Dietmar N. Schmidt: Und was ist das?
Boris Nieslony: Treffer

Jürgen Fritz: Vortragsperformance
Johan Lorbeer: Shaolinübung für Performancekünstler

DIETMAR N. SCHMIDT
Und was ist das?

Kunst. Und Kunst ist Kunst (manchmal auch nicht). Müssen wir sie schon wieder erklären? Was eine Performance ist und 35 Performance-Ereignisse sind, wenigstens doch.

Performance heißt, schlicht deutsch übersetzt, Aufführung, Vorstellung; das Wort Performance ist aber auch ein Begriff - ist kunstgeschichtlich, ist vielleicht noch, vielleicht wieder aktuell. Das herauszufinden, besser, darzulegen und interessant zu machen, wurde zum Antrieb für eine Veranstaltungsreihe mit 35 Performance-Ereignissen, Performance-Abenden (jeder einzelne bestehend aus bis zu acht Akten) in sechs Städten zwischen Mitte März und Ende November.

Nach englischem Wortgebrauch, wortwörtlich also kann eine Performance alles mögliche sein, ein Ballett oder Drama, Oper oder Musical; ein Kunststück jedenfalls, das im Gegensatz zur Kunst, die sich die bildende nennt, in einer bestimmten Zeit geschieht.

Eine Performance im Sinne einer kunstgeschichtlichen, zeitgenössischen Gattung unterscheidet sich davon erheblich. Weswegen wir sie hier auch zur Verdeutlichung ein wenig tautologisch als Performance-Art ausgeben. Und sie ist in der Regel vieles und alles zugleich: ein Stück bildender Kunst, die durch Musik, durch Gesten, Gebärden, Posen in der Zeit bewegt wird oder auch zum Stillstand kommt; ein - ach du liebe Zauberformel - spartenübergreifender Vorgang, bei dem sich der Künstler (Autor, Urheber, Produzent oder welche Funktion man auch sonst mit ihm ausdrücken mag) traditionsgemäß vielfach selbst als Material einbringt: so konkret ideelle Positionen markierend, aufspürend.

Was davon international zu Bedeutung gekommen und über die Tradition hinaus als Fortentwicklung, als Avantgarde zu begreifen ist, werden wir im nächsten halben Jahr ausführlich erfahren - und allen komplizierten, mehr oder minder geistreichen Erklärungen zum Trotz immer gewiß auch dies: Kunst ist Kunst und eine Performance eine Performance.

Dietmar N. Schmidt


BORIS NIESLONY
Treffer

The Culture of Performance Art:: Immer da, wo Künstler an die gesuchten Grenzen ihres Metiers, ihrer Sparte stoßen, sei es Tanz, Theater, Literatur, Musik oder Bildende Kunst, zielen sie auf etwas Anderes, auf etwas Neues.

Alle Sparten der Künste haben eine Folgerichtigkeit, eine Geschichte der Weltbilder und Wertesysteme, auf die sie verweisen. Es waren meistens bildende Künstler, die in diesem Jahrhundert eine Sprache der Bilder zwischen den Sparten gründeten. Die Bezeichnungen, die für diese Art der Sprache und Darstellung getroffen wurden, sind meistens als Kunststile in die Geschichte der Kunst eingegangen. DADA, Fluxus, Happening, Body-Art etc., sie waren die Treffer.

In der Sprache der PERFORMANCE-ART ist jeder Entwurf eines Weltbildes Gestaltung, Identität und möglicherweise seine Verwerfung zugleich: Die Performance ist in einem Zeitverlauf, der Jetzt genannt wird, ein komplexes Spiel des Zusammenwirkens verschiedenster Medien. Der geneigte Zuschauer kann an dem Entwurf eines Weltbildes, einer Idee, ihrer Ausbildung und ihrer Verwerfung direkt betrachtend anteilnehmen. Dies ist bei jeder Performance grundsätzlich anders, was in der Natur der Weltbilder liegt. Die können sich ähneln, sind jedoch bei jedem Menschen einmalig, womit wieder ein anderer Faktor der PERFORMANCE-ART ins Spiel kommt. Sie hat Sprachcharakter und entzieht sich durch ihre Lebendigkeit einer schnellen Stilbildung. Die Verwerfung verweist auf Wertesysteme und entzieht damit den Boden zu einer Ideologiebildung.

