JÜRGEN    FRITZ
VORTRAGSPERFORMANCE
zu der Reihe Performance Art in NRW
vorgetragen am 14.03.1997

Performances in der Art, wie sie von BLACK MARKET vorgestellt werden, sind ... out.
Das ist, zumindest sinngemäß, eine Feststellung in dem im vorigen Jahr erschienenen und vielbeachteten Buch mit dem Titel Performance von Marvin Carlson, einem Professor für Performance an der City University in N.Y... Demnach habe sich die Performance seit den 90ern generell in zwei Richtungen entwickelt: Einen hauptsächlichen Trend in der Performance Art sieht Carlson in der Rückkehr zu Text bzw. zu bewußt theatralen, textbezogenen lnszenierungen, wie beispielsweise bei der Woostergroup, Spalding Gray oder Laurie Anderson. Er zitiert in diesem Zusammenhang eine neue New Yorker Performancerichtung, die 1995 in verschiedenen cafes der Stadt "in" war: "rap meets poetry".

Mit dieser Rückkehr des Textes hätte sich tatsächlich die grundsätzliche Anti-Haltung der Performance Art gegenüber dem Theater aufgelöst. Diese Abgrenzung gegenüber jeglicher Form von dramatischer Struktur und psychologisch fundierter Dynamik, wie sie zumindest dem traditionellen Theater eigen ist, wurde 1970 in einer Diskussionsrunde um Alan Kaprow als wesentliches Merkmal der Performance Art definiert. Zu diesem Kreis um Kaprow gehörten auch Vito Acconci, Yvonne Rainer und Joan Jonas 1.

Eine weitere dominierende Entwicklung sei das sogenannte "Theater der Bilder", wie es beispielsweise von Bob Wilson, oder, durch dessen Vorbild, von Laurie Anderson 2 initiiert worden ist. Es ist offensichtlich, daß es wesentliche Unterschiede gibt, vergleicht man die Performanceshows von Wilson, Anderson, der Wooster Group, die neueren Vorstellungen von Marina Abramovic oder auch die der BAK-Truppen mit den Performances, die in diesem Jahr hier vorgestellt werden. Doch diese Unterschiede liegen meiner Ansicht nach weniger darin, daß die einen mehr text- oder bilderbezogen bezogen sind, und die anderen sich vielleicht mehr aus der Tradition der 70er Jahre herleiten lassen.
Der Unterschied liegt im Begriff der Inszenierung und deren Implikationen. Und auch hier denke ich nicht an Authentizität (ein guter Schauspieler kann ungeheur authentisch sein) oder an die Forderung nach Einmaligkeit, die oft als wichtiges Merkmal von Performance Art benannt wird.

Aktion

Ich habe vor drei Wochen einen wunderbaren Vortrag von einem Schweizer Professor namens Groß gehört, der damit anfing, daß er ja einen vorbereiteten Vortrag dabei habe, er jetzt aber keine Lust habe diesen vorzutragen, sondern lieber über etwas anderes sprechen möchte, und er fing an darüber zu erzählen, wie er am Vormittag die Umgebung des Vortragsortes abgeschritten sei, was er so alles gesehen habe - nämlich viele Geschäfte mit Computern und deren Zubehör und fast in jedem Gäßchen, das er passiert habe - ein ausrangiertes Plüschsofa - und damit war er beim Thema. In den Wohnzimmern weiche die Bequemlichkeit des roten Samts der Hart-ware des Computerzeitalters.
Das hat mir sehr imponiert. Das war offensichtlich eine Art der richtigen Rede - eine echte nicht Performance sondern Performanz - mit 'z' - eine gelungene Rede - deren Gelingen erst einmal vollkommen unabhängig davon ist, worüber geredet wird - sondern nur davon, wie man das tut.
Was hat Herr Groß gemacht? Er wählte im richtigen Augenblick die richtigen Worte und das richtige Verhalten - kurz, er handelte richtig. Es ist diese Form des Handelns und der freien Rede, welche ursprünglich 3 die einzigen Möglichkeiten von politischer Tätigkeit darstellten. Jede andere Tätigkeit war von der Notwendigkeit des Lebens vorgegeben, konnte nicht frei gewählt werden, und unterschied damit den Menschen nicht von anderen Lebewesen. Nur die freie Rede und die Handlung waren demzufoge nur dem Menschen eigen, und waren damit die einzigen Möglichkeiten, Mensch unter Menschen zu sein.

