Performance und Publikum / Material Ersterscheinung TheaterETCETERA / Spielart 2001 Boris Nieslony Mit welchem Recht steht ein Mensch vor einem anderen, einer Gruppe Anderen und sagt dieses, macht jenes, greift sogar ein. Dieses Recht kann in das Ent-Setzen fallen oder gleichermaßen in das Ver-Stehen. (I might have looked at you straight in the eye, but I've turned you to stone...) Vito Acconci Performance und Publikum Doch - Begriffe werden gebeugt. Was bringt Menschen dazu "sich publik zu
machen" und wiederum andere dazu "Publikum zu sein". Konsens der
Betrachtung, eher wohl nicht. Die tiefste Wurzel liegt wohl in der "Bindung",
religare, religio. Das Gemeinsame, das Zusammenfassende als symbolische Verbindung, das in
profanen und sakralen Ritualen gezeigte einigende Gemeinsame. Das Privileg derer, die
Zugang zu den Bedingungen haben, unter denen sich die Dispositionen dauerhaft entwickeln
lassen. Verfügung. Verwendung, dem Staat "zu eignen". Wenn ich mir das so
sachte, zeitraubrend im Hirn kon-zentriere, ist für mich der Grund gegeben,
"Publikum" in jeder Hinsicht aufzulösen, dies hat die Aktionskunst, der
Aktionismus, das Happening und die Performance Art seit 50 Jahren angestrebt, mit dem
Banner der Kompetenz. Das Interesse der Betrachter, der Zuschauer als Beobachter In der Sprache der PERFORMANCE -ART ist jeder Entwurf eines Weltbildes Gestaltung, Identität und möglicherweise seine Verwerfung zugleich: Die Performance ist in einem Zeitverlauf, der "Jetzt" genannt wird, ein komplexes Spiel des Zusammenwirkens verschiedenster Medien. Der geneigte Zuschauer kann an dem Entwurf eines Weltbildes, einer Idee, ihrer Ausbildung und ihrer Verwerfung direkt betrachtend anteilnehmen. Dies ist bei jeder Performance grundsätzlich anders, was in der Natur der Weltbilder liegt. Die können sich ähneln, sind jedoch bei jedem Menschen einmalig, womit wieder ein anderer Faktor der PERFORMANCE-ART ins Spiel kommt. Sie hat Sprachcharakter und entzieht sich durch ihre Lebendigkeit einer schnellen Stilbildung. Die Relation Akteur - Betrachter hatte für die Performancekünstler ab den sechziger Jahren einen Werkstattcharakter der ästhetisch-sozialen Forschung. die Performer testeten in ihren Experimenten nicht kunsthistorische Fragen, sondern Systeme politisch relevanten Verhaltens und sozialen Handelns - weshalb sich die Performance als Speerspitze eignete und "Gebrauch" wurde für den Feminismus, Queer- und Genderentwicklungen bis hin zu "Cultural Studies" und den Populär-Kulturen. Man kann sagen, daß es fast eine Epistomologie des Experiments gab, jedenfalls weideten die Berichte der Performance-Festivals in diesen satten Gefilden. Die Hoffnung lag blank, die Figur des Beobachters als Aura lebendiger Veränderung. Dagegen stelle ich heute eine Dürre fest. Nur haben die Künstler die Rechnung nicht mit der allgemeinen Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse gemacht - die Macht der Quantität läßt keine Experimente und keine "Naivität" in ästhetischen und ethischen Fragen zu. Analog einer optischen Täuschung unterliegen die Künstler, wenn sie "Kunst und Publikum" thematisieren (nicht nur da), permanent einer referentiellen Täuschung. Auch die seismographische Reaktion als "Stilmittel" zeigte sich als Sackgasse und blieb schönes Event bei den Präsentationen von Fluxus Partituren. Der Begriff "ästhetische Rationalität" beinhaltet, trotz entwicklungsfähiger Deutungsmöglichkeit, eine ziemlich starre Sicht auf das Verhältnis "Künstler - Publikum". Wenn es gelingt, diese in die Vernunft der Beziehungen zu leiten, kann ein Einblick in die Differenz entstehen. Wenn nicht mehr vom Publikum als Privileg oder vom Publikum als Kompetenz zu sprechen ist, ist