Kathrin Hixson
Essentielle Magie: Das Werk Francesca Woodmans
Es ist mein Bild, das ich vervielfältigen will,
aber nicht aus Narzissmus oder Grössenwahn,
wie man allzuleicht glauben könnte, im Gegenteil:
Ich will, zwischen so vielen trügerischen
Gespenstern meiner selbst, mein wahres Ich,
das ihnen zugrunde liegt verstecken.
Italo Calvino, Wenn ein Reisender in einer Winternach
Wer bist du ?
Ich bin die Seele im Fegefeuer.
Andre Breton, Nadja
In einer unbetitelten Fotografie von 1975 / 76 steht die Gestalt Francesca
Woodmans im Profil in einem schwach beleuchteten Raum eines verfallenen
Hauses, ihr langes. blumenbedrucktes Kleid unscharf, angehalten in seiner
ausschwingenden Bewegung von der Kamera. Ihre Hände deuten in theatralischer
Geste auf eine halboffene Tür, in der dicke Schwärze steht. Woodman
schaut den Betrachter mit einem Blick an, der in ihrem Werk immer wieder
erscheint und der zugleich einlädt, verschwörerisch und verführerisch
(Komm doch mit auf meine dunkle Reise! ) und anklagt. herausfordernd
und trotzig ( Wie kannst du es wagen, mich so anzustarren! ). Aus diesem
Blick spricht Ambivalenz, der unersättliche Wunsch nach Erforschung
und Erkundung. der Woodmans ganzes Werk durchzieht. Sie verwendet das Medium
Fotografie ganz ähnlich wie seine frühesten Vertreter, nämlich
zur Schaffung eines persönlichen Bildvokabulars aus den Möglichkeiten
des Mediums selbst. Der dramatische Gehalt und die knappe Form ihrer kleinformatigen
schwarzweissen Fotos deutet darauf hin, dass Woodman in der Erkundung fotografischer
Mittel ihrer eigenen Identität auf der Spur war, indem sie immer wieder
den Körper, meist ihren eigenen, darstellte, in Bewegung und in vertrauten
Räumlichkeiten.
Woodmans Werk ist, wie ihr Leben, das sie 1981, im Alter von 22 Jahren,
selbst beendete, unfertig. Es ist unmöglich, ihre Fotografien ohne
persönliche Anteilnahme und eine gewisse morbide Faszination zu betrachten,
die nach Hinweisen, Spuren, Andeutungen sucht für ihre unwiderrufliche
Tat. So besteht die Gefahr, dass die Bewertung ihrer Arbeiten durch ihren
Tod verzerrt wird, verehrt wie die Statue eines jungen griechischen Helden,
der in der Blüte seiner Jugend fiel. Die emotionale Komplexität
und technische Vielseitigkeit des Werkes weisen jedoch jeglich banalisierende
Glasglocken-Psychoanalyse zurück. Die eindrückliche Präsenz
des Werkes war jedoch vom Tod der Künstlerin unabhängig und beruht
vielmehr auf der vollen Ausschöpfung der fotografischen Darstellung
vitaler Grundzüge des Lebens selbst.
Dennoch ist die Beschäftigung mit diesem Werk im Rahmen des zeitgenössischen
Kunstschaffens 1992 ungewöhnlich und bedarf der Kontextualisierung:
so darf man den zeitlichen Produktionsrahmen von 1975-81 nicht vergessen
und ebensowenig das Alter der Künstlerin, das zwischen 15 und 22 lag.
Woodmans fotografischer Stil steht in einer Tradition, die bis zu den romantisierenden
Porträts von Künstlern des 19. Jahrhunderts wie Nadar, Lady Clementina
Hawarden oder Julia Margaret Cameron zurückgeht und ihre Gegenstände
auf emotionale Wirkung hin präsentiert. In ihrer Evokation einer ortsabhängigen
Emotionalität stehen Woodmans Fotos in der Tradition eines Eugene
Atgets und André Kertesz , während sie in der Verwendung
des weiblichen Körpers als transzendenter Ort formaler Schönheit
eher an die Aktstudien Edward Steichens, Alfred Stieglitz und Harry
Callahans erinnert.