PERFORMANCE-ART ist ein offenes Kultursystem, da es aus allen Kunst- und Kultursparten gespeist wird und auf diese zurück wirkt. Die Denkbewegungen, die zu dem Entstehen eines Bildes führen, werden direkt geäußert und wirken gleichzeitig auf den Künstler und den Betrachter. Die Weltbilder, die bei Performance-Art zur Darstellung kommen, benötigen keine Abbilder, keine Umwege mehr, sie sind motivlos. Damit erfüllen sie auch die ursächlichen Wünsche der klassischen Künste, oder wie Kleist im Essay Über das Marionettentheater schreibt:
Mithin, sagte ich ein wenig zerstreut, müßten wir wieder von dem Baum der Erkenntnis essen, um in den Stand der Unschuld zurückzufallen. Allerdings, antwortet er; das ist das letzte Kapitel von der Geschichte der Welt.


JOHAN LORBEER
Shaolinübung für Performancekünstler

Atempause : - ' -

Sehr verehrte Damen und Herren  - ' -  ich bin von den Organisatoren dieser zweiten Performancekonferenz hier in Köln aufgefordert worden heute einen Vortrag zum Thema performance  zu halten  - ' -    ursprünglich  hatte ich die Absicht über die finanzielle Situation des Performancekünstlers in der BRD zu sprechen  aber die inhaltlichen Vorbereitungen  zu diesem Thema waren derart deprimierend dass ich schliesslich von diesem Vorhaben Abstand nehmen musste - ' -  stattdessen  ein etwas neutraleres Thema  - ' -  die Gedanken dazu habe ich auf knapp fünf Schreibmaschinenseiten zusammengeschrieben  - ' -   da mir die sprachliche Eloquenz und die Kaltschnäuzigkeit zu einer freien Rede fehlen habe ich diese fünf Seiten auswendig gelernt  - ' -    mit diesem Auswendiggelernten biete ich ihnen und mir die Illusion der freien Rede  - ' -  die Illusion der freien Rede dauert achtzehn Minuten  und beginnt mit dem Titelsatz  - ' -  Shaolinübung  für  Performancekünstler  - ' -  zwischen dem Begriff performance  also die Kunst der öffentlichen Selbstdarstellung  und  dem Begriff Shaolin  also die die Kunst der Selbstverteidigung   gibt es erstmal einen grundsätzlichen Unterschied  denn das Shaolin hat einen traditionell festgelegten Kanon an Bewegungsabläufen denen sich jeder Shaolinübende gleichermassen unterziehen muss   während eine performance die  individuell gestaltete  oder spontane Abfolge von Situationen ist  - ' -  von daher gibt also es erstmal einen grundsätzlichen Unterschied  allerdings gibt es auch einige Berührungspunkte auf die ich unteranderem eingehen werde - ' -   in der Theorie des Shaolin  gibt es den Ausdruck - ' -  HU SHIAN   - ' -  wörtlich übersetzt  - ' -  der Schatten des Tigers  - ' -  darunter versteht der Shaolinübende eine Art imaginäres Bewegungsmuster   das jeder tatsächlichen Bewegung vorausgeschickt  wird    - ' -  also  - ' -  sich ein Bild machen von einem konkreten Bewegungsablauf und diesen dann konkret in die Tat umsetzen  - ' -  das mache ich  als Performancekünstler  ja auch  - ' -   es gibt  in meinem Alltag zwischen Geschirrspülen und Babywindeln kurze traumartige Zustände die  ich ab und zu praktisch in die Tat umsetzen möchte  - ' -  wenn ein Künstler  sich selbst also seinen eigenen Körper zum Bestandteil seiner künstlerischen Formulierungen macht dann geht er ein spezielles Risiko ein  denn da  performance ein zeitabhängiges und in der Öffentlichkeit geschaffenes Kunstwerk ist   bedeutet es  daß jeder Fehler und jede Korrektur die ein Performancekünstler macht   gleichermassen zeitgleich vom Betrachter  auch registiert wird  - ' -   es gibt Performancekünstler die behaupten dass sie während ihrer öffentlichen Darbietung in der Lage sind  aus sich herauszutretten - ' -  neben sich zu stehen    - ' -   sich zu betrachten  während sie etwas tun  also eine Art öffentliche Doppelexistenz führen  und das gerade dieser Zustand ihrer öffentlichen Spiegelexistenz  ihr ganz persönlicher Emotionskick bei ihren performances ist  - ' - der Begriff  Shaolin  bezieht sich auf das  chinesischen  Kloster  SHAOLIN ZSE  was soviel heisst  wie - ' -  das Kloster im