aber zu sprechen vom Privileg einer Gruppe von Betrachtern, Zuschauern, die sich in einem Interesse definieren und dort Kompetenz und Urteilsvermögen einsetzen. Die Differenz des Interesses ist auch in den Künstlerinnen und Künstlern vorhanden. Ca 110 verschiedene Performance Art Definitionen ( bis jetzt aufgefunden ) haben auch ebensoviele, sich auch überschneidende Ansprüche an den Betrachter. Die Begriffe "site specific" und "situation" bedingen wiederum weitere Ausformungen von Interessen-Gruppierungen der Betrachter. Das Publikum als "Material" thematisiert hat Allan Kaprow in seinen ersten " 18 Happenings in 6 Parts" 1959 in der Reuben Galerie N.Y. Diese Idee, eine mehr oder weniger zufälligen Anwesenheit einer Gruppe von Personen als prozessuales Kunstwerk zu erklären entwickelte sich aus der Environment Art (Kunst, die das Ziel hat die menschliche Umwelt zu gestalten). 1964 wendete sich Kaprow in einem Gespräch mit George Brecht gegen die allgemeine Anwendung des Begriffs Happening. Tatsächlich bezeichnete es in der Entwicklung des Begriffs für die große Öffentlichkeit jede Art von ziemlich Zufälligem und üblicherweise schadlosem Ereignis, dem gegenüber Kaprow jede Verantwortung ablehnte. George Brecht thematisierte das Vorkommnis kleiner, unwichtiger Ereignisse auf der Straße. Ihn interessierte schon, wie wohl alle Künstler der Aktions-Kunst, die "Wirkung". Vito Acconci setzte sich in dem Loft in dem er lebte auf eine Stufe der Treppe des Treppenhauses und ließ keine Personen vorbei, die in die höheren Etagen wollten, weder Besucher, noch die in den Lofts wohnenden Menschen. Diese Behinderung geschah mit Drohgebärden, verletztenden Reden, etc. Eine andere Nutzung des Publikums als Material im Happening wurde z.B. in dem Happening "In Ulm, um Ulm, um Ulm herum" praktiziert. Das Publikum wurde mit Bussen aus Ulm herausgefahren an einen nicht gerade verkehrstechnisch günstigen Ort. Dort wurde es ausgeladen und die Busse fuhren weg. Das Happening fand durch Überlassung in einer Situation statt. Noch eine Variante von Allan Kaprow (Pasadena 16. April 1973, Gespräch auf Tonband), die aufzeigt, wie "Das Publikum" aufgelöst und zwischen Betrachterin/Betrachter und Künstlerin/Künstler ein anderes Verständnis in der Wirkung angestrebt wurde. "Der Mann von der Strasse. Der Mann von der Strasse besteht aus einer Konglomeration von Spezialisten, Ladenbesitzern, Kriminellen, Arbeitern, ... es ist ein Ausdruck ohne jegliche Meinung. Es gibt keine begrenzte Zuhörerschaft. Es ist einfach was man in jeder grossen Stadt sehen kann. Und dann, wenn man zum Mann auf der Strasse in einem kleinen Dorf geht, ist dieser wiederum sehr verschieden. Es könnte ebenfalls ein vorübergehender Tourist sein. Der Mann von der Strasse ist ein Klischee, unterstelIend, dass ein Unterschied zwischen wahrem Humanismus und einem Menschen im Elfenbeinturm bestehe. Das ist eine ideologische Frage. Die dahinter steckende Frage ist, auf welcher Seite man sei: auf der Strasse oder im Elfenbeinturm. Meine Antwort darauf ist, dass ich mich gewöhnlich in einem Flugzeug irgendwo befinde, von hier dorthin gelangend. Es gibt Tausende von Leuten in Flugzeugen und Tausende, die auf der Strasse laufen, sie sind von den verschiedensten sozio-ökonomischen Gruppen. Es gibt nur eine unglaublich starke Vermischung, die die ganze Zeit in Bewegung ist. Niemand ist auf einer bestimmten Stelle, niemand rechts oder links. Das sind sehr fragmentarische Positionen, sehr momentane. Wahrscheinlich ist sogar einer, der immer in derselben philosophischen Position verharrt, ein Idiot." Terry Fox: "Darum geht es in der Performance. Ich begann 1970 Performances zu machen. Zu jener Zeit gab es kaum jemanden