Woodmans künstlerische Anliegen stehen jedoch einer jüngeren,
feministischen Bewegung der siebziger Jahre am nächsten, wo amerikanische
Künstlerinnen den weiblichen Körper als Ort einer Identifikation
erforschen, der untrennbar mit dem dafür gewählten Medium selbst
verbunden ist, wie zum Beispiel in den Videowerken Elizabeth Antins oder
der Malerei Nancy Speros. Ähnliche Darstellungsformen des weiblichen
Körpers als Ursprung von Macht, zweideutig in seinem Verhältnis
zu gesellschaftlichen und intimen Kräften, finden sich auch in den
zeitgenössischen Werken der Videokünstlerin Sadie Benning und
der Installationskünstlerin Ann Hamilton. Woodman, Benning und Hamilton
bieten in ihrer Kunst gewissermassen sich selbst dar, riskieren den eigenen
Körper als Ort ästhetischer Abstraktion.
Als heranwachsende junge Frau scheint Woodman die Fotografie zur Entdeckung
ihres eigenen Körpers zu verwenden, um sich selbst ihrem Blick auszusetzen.
Ihre Bilder spielen die Rolle eines Tagebuches, in dem ein sich entfaltendes
Bewusstsein mit Gefühlen experimentiert, die in persönlichem
Interpretieren und Reagieren auf die Banalität und das Trauma des
Alltags entstehen. Sie sind aber ebenso artistische Experimente, viele
darunter ausdrücklich als Studienarbeiten ausgeführt, die ihre
wachsende Kenntnis des fotografischen Mediums belegen. Aus ihnen spricht
jugendlicher Überschwang und Elan, die Bilder werden zum Ort der Persönlichkeitsfindung
durch künstlerische Produktion.
Woodmans Bilder sind nicht dekonstruktiv, sondern konstruktiv. Reflexion
und Mimikry sind Schicht um Schicht in den Fotos übereinandergelegt,
um die allzu durchsichtige Aufzeichnung der Wirklichkeit zu stören.
Sie werden so zu psychologischen Porträts körperlicher Identität
anstatt zu identitätsbestimmenden körperlichen Abbildungen, die
die Psyche freilegen. In einem Bild widerspiegelt sich das Gesicht einer
am Strand liegenden Frau in einem Spiegel, den eine zweite, stehende Frau
sich vors Gesicht hält und verfremdet so die Identität beider.
In einem anderen Bild stehen drei nackte Frauen etwas linkisch zusammen
und halten sich Porträtmasken vor, die alle dasselbe Bild von Woodmans
eigenem Gesicht zeigen. In mehreren ihrer Bilder sind die Gesichter abgeschnitten,
im Schatten oder vom Betrachter abgewendet. Multipliziert, übertragen
oder ganz einfach verweigert, wird die spezifische Identität des Gesichts
in das Gesamte des Körpers aufgenommen.
Woodmans Verwendung des weiblichen Akts und ihres eigenen Körpers
scheint weder offen politisch, weder Forderung nach Befreiung des weiblichen
Bildes von der patriarchalischen Kultur, noch Zurschaustellung, die von
dieser Kultur ausgebeutet werden kann. Sie benutzt den weiblichen Akt vielmehr
ungeschminkt und unverhohlen zur Erforschung ihrer eigenen Identität.
Im Spezifischen ihres eigenen Körpers sucht Woodman die allgemeinen,
klassischen und zeitlosen Aspekte physischen Lebens darzustellen. Die Fotografie
braucht sie nicht zur Abbildung spezifischer Details zeitgenössischen
Lebens, sondern um ihrer Möglichkeit willen, das Wesen der Dinge zu
erfassen.
In Woodmans Arbeiten lässt sich die Entwicklung einer individuellen
Persönlichkeit in den archetypischen Bildern eines idealisierten Körpers
und Raumes verfolgen. Woodman zeigt den nackten Körper oft in kleinen,
leeren Räumen und impliziert damit eine enge Beziehung zwischen reinem
Körper und reinem Raum. Diese Beziehung wird ausgedrückt und
in Bewegung gesetzt durch den Körper selbst, der durch Langzeitbelichtung
als verwischte, gespenstische Form erscheint. Ein exemplarisches Bild ist
das einer auf einer grossen Museumsvitrine hingesunkenen nackten Frau,
deren Körper die Oberkante markiert, während im Glaskäfig
der Vitrine selbst die verwischte Form einer zweiten Frau, in Kauerstellung,
einen vorzeitlichen, animistischen Tanz zu tanzen scheint und damit den
Innenraum in Bewegung setzt. Das Zusammentreffen von Körper und Raum
markiert deutlich die materielle Grenze des abgebildeten Raumes, während
die Gesten der Figuren die psychologischen Aspekte zum Ausdruck bringen:
Freiheit und Mattigkeit, Gefangenschaft und Panik. In einer etwas barockeren
Variante zum Thema stellt Woodman sich selber als schlafende Figur dar,
die aus dem halbgeöffneten Glasschrank eines naturhistorischen Kabinetts
herausragt, gefolgt von einem ausgestopften Waschbär und einem Fuchs,
beide in drohender Aggression, aber noch erstarrt hinter Glas.