jungen Birkenwald  - ' -  dort lebte vor   zweitausendfünfhundert Jahren ein Mönch namens  TA  MOH    und dieser Mönch lehrte seinen  Kollegen allgemeine gymnastische Übungen  zum Ausgleich für die  oft langanhaltenden Meditationen  - ' -  da nun dieses Kloster zu jener Zeit des öfteren zum Opfer lokaler kriegerischer Auseinandersetzungen wurde  und die Mönche auf Grund eines Gelübtes keine Waffen tragen durften trotzdem ihr Kloster verteidigen  wollten entwickelten sie aus diesen  allgemeinen gymnastischen Übungen die erste Form der körperlichen Selbstverteidigung  die unter dem Namen Shaolin bekannt wurde  - ' - all die Formen von Selbstverteidigung die wir heute kennen  angefangen von Aikido bis hin zu  Hardcore Kong Fu   haben ihren Ursprung im Shaolin   - ' -  der Mönch  TA MOH hat in seinem letzten Lebensjahrzehnt zwei  Bücher über die Kunst der Selbstverteidigung geschrieben   das erste Buch hat den Titel   - ' -   ABHANDLUNG ÜBER DIE BEWEGUNG DER KLEBENDEN HÄNDE   - ' -    das zweite Buch hat den Titel  - ' - ABHANDLUNG ÜBER DIE WÄSCHE DES KNOCHENMARKS     - ' -    sehr verehrte  Damen und Herren    es gibt auch Performancekünstler die behaupten    dass sie nicht nur in der Lage sind  während ihrer öffentlichen Darbietung aus sich herauszutretten und sich selbst zu betrachten   sondern darüber hinaus auch in der Lage sind  in den Anderen  - ' -  in den Betrachter  - ' -  einzutauchen  - ' -  sich mit ihm zu identifizieren - ' -  in die Gefühlswelt des Betrachters einzudringen  um dann schliesslich wieder aus ihm auszusteigen  und das gleiche Spiel mit dem  nächsten Betrachter zu spielen so wie der Missionar   - ' -  der ist zwar bescheiden   aber wenn es um die Taufe seiner frischen Heiden geht sehnt er sich danach mit ihnen zu verschmelzen  um sich  dadurch selbst jedes Mal aufs Neue mittaufen zu können   - ' - das ist sein  autistischer Gefühlskick  - ' -   ich habe nicht die Absicht  während meiner performances aus mir herauszutretten und neben mir zu stehen    ich habe nicht die Absicht  in die Gefühlswelt des Betrachters einzudringen    ich bin der Meinung das  es zwischen dem Kunstwerk  und dem Betrachter eine möglichst grosse Distanz  geben sollte  den Distanz ist die Voraussetzung  dafür das sich beide  - ' -  Betrachter und Kunstwerk  - ' -  mit Respekt   und ohne Vorurteile gegenseitig annähern können     wenn ich mir eine öffentliche Darbietung ansehe und der öffentlich tätige Künstler gibt mir auf irgendeine Art zu verstehen dass er in  mich  oder ich in ihn  eintauchen und verschmelzen sollte   das wir doch ALLE  EINS  sind   eine grosse Familie  in der wir uns gegenseitig unsere Gefühle   Phantasien und Probleme mitteilen können   nach dem Motto  EVERYBODY CLAP YOUR HANDS  - ' - dann werde ich versuchen mich dieser Darbietung zu entziehen  - ' -    die einfachste Variante sich in die Gefühlwelt des Betachter einzuhacken  ist die öffentliche Präsentation des eigenen körperlichen Schmerzes  - ' -  ich habe vor zwei Jahren in Hamburg eine performance gesehen    da hat sich der darbietende Künstler in der kunstinteressierten Öffentlichkeit mit einem Rasiermesser die Stirn aufgeschnitten  - ' -   und die Backen  - ' -   er hat geblutet wie verrückt  - ' -   ich war darauf nicht vorbereitet  ich dachte mir ist der Mann so einsam  das er  in der Öffentlichkeit  sein Gesicht mit einem Rasiermesser massakrieren muss um meine künstlerische Aufmerksamkeit zu erzwingen ist es notwendig  um einen prägnanten künstlerischen Ausdruck zu formulieren  und das wollen wir Künstler ja   ist ja klar   ist es da notwendig  der Öffentlichkeit sein eigenes warmes Blut zu präsentieren  um  damit auf die destruktive Stimmung unserer Gesellschaft aufmerksam zu machen  - ' -   im Shaolin gibt es eine Besonderheit und zwar ist der Anfangspunkt eines Bewegungsablaufs immer deckungsgleich mit dem dem Endpunkt eines Bewegungsablaufs - ' - das heisst die erste Bewegung und die letzte Bewegung haben die gleiche