Selbstverständlich war der, in meinem Beispiel genannte Professor einem bestimmten Druck ausgesetzt, er war eingeladen worden und hatte eine Rede zu halten, für die er sich auch ein Konzept zurechtgelegt hatte. Aber er hatte sich davon befreit - er hattte sein Konzept weggelassen und im Moment der Rede andere Worte gewählt.

An dieser Idee von Handlung, oder der freien, richtigen Rede wird auch der Unterschied einer Performance von BLACK MARKET zu einer theatralen Inszenierung bzw. zu einer Performance-Show deutlich: Die Performer von BLACK MARKET bringen keine fertigen Stücke sondern nur Material mit, das möglicherweise benutzt wird. Es gibt nur minimale Absprachen, was den Verlauf der Performance, bzw. die Gestaltung des Performanceortes betrifft. Erst im Moment der Performance wählt der Performer sein Material und entscheidet, wie er es einsetzt.

Im zweiten Handbuch von BLACK MARKET heißt es dazu:
"BLACK MARKET zeigt im Prinzip, daß alles möglich ist. Konsequenterweise reduziert sich für die Ausführenden das Wissen der Möglichkeiten, was zu tun ist, auf ein Minimum. Aus der Vielfalt des Geschehenden wird das gewählt, das jetzt und in diesem Moment die innere Bildung in der Zeit gewährleistet."

Aktion

Bei einigen Indianerstämmen Nordamerikas gab es ein Fest mit dem Namen Potlatsch. Es wurden viele Geschenke verteilt, aber auch Wertgegenstände zerstört. Nicht als agressive Geste, sondern um unter dem Zeichen der Verschwendung den Charakter einer richtigen Gabe zu offenbaren. Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten der Gabe: bei der Einen gibt der Mächtige dem Unterstellten und unterstreicht mit dieser Demonstration seinen sozialen Rang. Die andere ist, wie die richtige Rede, vollkommen frei von irgendeiner Zweckgebundenheit. Es ist eine Handlung als Mensch unter Menschen.

Aktion

Wer versteht oder beurteilt, ob eine Handlung eine "richtige" war oder nicht? Diejenigen, die diese Handlung ausüben, und diejenigen, die ihr beigewohnt haben, im Falle einer Vorstellung das Publikum.
Eine Performance vermag "communitas" herzustellen. Communitas ist, der Ethnologie zu Folge, eine Gemeinschaft; eine außerhalb der momentan geltenden Sozialstruktur, außerhalb der momentan geltenden gesellschaftlichen Verhaltensnormen spontan entstehende, auf unbegrenztem gegenseitigem Verstehen basierende Gemeinschaft.
Jeder kennt diese Momente, in denen man das Gefühl hat, man sei eins mit allen und allem; es ist eine Art instinktives, luzides Eintauchen in das, was Martin Buber als wesenhaftes "Wir" bezeichnet 4 . Ein Erlebnis, das einer Erleuchtung gleichkommt.
Man kann annehmen, das jeder spirituellen Gemeinschaft, jeder Utopie von Gesellschaft der Versuch zu Grunde liegt, diese persönliche Erfahrung von communitas in ein Regelsystem zu übertragen, in der diese als besonders "wahrhaftig" empfundene Form der Interaktion zur Grundlage des Zusammenlebens werden soll.
Victor Turner, einer der führenden Theoretiker der Performance im ethnologischen Sinne, schreibt dazu Folgendes:
"Menschen, die in Form spontaner Communitas miteinander agieren, werden total von einem einzelnen, durch » Fluß« (Verschmelzen von Handlung und Bewußtsein) geprägten Ereignis absorbiert."5
Und hierin ist der utopische Entwurf aber auch die Möglichkeit des Scheiterns der Idee BLACK MARKET zu finden: Spontane communitas, die durch theoretische Konzepte in ideologische, oder durch ein Regelsystem in normative communitas übertragen wird, verwandelt sich in Zwang, und verunmöglicht geradezu das Entstehen einer neuerlichen spontanen Situation.
Um dem zu entgehen, versucht BLACK MARKET keinen Stil aber auch keine Abgrenzung gegenüber anderen Stilen festzuschreiben, sondern versucht ein offenes, ständig wechselndes System der Begegnung als Plattform der künstlerischen Arbeit anzubieten.
Zbigniew Warpechowski hat nach der ersten Performancereihe von BLACK MARKET folgendes dazu geschrieben:
"... Einige Monate nach dieser Reihe von verschiedenen Performances, dieser Reise, kann ich folgendes zu meinen Erfahrungen sagen: Der geistige Dialog, der gemeinsame Versuch, geistigen Kontakt aufzunehmen, setzt gute Vorbereitung, innere Einstellung und bewußte Isolierung, Geschlossenheit, Ausscheiden aus der Normalität des Alltags und seiner Bedingungen voraus. Ebenso Ablehnung aller Zwänge und Kontakte nach außen. Zugleich bedeutet das: der Verzicht auf Egoismus, Konkurrenz, Bevorzugung, Ränke oder Ähnliches. Die Zeit dieser Isolation kann so lange dauern bis jeder 'keinen Weg' mehr weiß. Jeder braucht seine Zeit, um aus seinem eigenen psychischen Rhythmus herauszutreten und in den gemeinsamen Rhythmus des 'Nicht Sein', der zwanglosen Zustimmung für 'BEDEUTUNGS-LOSIGKEIT' überzugehen. Das bedeutet Aufhebung des 'Künstler - Sein' und: Aktionen in der Kunst. Diese Voraussetzungen können nicht dauernd eingehalten werden und sind auch nicht dauernd erfüllt worden...
Die Bedeutung von BLACK MARKET kann als 'Erfolg' oder 'gescheitert angesehen werden, nicht aber als Erlebnis 'Black Market' mit seinen transzendentalen Erscheinungen..."