Fast alle ihre Fotografien sind Aufzeichnungen von speziell für
die Kamera inszenierten Szenen, darunter gedämpfte und feierliche,
theatralische und dramatische, einige genau koordiniert, andere lässig
und spontan. Dieses schauspielerische Element durchzieht ihr Werk mit einer
Art symbolischer Erzählung, die sich aus spezifischen privaten Handlungen
zusammensetzt, in denen Woodman mit den Beziehungen zwischen Körper,
Zeit und Raum experimentiert. Gelegentlich vermischt sie diese Grundelemente,
so dass sie sich zu einem unauflöslichen Kontinuum zusammenballen,
das der Darstellung widersteht. In der Reihe
Selbsttäuschung ( Self-Deceit ) erscheint ihre Gestalt in
einem niedrigen, verfallenen Innenraum in einer Reihe von Posen vor einem
Spiegel. Dieser Spiegel gibt aber nur Lichtreflexe und Dunkelheit wieder
und blockiert so die Figur durch seine aggressive Leere. Die übliche
Klarheit von Spiegelungen, die Bestimmtheit fotografischer Aufzeichnungen
verschwinden wie um anzudeuten, dass die simple Darstellung nicht ausreicht,
ein Individuum oder eine Idee zu erfassen.
Das Ungenügen der Darstellung und gerade dadurch sein unfehlbarer
Reiz als Mittel zur Selbstdefinition wird klar in einer Serie von Fotos,
die Woodman in einem verführerischen Tanz mit einem Spiegel in ihrem
Studio zeigen. In mehrfachem Voyeurismus, sich selbst zuschauend, wie sie
sich selbst anschaut, um Fotos von sich selbst zu machen, wie sie sich
selbst zuschaut, umstellt Woodman den Betrachter mit einem Netz von Selbstdarstellungen.
Ihr Protofeminismus taucht explizit in einer der Fotounterschriften auf,
Die Frau ist der Spiegel des Mannes. Indem sie sich gestisch dem Spiegel
unterwirft, unterwirft sie sich ihrem eigenen Spiegelbild, aber indem nur
dieses Spiegelbild schaff eingestellt ist, verweigert sie sich dennoch
der Manipulation durch den Betrachter.
In einer der Selbsttäuschung - Aufnahmen drängt Woodmans
Gestalt sich hinter einen an der Wand lehnenden Spiegel. Sie versteckt
sich auch hinter einer Glasscheibe in der oben beschriebenen Spiegeltanzserie.
In einer Reihe von Aufnahmen von Charlie, ihrem männlichen Modell,
hält dieser Zeichnungen von sich selbst vor den Körper und
verdeckt seinen Oberkörper mit einer Glasplatte, deren unterer Rand
in seine gespreizten Oberschenkel einschneidet. Die Durchsichtigkeit des
Glases und die reflektierende Undurchsichtigkeit des Spiegels oder der
Zeichnungen markieren zwei Pole von Darstellung, die dem dargestellten
Gegenstand ebenso gewalttätig wie bereitwillig entgegentreten. Woodmans
Ambivalenz ihrer Selbstdarstellung gegenüber legt es nahe, die Abstraktion
des Körpers auf ein Abbild oder eine Widerspiegelung als Notwendigkeit
zum Schutz des Individuums vor unmittelbarer Gewalt zu verstehen, wobei
diese Abstraktion andrerseits, gerade durch ihre Verallgemeinerung, dem
Spezifischen des Körpers abträglich ist.