visuelle Information - ' - das macht ja ein Taschendieb auch - ' - die Hand muss nach ausgeführter Tat wieder  in die Jackettasche zurück  - ' -  als wäre nichts geschehen - ' - als hätte es keine Bewegung keine Handlung gegeben  - ' -  verehrte Damen und Herren erlauben sie mir einen kurzen Ausflug in die Schulphysik  - ' -  da habe ich gelernt das wenn ein Elektron auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt wird  und dann auf ein Neutron mit entgegengesetzer Geschwindigkeit  prallt  es zu einer extremen Explosion kommt bei der das Elektron für einen Bruchteil einer Zeiteinheit  in seine Einzelteile zerfällt um gleich darauf wieder in seine ursprünglichen Form  nämlich als  Elektron zurückzufinden  - ' -  um nun denoch diesen für das menschliche Auge unsichtbaren Vorgang dingfest zu machen haben die Physiker elektronische Geräte entwickelt die nur dazu dienen diesen kurzfristigen Explosionsvorgang  zeitlupenartig festzuhalten um ihn überhaupt sichtbar und analysieren zu können  - ' -  das heisst also dass der tatsächliche physikalische Vorgang und die Beobachtung dieses Vorgangs zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten stattfindet  - ' -  auf Grund dieser Problematik haben die Wissenschaftler einen Begriff eingeführt nämlich den Begriff RAUMZEIT  - ' -  Raumzeit  das klingt erstmal sehr lyrisch und assoziationsgeladen aber je öfter ich  diesen Begriff höre um so weniger  kann ich mir dabei etwas vorstellen  - ' -  denn was heisst das Raumzeit  - ' -  heisst es das in diesem Raum  hier in dem ich  jetzt diesen Vortrag halte eine Zeit abläuft die anders ist als die Zeit hier draussen auf der Strasse  - ' -  oder heisst es dass ich hier in diesem Raum eine performance machen könnte und gleichzeitig hier in dem Nebenraum eine performance machen könnte wenn ich mich nur in dem richtigen Raum ZeitKontinuum bewege  - ' -  ich möchte nun zum Schluss noch auf eine stereotype Situation hinweisen die mir als Performancekünstler öfters wiederfährt - ' -  die Situation ist folgende  - ' - ich  bin in der Auguststrasse in Berlin in einer Bar da kommt ein Mann auf mich zu klopft mir kurz auf die Schulter und sagt  - ' -  Sie sind doch der Lorbeer der Performancekünstler der mit den Tellern immer rumsitzt ja ich hab Sie schon mal gesehen das ist ja ganz witzig was sie da  so machen aber wissen Sie Herr Lorbeer ich hatte neulich eine performance das wär was für Sie gewesen ich  war nämlich eingeladen bei meinen Eltern an Sylvester  zum Essen und da hab ich doch glatt zu später Stunde den Christbaum mit den brennenden Christbaumkerzen umgeschmissen Gott sei Dank hatte meine Mutter einen Topf mit Wasser in der Küche und hat den Christbaum gelöscht es ist auch nichts weiter passiert ausser das der Teppich nass war und am nächsten Tag sollte meine Tante Gerdi und Tante Gretel zum Kaffeetrinken kommen  und  das ging natürlich nicht mit dem nassen Teppich  und draussen hats geregnet also was hat mein Vater gemacht er ist aufs Klo hat den Föhn geholt und hat in den Morgenstunden des ersten Januar neunzehnhundertsechsundneunzig unseren Wohnzimmerteppich trockengeföhnt  - ' - das war ne performance  Herr Lorbeer das wär was für Sie gewesen das hätte man filmen müssen  - ' - wenn ich sowas höre dann fühle ich mich immer über den Tisch gezogen das zerknirscht mich  - ' -  denn wie soll ich das verstehen wie soll ich mich als professionell tätiger Performancekünstler dazu verhalten wenn alles was etwas ausserhalb des alltäglichen passiert sofort als PERFORMANCE  deklariert wird  - ' - soll ich mit dem Kopf nicken und sagen ja ja Sie haben Recht die besten Geschichten schreibt das Leben und wenn es tatsächlich so sein sollte das Kunst und Leben identisch sind dann bin ich kein Künstler sondern dann bin ich Politiker  - ' -  damit  sehr verehrte Damen und Herren komme ich zum letzten Satz des Auswendiggelernten - ' -  ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit  - ' -  guten Abend