in den Staaten, der Performances machte, bis Vito Acconci und Dennis Oppenheim damit anfingen.1967 lebte ich in Amsterdam, danach 1968 in Paris. Als ich nach Paris zog, war dort Revolution. Die Kunstschulen waren geschlossen und die Künstler machten Plakate und Straßentheater. Bis zu diesem Moment war ich Maler, ich machte keine Skulpturen. In Paris hatte ich meine erste Idee für eine Skulptur, die aus merkwürdigen Dingen bestand, denn ich hatte keine Geschichte oder Ausbildung als Bildhauer. Ich hatte so etwas noch nie vorher gemacht. Was ich in Paris sah, war live, und anstatt eine Skulptur zu machen und sie in eine Galerie zu stellen, wo sie vielleicht loo Leute im Monat sehen könnten, machte ich etwas auf der Straße. So konnten es looo Leute in einer Stunde sehen. Ich machte Skulpturen, indem ich Hydranten öffnete. Ich mochte es, dem Wasser zuzuschauen, wie es die Straßen hinunterlief, ich mochte es, immer wieder den Hahn aufzudrehen und wegzulaufen. Auch das Werfen mit Pflastersteinen und die Polizei, alles war Skulptur für mich. Dort fing es an und ich fand, dass Skulptur etwas für ein Publikum sein sollte. Für mich ist eine Performance eine Form von Skulptur, die vor einem Publikum stattfindet. Es wird sichtbar, wie sie gemacht wird. Das ist wie aufgehendes Brot. ich habe das oft in Performances an verschiedenen Orten gemacht. Man riecht das Brot und die Hefe im Teig. Zuerst ist er einfach flach auf dem Boden und wenn er warm wird, vergrößert er sich und steigt und steigt und dann kann etwas anderes passieren. So etwas ... Das war für mich ein Weg, wirklich den Inhalt dessen, was Kunst sein könnte, zu erweitern." (Terry Fox, Ocular Language, Salon Verlag) Wenn Larry Miller, einer der Jüngsten der Fluxus-Künstler und Künstlerinnen einen Fluxusabend gestaltet, sind dreiviertel der Stücke und Events von anderen Fluxuskünstlern entworfen. Dies ist nicht neu, da Partituren auch Interpreten benötigen. Was aber der Beachtung bedarf, ist der Moment in der Struktur des Events. In der Musik wird eine Anforderung an den Interpreten gestellt, die einer geregelten Sportveranstaltung mit Leistungsbewertung entspricht. Fluxus hat durch die Wahl des Materials, durch die Vorgabe der Handlungsweise etc. eine völlige Negierung all dieser Fakten angestrebt. Das dies durch den Druck des Marktes und der Eigendynamik (Erwartungshaltung) der Rezeption meistens nicht gelang, ist eine andere Geschichte, Künstler wie Robert Filliou, John Cage oder George Brecht haben ziemlich deutlich gemacht, daß der Ort des Geschehens ein Ort der Bindung ist, er ist "Maßlos". Erwartungshaltung ist nicht zu modifizieren, zu unterlaufen oder an der Garderobe abzugeben, nur eine teilhabende, ergreifende Begriffenheit, eine methodisch angesetzte Aufmerksamkeit ermöglicht ein annäherndes Verständnis zu "Performance". Wenn zu bestimmen sei, wo Performances ihren Ort zu haben hat, dann da, wo Menschen die "Wertform" ihrer Existenz mit anderen Menschen aushandeln und ihren Ort mit den anderen Lebewesen dieser Welt und ihre Stellung im Kosmos bestimmen, wo Kultur der Moment ist, indem die Menschen sich die Gestaltung des Lebens teilen. Esther Ferrer. Im Juni 2000, in San Sebastian/E, Strand und Strandpromenade. Eine Gruppe von 16 Personen, Stühle tragend, erreicht den Strand, stellt die Stühle ab, erklimmen die Felsen am Rand des Strandes, positionieren sich und beginnen eine Partitur aus dem Repertoire von ZAJ vorzutragen. Die Anwesenden bestehen aus einigen "Eingeladenen", den Künstlern des Festivals und einer Menge Badender und Promenierender. Dieses "Publikum" ist nicht zufällig, denn der Ort wurde von Esther Ferrer ausgesucht, die Anwesenden wurden zu "Publikum" gemacht. Valerian