In ihren Bewegungsstudien bei offenem Verschluss reduziert Woodman
den Körper auf reine Kraft, materiell fast vernachlässigt. Sie
fügt sich ins Tapetenmuster ein, verschwindet hinter dem Kamin oder
versinkt in die Ecken des Raumes. In zwei Aufnahmen ihrer Haus - Serie
( House ), Bilder von 1975-76, wieder in einem abfall-übersäten,
verfallenen Innenraum aufgenommen, erscheint ihr Körper beinahe durchsichtig,
löst sich im Raum auf und verbindet sich so mit dem Ort in einer unauflöslichen
persönlichen Erinnerung. In diesen Aufnahmen ist ihre Präsenz
unsicher, festgemacht bloss am Woodman-Blick , mit dem sie fest in die
Kamera blickt, sich selbst und den Betrachter anschaut.
Woodman verwendet die Fotografie zu einer Art mythologisierender Reflektion,
als ein Medium, das Bilder einzufangen, festzuhalten und aufzuzeichnen
vermag, die wir in normalem Erleben nicht zu erfahren, sondern bloss uns
vorzustellen vermögen. Die Bilder von ihr selbst und von verwischten
Bewegungsabläufen sind Verdinglichungen eines Ideals, das die physischen
Grenzen des spezifischen Körpers überschreitet. Sie verwendet
das fotografische Medium seiner magischen Eigenschaften wegen und verschmilzt
seine Möglichkeit zur Darstellung des Imaginären mit der Fähigkeit
der Vorstellungskraft, den Körper als Hülle und Verkörperung
seiner eigenen Transzendenz zu begreifen. Diese spirituelle Macht stützt
sich auf die Entwicklung historisch geformter Vorstellungen von Transzendenz,
die Woodman in ihrer Enge/ - Serie ( Angel ) und der Studie für
ein Tempelprojekt ( Study for a Temple Project ) verfolgt, möglicherweise
angeregt durch ihre Begegnung mit religiöser und klassischer Kunst
in Italien. Im Tempelprojekt sind lebende Frauen als Karyatiden in
losen Gewändern abgebildet, die den Faltenwurf der griechischen Statuen
nachahmen. Die Fotos sind jedoch auf Schulterhöhe beschnitten,
so dass die Köpfe und erhobenen Arme der Figuren wegfallen und die
dadurch entpersönlichten Körper jegliche Individualität
praktisch ausschliessen. Die heiter-eleganten Figuren sind demzufolge nicht
Ausdruck grosser Unterdrückung, sondern einer unerschütterlichen,
idealisierten Stärke, die von ihrer ebenso idealisierten Schönheit
unablösbar ist. Die Tatsache, dass es sich um Karyatiden handelt,
bezeugt Woodmans Interesse an Raumgestaltung durch den menschlichen Körper,
in diesem Fall als Teil der Architektur selbst, als Stütze, die den
Raum erst erschafft. Im Bild der Karyatide, die den Tempel stützt,
wird der idealisierte materielle Körper mit einem Raum verbunden,
der eigens auf spirituelle Transzendenz hin gebaut ist.
Der Engel, sowohl Verleugnung wie Glorifizierung des Physischen, ist
die vermittelnde Kraft zwischen materiellem Leben und spiritueller Abstraktion.
Woodman stellt den Übermut physischer Befreiung in einem Bild dar,
in dem sie die Arme der Kamera entgegenstreckt und mit ihren hochgeworfenen
Brüsten und offenem Mund, schreiend aus Angst oder Lust, ein Bild
der befreiten Psyche im Flug darstellt.
In einem anderen schrecklich-schönen Bild hängt eine Frau
an den Händen in einem Türrahmen, in makelloser Kreuzigung. Ihr
Körper zeigt keine Anzeichen von Schmerz, sondern scheint überirdisch
und schwerelos, schwebend im Raum. Diese Darstellung der Ekstase in engelhafter
Transzendenz und Schwerelosigkeit erscheint mehrfach in Woodmans Werk;
und es ist genau diese Verbindung romantischer Fantasie mit der klassischen,
physischen Abbildung des Körpers im Raum, die die Stärke ihres
Werks ausmacht. Woodmans persönliche Vision erweitert das fotografische
Medium bis an seine Grenzen - seine Magie, seine realen Abbildungsmöglichkeiten,
seine manipulierten Widerspiegelungen von Realität. Woodmans persönliche
Vision scheint sich im fotografischen Prozess selber zu erweitern, durch
den sie die Möglichkeiten der Vorstellungskraft in bezwingenden Darstellungen
des Körpers und der Psyche und ihren Verbindungen zu Zeit, Raum und
Bewegung erforscht, auf der Suche nach dem Wesentlichen. |