JÜRGEN FRITZ
VORTRAGSPERFORMANCE
zu der Reihe Performance Art in NRW
vorgetragen am 14.03.1997

Performances in der Art, wie sie von BLACK MARKET vorgestellt werden, sind ... out.
Das ist, zumindest sinngemäß, eine Feststellung in dem im vorigen Jahr erschienenen und vielbeachteten Buch mit dem Titel Performance von Marvin Carlson, einem Professor für Performance an der City University in N.Y... Demnach habe sich die Performance seit den 90ern generell in zwei Richtungen entwickelt: Einen hauptsächlichen Trend in der Performance Art sieht Carlson in der Rückkehr zu Text bzw. zu bewußt theatralen, textbezogenen lnszenierungen, wie beispielsweise bei der Woostergroup, Spalding Gray oder Laurie Anderson. Er zitiert in diesem Zusammenhang eine neue New Yorker Performancerichtung, die 1995 in verschiedenen cafes der Stadt "in" war: "rap meets poetry".

Mit dieser Rückkehr des Textes hätte sich tatsächlich die grundsätzliche Anti-Haltung der Performance Art gegenüber dem Theater aufgelöst. Diese Abgrenzung gegenüber jeglicher Form von dramatischer Struktur und psychologisch fundierter Dynamik, wie sie zumindest dem traditionellen Theater eigen ist, wurde 1970 in einer Diskussionsrunde um Alan Kaprow als wesentliches Merkmal der Performance Art definiert. Zu diesem Kreis um Kaprow gehörten auch Vito Acconci, Yvonne Rainer und Joan Jonas 1.

Eine weitere dominierende Entwicklung sei das sogenannte "Theater der Bilder", wie es beispielsweise von Bob Wilson, oder, durch dessen Vorbild, von Laurie Anderson 2 initiiert worden ist. Es ist offensichtlich, daß es wesentliche Unterschiede gibt, vergleicht man die Performanceshows von Wilson, Anderson, der Wooster Group, die neueren Vorstellungen von Marina Abramovic oder auch die der BAK-Truppen mit den Performances, die in diesem Jahr hier vorgestellt werden. Doch diese Unterschiede liegen meiner Ansicht nach weniger darin, daß die einen mehr text- oder bilderbezogen bezogen sind, und die anderen sich vielleicht mehr aus der Tradition der 70er Jahre herleiten lassen.
Der Unterschied liegt im Begriff der Inszenierung und deren Implikationen. Und auch hier denke ich nicht an Authentizität (ein guter Schauspieler kann ungeheur authentisch sein) oder an die Forderung nach Einmaligkeit, die oft als wichtiges Merkmal von Performance Art benannt wird.

Aktion

Ich habe vor drei Wochen einen wunderbaren Vortrag von einem schweizer Professor namens Groß gehört, der damit anfing, daß er ja einen vorbereiteten Vortrag dabei habe, er jetzt aber keine Lust habe diesen vorzutragen, sondern lieber über etwas anderes sprechen möchte, und er fing an darüber zu erzählen, wie er am Vormittag die Umgebung des Vortragsortes abgeschnitten sei, was er so alles gesehen habe - nämlich viele Geschäfte mit Computern und deren Zubehör und fast in jedem Gäßchen, das er passiert habe - ein ausrangiertes Plüschsofa - und damit war er beim Thema. In den Wohnzimmern weiche die Bequemlichkeit des roten Samts der Hart-ware des Computerzeitalters.
Das hat mir sehr imponiert. Das war offensichtlich eine Art der richtigen Rede - eine echte nicht Performance sondern Performanz - mit 'z' - eine gelungene Rede - deren Gelingen erst einmal vollkommen unabhängig davon ist, worüber geredet wird - sondern nur davon, wie man das tut.
Was hat Herr Groß gemacht? Er wählte im richtigen Augenblick die richtigen Worte und das richtige Verhalten - kurz, er handelte richtig. Es ist diese Form des Handelns und der freien Rede, weiche ursprünglich 3 die einzigen Möglichkeiten von politischer Tätigkeit darstellten. Jede andere Tätigkeit war von der Notwendigkeit des Lebens vorgegeben, konnte nicht frei gewählt werden, und unterschied damit den Menschen nicht von anderen Lebewesen. Nur die freie Rede und die Handlung waren demzufoge nur dem Menschen eigen, und waren damit die einzigen Möglichkeiten, Mensch unter Menschen zu sein.

