Performance Art und Fotografie

Zu Beginn meiner Tätigkeit als Performancekünstlerin vor Publikum/ZuschauerInnen/ PassantInnen – meist zusammen mit der Künstlergruppe BREITENGRAD alias Gruppe SCHNEBLIND alias Staatl. Breitengrad Ensemble – stand ich Dokumentationen sehr kritisch gegenüber, da ich (subversiv) nur den Schaffensprozess an sich, das direkte Erleben und Kommunizieren anstrebte.

„Es muss nicht jeder „Kunstfurz“ dokumentiert werden“, lautete unser Statement Anfang der 80er Jahre.

Seitdem ist für mich das Verhältnis von Performance Art zur dokumentarischen Fotografie stets neu auszuloten im Spannungsfeld der Pole von:

Inszenierung   <> Spontaneität

Dokumentation  <> Authentizität

Vermarktung   <> Leben

Vermitteltes   <> Unvermitteltes

Verwertbarkeit/Nutzen <> Spiel

Selbstdarstellung  <> Wir-Gemeinschaft

Posen    <> echtes Erleben

Einstudiertes   <> Zufall

Choreografie   <> Experiment

Wiederholung  <> Einzigartigkeit

Theater   <> Echtheit/direktes Sein

Bühnenrolle   <> Sich Selbst-Sein

Ernüchterung  <> Rausch

Perfektion   <> Dilletantismus

Da ich seit Anfang der 90er Jahre verstärkt Soloaktivitäten nachgehe und mich auf spezifische Themenschwerpunkte in Zusammenhang mit „meiner Handschrift“ und meiner Biografie konzentriere, hat sich mein Verhältnis zur Fotografie als Dokumentationsmedium geändert.
Ich bitte FotografInnen, Aufnahmen von Performances zu machen und ich freue mich über zugesandte Fotos von zufällig fotografierenden Anwesenden. Diese Fotos dienen als Beleg, Relikt, künstliches Abbild, Dokumentation der Live-Performance.
Während des Agierens in der Performance bemerke ich FotografInnen und Blitzlichter kaum (wenn, dann nebenbewusst), da ich selbst zu konzentriert in/ bei/ außer mir bin, um darauf zu achten. Daher erlebte ich als Performierende FilmerInnen nie direkt als Störenfriede. 

Später, beim Anschauen der Videodokumentationen, fallen mir jedoch „Kameraleute“, die durchs Bild laufen als sehr störend und ablenkend auf. 

Aus der eigenen Sicht einer Zuschauerin von Performances gehen mir Blitzlichter und herumlaufende FotografInnen und FilmerInnen sehr auf die Nerven. Unumgänglicherweise habe ich sie im Laufe der Zeit in meine Wahrnehmung von Performances als festen Bestandteil des Ganzen integriert:
Es gibt eben individuell unterschiedliche Vorgehensweisen von Seiten der DokumentarInnen“ – von sensibel-zurückhaltend bis nervend-lästig.

Aus dieser Reflexion entstand gemeinsam mit Manfred Hammes die Idee, im Rahmen einer „short pieces“-Performance einen „Sketch“ für die Fotografen darzustellen. Manfred Hammes kündigte an und kommentierte offensiv: „Alle „Medienzecken“* herschauen .... das Foto des Abends!!!.... Draufhalten!...“ und ich entblößte lakonisch-unspektakulär meine rechte oder linke? Brust. (Anlässlich der Ultimate Akademie Präsentation in der Chaos-Galerie 1997) 

(*Zitat von Pietro Pellini).

Was als Misstrauen gegen das dokumentarische Foto anfing, erfährt heute die vielfältigsten Einstellungen im Spannungsfeld der oben dargestellten Dichotomien: 

Ich sehe das Verhältnis von Performance und Fotografie heute eher als kreative Wechselwirkung, Fotografie als selektive Spiegelung/ als Spiegel, als bildhafte Dokumentation für Publikationen (Kataloge, Zeitungen, Kunstmagazine, Websites) und Archive. 

Das Foto hat nachhaltigen Charakter, ist aber für mein Verständnis der „eigentlichen“ Performance (als „reinen“= ursprünglichen, zeitbasierten auf Realpräsenz des Künstlers und des Publikums setzenden Prozesses) nicht nötig. 

In dieser Hinsicht wird es ebenso legitim, unter Studiobedingungen passende Fotos „zu stellen“, bzw. ein (subversives?) Spiel daraus zu machen, Orte und Begebenheiten zu erfinden und diese Fiktions-Fotos je nach Bedarf biografisch beliebig zu ordnen.

Mit dem, was ich früher eher ablehnte, nämlich Materialisiertes und damit Bleibendes zu schaffen und als dokumentarisch belegte Spuren zu hinterlassen, gehe ich jetzt –aus Erfahrung – anders um, weil ich es schon oft bedauert habe, von Aufführungen aus vergangenen Zeiten keinen fotografisch-filmischen Beleg = Nachweiserinnerung zu haben (allenfalls existieren noch Skizzen oder Notizen).

Ein anderer kritischer Aspekt ist der, dass Fotos das „wirklich Gesehene“ schön kaschieren können: durch fotografische Einwirkungen (Lichteffekte, Perspektive, Zoom, Farbe,.....) entstehen „Abbilder“, die Zeit, Raum, Dabei-Sein gar nicht realistisch wiedergeben oder die von den jeweiligen PerformerInnen vielleicht nie bewusst intendiert waren. Derart festgehaltene Bilder werden aber andererseits bei Veröffentlichungen erinnerungs-prägend und entwickeln ihre eigene Geschichte....

Da ich seit vielen Jahren „Kunst-Reize“ durch Kataloge, Kunstmagazine, Internet, Live-Performances und Ausstellungsbesuche rezipiere und erlebe, habe ich manchmal das Gefühl, als hätte ich etwas „live“ gesehen und dabei war es „nur“ die Erinnerung an eine Fotoabbildung oder die mündliche Beschreibung/Überlieferung eines Live-Dabeigewesenen. Oder Umgekehrtes passiert: sämtliche  Erinnerungen an ein bestimmtes „Live-Dabei-Sein“ als Zuschauerin oder Akteurin fallen aus meinem Gedächtnisspeicher heraus, ... dann ist die dokumentarische Fotografie immerhin Erinnerungsfragment.

Karin Meiner
Köln-Burgbrohl, im August 2002


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