Maly & Klara Schilliger. Wassern - Performance anlässlich des Performancetages Seedamm-Kulturzentrum Pfäffikon/CH am 28. März 1998 "Die Veranstalter verlegten für einmal den Performancetag auf das Motorschiff "Albis". Die Performances fanden auf einer Rundfahrt des Motorschiffes auf dem Zürichsee statt. Da einer Rundfahrt auf dem See künstlerisch eigentlich kaum etwas entgegenzusetzen ist, verlegten wir unsere Performance ausserhalb des Motorschiffes. Mit einem alten Stehruderboot ruderten wir vor die Reeling der "MS ALBIS", von der aus die Passagiere unsere Performance betrachten konnten. "Wassern" ist jener Vorgang, der bei einem Holzschiff jährlich wiederholt wird; das Boot wird mit Wasser gefüllt, damit das Holz quillt und die Planken wieder dicht werden. Wir füllten vor Publikum das Boot mit Wasser und skandierten dazu die Namen der auf der MS ALBIS anwesenden Passagiere, bis das Boot mit uns unterging." Das geladene "Publikum" in den für das Ereignis vorgegebenen Raum eintreten lassen, dann schließt der/die Performer von innen zu und die Personen sind ausgeliefert, wie es z.B. Nikolaus Urban oder Mike Hentz mit der Gruppe -delta t ausführten. Personen wurden gefangen genommen und gefesselt. Nikolaus Urban verband sich die Augen und stach mit einem Messer ausholend um sich. Orlan. Daß ihre Performances (Operationen) die Betrachtung nur noch über Kamera, Kabel, Satelit und TV ( in klassisch ausgerichteten Ausstellungsräumen und überall wo ein Fernseher und eine - wie auch immer zu definierende Gruppe Zuschauer sich niederlassen kann) ermöglichen. Die anderen Ebenen ihrer Veröffentlichungen sind Informationsveranstaltungen und Vorträge. Oder bei Stelarc, wo es keine Betrachter mehr gibt sondern Eingreifende, die durch Mausklick elektronische Impulse in seinen Körper senden und ihn zu Bewegungen animieren, die außerhalb seiner Kontrolle und nur in physikalischer Mechanik des Bewegungsapparates liegen. (Nicht beschrieben werden hier seine Demonstrationen, die wie bei Orlan als klassische Vorträge auch das klassische Publikum zeichnen.) Rent an Artist von ASA-European hebt den Unterschied zwischen Betrachtern und Akteuren in der Weise auf, daß dieses Prinzip durch ein eingeschobenes Informationsmedium geleitet wird und daß nur noch Akteure existieren, ohne daß etwas dargestellt wird, außer das Informationsmedium, z.B. ein Bürocontainer im öffentlichem Raum, das Vermittlungsgespräch, etc. Black Market International hat seinen Schwerpunkt in der Darstellung der Begegnung als "Modell von Begegnung". Deshalb ist es für diese Association unerheblich, ob sie ihre Auftritte in hermetischen Räumen eines Ausstellungsbetriebs, in der Öffentlichkeit, z.B. einem Marktplatz, im Studio eines Radios oder in "site specific installationen" ausführt.(z.B. eine marode Reithalle wird für ein Begegnung angemietet) Black Market International zeigt eher damit, daß ihre Aufführungen an jedem Ort möglich sind. Die langen Zeiten und die Struktur der Performances läßt dem Betrachter Raum,zu kommen und zu gehen, wann er will, denn auch die Zeit ist Ausschnitt und Modell für eine Kontinuität der Begegnung. Ma Liuming. Die Einbindung des Betrachters in die Performance als Mitspieler bis hin zu dem Umschlag, daß der Betrachter der Performer wird und der einladende Performer sich ausblendet. (Ma Liuming nahm in seinen letzten Performances Schlaftabletten.) Viele Performances überlebten und überleben nur als Mythos durch Mediengeschichte. Wenn z.B. Karel Dudeseck und Bernhard Müller in amerikanischer Soldaten-Uniform durch das noch kommunistische Polen reisen und den Führer der freien Gewerkschafr "Solidarnosc" Lech Walesa besuchen, oder das Bangkok-Projekt der schon genannten