Selbstverständlich war der, in meinem Beispiel genannte Professor einem bestimmten Druck ausgesetzt, er war eingeladen worden und hatte eine Rede zu halten, für die er sich auch ein Konzept zurechtgelegt hatte. Aber er hatte sich davon befreit - er hattte sein Konzept weggelassen und im Moment der Rede andere Worte gewählt.

An dieser Idee von Handlung, oder der freien, richtigen Rede wird auch der Unterschied einer Performance von BLACK MARKET zu einer theatralen Inszenierung bzw. zu einer Performance-Show deutlich: Die Performer von BLACK MARKET bringen keine fertigen Stücke sondern nur Material mit, das möglicherweise benutzt wird. Es gibt nur minimale Absprachen, was den Verlauf der Performance, bzw. die Gestaltung des Performanceortes betrifft. Erst im Moment der Performance wählt der Performer sein Material und entscheidet, wie er es einsetzt.

Im zweiten Handbuch von BLACK MARKET heißt es dazu:
"BLACK MARKET zeigt im Prinzip, daß alles möglich ist. Konsequenterweise reduziert sich für die Ausführenden das Wissen der Möglichkeiten, was zu tun ist, auf ein Minimum. Aus der Vielfalt des Gescheenden wird das gewählt, das jetzt und in diesem Moment die innere Bildung in der Zeit gewährleistet."

Aktion

Bei einigen Indianerstämmen Nordamerikas gab es ein Fest mit dem Namen Potlatsch. Es wurden viele Geschenke verteilt, aber auch Wertgegenstände zerstört. Nicht als agressive Geste, sondern um unter dem Zeichen der Verschwendung den Charakter einer richtigen Gabe zu offenbaren. Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten der Gabe: bei der Einen gibt der Mächtige dem Unterstellten und unterstreicht mit dieser Demonstration seinen sozialen Rang. Die andere ist, wie die richtige Rede, vollkommen frei von irgendeiner Zweckgebundenheit. Es ist eine Handlung als Mensch unter Menschen.

Aktion

Wer versteht oder beurteilt, ob eine Handlung eine "richtige" war oder nicht? Diejenigen, die diese Handlung ausüben, und diejenigen, die ihr beigewohnt haben, im Falle einer Vorstellung das Publikum.
Eine Performance vermag "communitas" herzustellen. Communitas ist, der Ethnologie zu Folge, eine Gemeinschaft; eine außerhalb der momentan geltenden Soziaistruktur, außerhalb der momentan geltenden gesellschaftlichen Verhaltensnormen spontan entstehende, auf unbegrenztem gegenseitigem Verstehen basierende Gemeinschaft.
Jeder kennt diese Momente, in denen man das Gefühl hat, man sei eins mit allen und allem; es ist eine Art instinktives, luzides Eintauchen in das, was Martin Buber als wesenhaftes "Wir" bezeichnet 4 . Ein Erlebnis, das einer Erleuchtung gleichkommt.
Man kann annehmen, das jeder spirituellen Gemeinschaft, jeder Utopie von Gesellschaft der Versuch zu Grunde liegt, diese persönliche Erfahrung von communitas in ein Regelsystem zu übertragen, in der diese als besonders "wahrhaftig" empfundene Form der Interaktion zur Grundlage des Zusammenlebens werden soll.
Victor Turner, einer der führenden Theoretiker der Performance im ethnologischen Sinne, schreibt dazu Folgendes:
"Menschen, die in Form spontaner Communitas miteinander agieren, werden total von einem einzelnen, durch » Fluß« (Verschmelzen von Handlung und Bewußtsein) geprägten Ereignis absorbiert."5
Und hierin ist der utopische Entwurf aber auch die Möglichkeit des Scheiterns der Idee BLACK MARKET zu finden: Spontane communitas, die durch theoretische Konzepte in ideologische, oder durch ein Regelsystem in normative communitas übertragen wird, verwandelt sich in Zwang, und verunmöglicht geradezu das Entstehen einer neuerlichen spontanen Situation.
Um dem zu entgehen, versucht BLACK MARKET keinen Stil aber auch keine Abgrenzung gegenüber anderen Stilen festzuschreiben, sondern versucht ein offenes, ständig wechselndes System der Begegnung als Plattform der künstlerischen Arbeit anzubieten.
Zbigniew Warpechowski hat nach der ersten Performancereihe von BLACK MARKET folgendes dazu geschrieben:

"... Einige Monate nach dieser Reihe von verschiedenen Performances, dieser Reise, kann ich folgendes zu meinen Erfahrungen sagen: Der geistige Dialog, der gemeinsame Versuch, geistigen Kontakt aufzunehmen, setzt gute Vorbereitung, innere Einstellung und bewußte Isolierung, Geschlossenheit, Ausscheiden aus der Normalität des Alltags und seiner Bedingungen voraus. Ebenso Ablehnung aller Zwänge und Kontakte nach außen. Zugleich bedeutet das: der Verzicht auf Egoismus, Konkurrenz, Bevorzugung, Ränke oder Ähnliches. Die Zeit dieser Isolation kann so lange dauern bis jeder 'keinen Weg' mehr weiß. Jeder braucht seine Zeit, um aus seinem eigenen psychischen Rhythmus herauszutreten und in den gemeinsamen Rhythmus des 'Nicht Sein', der zwanglosen Zustimmung für 'BEDEUTUNGS-LOSIGKEIT' überzugehen. Das bedeutet Aufhebung des 'Künstler - Sein' und: Aktionen in der Kunst. Diese Voraussetzungen können nicht dauernd eingehalten werden und sind auch nicht dauernd erfüllt worden...
Die Bedeutung von BLACK MARKET kann als 'Erfolg' oder 'gescheitert angesehen werden, nicht aber als Erlebnis 'Black Market' mit seinen transzendentalen Erscheinungen..."

Zbigniew Warpechowski 6.

Aktion

Jede Art der Handlung oder der richtigen Rede ist grundsätzlich monologisch, und geschieht auch in einer temporären Gemeinschaft wie BLACK MARKET als paralleler Monolog. Doch die Performance entsteht als das Mehr aus der Summe der Monologe im "Dazwischen". Peter Brook untersucht es als das "in between", beispielsweise als das zu gestaltende "Zwischen dem Schauspieler und dem Zuschauer", in der japanischen Kunsttheorie ist es das "MA", auf das der einzelne Akteur nicht direkt zugreifen kann. Er kann nur versuchen, eine Situation zu schaffen, sie zu bewegen, mit ihr zu spielen, sich in sie hinein- oder aus ihr hinaus zu bewegen, in der die Performance als Bild der Begegnung entsteht.
Im zweiten Heft von BLACK MARKET schreibt Boris Nieslony dazu:
"Das immaterielle Zentrum der Performance, jeder Begegnung, das gemeinsame Wissen ist: das Zwischen-den-Menschen; Das Zwischen-den-Dingen; Das Wissen über den Ton, die Frequenz, die Nähe und Ferne und all die unaussprechlichen Dinge des Herzens 7.

Schlußaktion


1. Marvin Carlson: Performance. Routledge, 1996. S. 106
2. L.. Anderson seit 1976 durch Glass' und Wilsons Einstein on the Beach dazu inspiriert worden, ihre bis dato kleindimensionierten Stücke zu großen Multimediaswows wie United States weiterzuentwickeln. Carlson S. 114
3. Im Sinne Aristoteles wie in der Nikomachische Ethik, Buch I,5 dargelegt. Zitiert in Hannah Arendt: Vita Activa, Serie Piper, 1994. S. 144ff und Anmerkungen S. 319
4. Martin Buber in: Ich und Du, 1923
5. Victor Turner: Vom Ritual zum Theater, Fischer, 1995, S. 74
6. Zbigniew Warpechowski in: BLACK-MARKET - Performances, Hrsg.: Neue Galerie Kassel, Verlag Michael Kellner, Hamburg, 1986
7. Boris Nieslony in: BLACK-MARKET - Performance, Heft 2, Hrsg. Black Market International

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