diary, das als GANZES ein Zeitzeugnis besonderer Art ist.

Die Idee beruht auf einem mehrere Jahre umfassenden politischen Tagebuch in Ungarn. Unter den oppositionellen Intellektuellen zirkulierte ein tagebuchänliches Schriftstück, das durch die aktuellen Aufzeichnungen der Teilnehner ständig wuchs. Im Gegensatz dazu enthält das Virtual Diary kaum Tagespolitik.

Bernd von den Brincken in: Quantenpool Köln, Hrsg. Institut für Kommunikation, Köln, Vilter Verlag, Köln, 1993


Jeder kennt das uralte Spiel des Schreibens und Malens. Einer beginnt damit, dann faltet er das Papier zusammen und der nächste beginnt zu schreiben oder zu malen. Niemand weiß, was unter dem Verdeckten ist, sich befindet. Dann die Entfaltung, die "Auflösung". Nichts war vorauszusehen. Die Kausualität hat ihre Gültigkeit verloren; das Spiel entfaltet sich neben den Kategorien Rationalität/Irrationalität; Intuitionen sind Banalitäten. Das Spiel bleibt bis in den letzten Schritt offen, der letzte Zug hat noch unendlich viele Möglichkeiten. Wir sehen immer nur das, was schon ausgefaltet ist. Jeder nächste Zug (und alle nächsten Züge) kann und wird das ganze Bild grundsätzlich und rückwirkend verändern.

Dies galt und gilt ganz besonders für die Reaktionen - das zeigte sich z. B. am Todestag von John Cage sehr deutlich -, die einen Tag, irgendeinen Tag im Leben der Menscheit meinen, wobei die Begrenzung in dem sich-kennen oder durch ein gemeinsames Medium (hier das Faxgerät) liegt.

Alle eingegangenen "Faxe" sind erstmal im herkömmlichen Sinne ein chaotisches Gebilde aus voneinander "unabhängig" entstandenen Teilen. Jedoch als GANZES sind alle Eingeladenen in einer bestimmten Zeit, in einem bestimmten Raum eine agierende Mannschaft in einem bestimmten Spiel.

Das Telefax war für uns Werkzeug für ein endloses Papier-, Zeit- und Raumschrüpfen. Die Betrachter des Virtual Diary müssen die Fähigkeit aufbringen, die nacheinander angekommenen "Aufzeichnungen" als GANZES wahrzunehmen.

Keine schlechte Übung in einem Zeitalter, in dem gerne mit der Zeit- bzw. Raumschrumpfung kokettiert wird.

Es hat nur dann Sinn, wenn gleichzeitig das Wahrnehmungsvermögen im entsprechenden Maße ausgedehnt wird.

Peter Farkas, Boris Nieslony in: Quantenpool Köln, Hrsg. Institut für Kommunikation, Köln, Vilter Verlag, Köln, 1993

Teilnehmer am Virtual Diary waren:

Charl van Ark/NL, Árnyékkötök/H, Artpool/H, Tom Barth/D, Maja Bechert/D, Simon Beer/CH, Yola Berbesz/D, Danny Devos/B, Dusanek/D, Walter Fehlinger/A, Louis Flamel/D, Nini Flick/D, Nicole Guiraud/F, Wolfgang Hainke/D, Boris Hiesserer/D, Intermedia/H, Jelinek/A, Kerkhoven/B, Jürgen Kierspel/D, Königsfelden/CH, Koskina/GR, Vollrad Kutscher/D, Lang/S, Mc Lennan/IRL, Manfai/D, Miller/USA, Georg Mühleck/D, Jürgen Olbrich/D, Orlan/F, Pietro Pellini/D, Ritter/CH, Ro.Ka.Wi./D, Rolf Sachsse/D, Sezgin/d, Szkárosi/H, Trunk/D, Vexer/CH, Jo Zimmermann/D


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