Zbigniew Warpechowski 6.

Aktion

Jede Art der Handlung oder der richtigen Rede ist grundsätzlich monologisch, und geschieht auch in einer temporären Gemeinschaft wie BLACK MARKET als paralleler Monolog. Doch die Performance entsteht als das Mehr aus der Summe der Monologe im "Dazwischen". Peter Brook untersucht es als das "in between", beispielsweise als das zu gestaltende "Zwischen dem Schauspieler und dem Zuschauer", in der japanischen Kunsttheorie ist es das "MA", auf das der einzelne Akteur nicht direkt zugreifen kann. Er kann nur versuchen, eine Situation zu schaffen, sie zu bewegen, mit ihr zu spielen, sich in sie hinein- oder aus ihr hinaus zu bewegen, in der die Performance als Bild der Begegnung entsteht.
Im zweiten Heft von BLACK MARKET schreibt Boris Nieslony dazu:
"Das immaterielle Zentrum der Performance, jeder Begegnung, das gemeinsame Wissen ist: das Zwischen-den-Menschen; Das Zwischen-den-Dingen; Das Wissen über den Ton, die Frequenz, die Nähe und Ferne und all die unaussprechlichen Dinge des Herzens 7.

Schlußaktion


1. Marvin Carlson: Performance. Routledge, 1996. S. 106
2. L.. Anderson seit 1976 durch Glass' und Wilsons Einstein on the Beach dazu inspiriert worden, ihre bis dato kleindimensionierten Stücke zu großen Multimediaswows wie United States weiterzuentwickeln. Carlson S. 114
3. Im Sinne Aristoteles wie in der Nikomachische Ethik, Buch I,5 dargelegt. Zitiert in Hannah Arendt: Vita Activa, Serie Piper, 1994. S. 144ff und Anmerkungen S. 319
4. Martin Buber in: Ich und Du, 1923
5. Victor Turner: Vom Ritual zum Theater, Fischer, 1995, S. 74
6. Zbigniew Warpechowski in: BLACK-MARKET - Performances, Hrsg.: Neue Galerie Kassel, Verlag Michael Kellner, Hamburg, 1986
7. Boris Nieslony in: BLACK-MARKET - Performance, Heft 2, Hrsg. Black Market International


http://www.asa.de
Das Copyright für ASA-Beiträge liegt uneingeschränkt beim ASA-Köln
Das Copyright für Beiträge von anderen Quellen liegt bei dem jeweiligen Autor