Gruppe - delta t. "Publikum" sind dann die Medienrezepienten. Ein anders Beispiel: Jan Bas Ader versendet eine kleine Postkarte mit der Information, daß er mit einem kleinen Ruderboot den Ocean überqueren will und dies dann "auf nimmer wiedersehen". Um hier auch den Performancebegriff (un)zulässig zu dehnen, die "Unsichtbare Performance". Als Beispiel Judy Radul in Vancouver inszeniert kleine Aktionen als private Rituale, als diskrete Intervention, die eingreifende Veränderung in eine, irgendwie sowieso ablaufende Begegnung, ereignislos oder als partizipierendes Ereignis. Die Intervention als intentionsloses Ereignis, die Störung im Ablauf und Betrieb oder hier auch keine Zuschauer, keine Betrachter und Beobachter sondern der Betrachter/Leser/Rezipient als Medium, als Speicher für Erinnerungsenergie. Überdehnt wird der Begriff Performance meines Erachtens in der Nutzung des PC's und des Intenet. Auch überdehnt erscheint mir in dem Bereich von "Beobachter" zu sprechen, denn dort öffnen sich andere Ebenen der Wahrnehmung, möglicherweise ein autistisches Zeitalter. Als eine junge Frau wütend aus dem kurzen Konzert herausrennt, rennt John Cage hinterher, holt sie ein, bringt sie wieder in den Konzertsaal und redet mit ihr. Auch dies ist Verantwortung als Geistesgegenwart dem Betrachter gegenüber. Nachdem der Performer das Hier erwirkt, schreitet der Betrachter gleichzeitig dazu, sich in das Jetzt zu entrücken. Entrückt sich der Betrachter in das Jetzt, geschieht die Performance als Geistesgegenwart. Epilog In dem kleinen Werk: "Leben und Lehren als Aufführungskunst" schrieb Georg Brecht 1969: Wenn Du etwas wissen willst, verbringe deine Zeit mit Jemandem der etwas weiß. Und Geld, mehr Geld, sehr viel Geld an das geschätzte "Publikum", nicht sponsoriert wie jeder "Gemeine Theatersitz", sondern wie es geschätzter G. H. aus L. als Ansatz und Vorbild tat, das Potlach, die Gabe an sich. Franklin Aalders beschrieb Performance: Leben worauf ein Medium gerichtet ist und ich antwortete ihm. Das einzige Medium mit Qualität ist jeder andere Mensch Oder, wenn das Leben zur "Kunst" geworden, (Regression im Dienste der Qualität des Interesses), dann ist Performance wie ein einziger langer Tag - morgends und abends fährt ein lebhaft-besetzter Zug vorbei der nicht hält Boris Nieslony, 2001 Durch jedes Medium, in das es fällt, nimmt Licht den kürzesten Weg. Was Richard Feynman, den lehr-reichsten unter den Physikern, zur Frage verlockte, ob es seine eigene Formel weiß Performance und Publikum / Material ...wie das Öffentliche sich in einem kleinen Fehler demaskierte - schrieb ich doch: Der äffentliche Raum. Vor den Banausen gespielt, die Jubeln, dabei hab ich doch so schlecht gespielt. (Worte von Sviatoslav Richter) Wenn der Artist tot, vom Seil gefallen, dann erscheinen die Kommödianten um das Volk abzulenken. ...die Globalisierung in der Festivalkultur veredelt den globalen Kapitalismus. ...schön auch die englischen Bezeichnungen für den Zuschauer: beholder, viewer, spectator, Wie ein Performer sich selbst sieht, (From the semiotic perspective, which we adopt, the performer is a sign of himself) in seiner Gegenwärtigkeit und in seiner Relation zu all den Anderen und der Welt dies wird er auf jeden anderen projezieren und damit auch das Spektrum erstellen dessen, was dann Betrachter, Publikum, Zuschauer, Einschaltquote zu nennen ist. Das die Relation Performer und Betrachter in dem Begriff der Quantenpoetikeine Entsprechung findet. Und dass es doch Menschen gibt, die jeden anderen Mensch vor einem Bild, in einer Installation, in einer Performance oder zu einem Konzert als absolut störend empfinden. Der ausgestellte Mensch ist zentraler Untersuchungsgegenstand. Und wenn der Betrachter auch aus den meisten Handlungsabläufen ausgeklammert bleibt, er vom Direktbeteiligtem beim Happening zum passiven Zuschauer wird, so ist es doch gerade diese seine ihm zugedachte Rolle. die zu intensiver Konzentration zwingt. Das Beteiligtsein am Entstehungsprozeß des Gesagten, ist einem Beteiligtsein an den Findungen der Kunst gleichzusetzen. (Georg. F. Schwarzbauer) Am verläßlichsten ist die Erinnerung des Zeugen - eine Rolle die ich oft gespielt habe. Eine Performance erlebt man am wirkungsvollsten, wenn man auf die Subjektivität der instabilen Kräfte zugeht, deren Zeuge man ist. (Rob La Frenais) (How does this observation make my judgement ambiguous.) What he is feeling is the unfair manipulation of himself we have been aware that performance did not necessarily need an audience. lt could be done as an activity, in which the performer was his own audience so to speak. (Kirby 1971, p.7O) Vito Acconci engaged in a similar activity each morning for a month. He used a small stool as a step and stepped up and down tat the rate of thirty steps a minute as long as he could without stopping. Although the piece was performed at his home, the public was invited to visit him any morning at 8:00 am during the time it was being executed. If he wasnt home, he performed the activity wherever he happened to be. Alle materiellen Erscheinungen auf der Bühne sind Zeichen, die auf eine in ihnen abwesende Bedeutung hinweisen Spaltung des Akteurs in Person und dargestellte Rolle, in Subjekt und Objekt der Darstellung Subjekt-Objekt-Spaltung auch zwischen Zuschauern (die Schauenden) und Akteuren (die Geschauten) Zuschauer wird in interaktiven Kommunikationsformen zum Teilnehmer an gemeinsamen Handlungen Stelarcs Körper wird so zum Bestandteil eines Maschinensystems. Sein Körper ist mit dem Internet verbunden und zugleich ein Teil des Netzwerks. Der Zuschauer kann zwar interaktiv agieren, übt aber in gewisser Weise noch die Kontrolle aus, da er die oben beschriebenen Erfahrungen Stelarcs nicht am eigenen Körper nachvollziehen kann. Bei einer gegenseitigen Vernetzung aller Teilnehmer jedoch gäbe es keine Zuschauer, sondern nur noch Beteiligte. Mit diesem Modell der Interaktion auf digitaler Basis wird das Prinzip der Delegation - der Akteur opfert sich für die Zuschauer, die eher passiv bleiben und Akteur und Regisseur untergeordnet - aufgehoben. Alle Teilnehmer werden zu Akteuren, die für ihr eigenes Tun und das der anderen verantwortlich sind. (Dirk Fenske) Die künstlerische Performance entspricht dem Übergang vom Schrifttheater zur digitalen Performance. Sie reproduziert bereits die technische Unmittelbarkeit, hält dieser aber noch ein zentrales Element des Repräsentationsmodells der Schrift entgegen: die Trennung des Zeichens in Signifikat und Signifikant, die durch die Rezeptionstätigkeit des Zuschauers aufrechterhalten wird. Der Zuschauer wird zum Garant der Kontrolle über die technische Unmittelbarkeit. Erst auf dieser Grundlage wird es dem Akteur möglich, sich der neuen, von der elektronischen und digitalen Technik erzeugten Unmittelbarkeit seines Körpers und seiner Existenz auszusetzen. Dabei kommt es zur Veräußerung des Repräsentationsmodels der Schrift (Martina Lecker) (Hier die Kritik ansetzen, dass es immer direkte Kommunikationsmodelle gibt, die der direkten Rede und das die digitale Kommunikation ein Verhindern ist.) Publikumspreis SHRINK seeks to provide a safe and entertaining place where audience members and performers alike can have a true, passionate exchange of information and feeling.Some of Los Angeles's leading, loving and edgy performance artists will take part in SHRINK, a unique interactive performance event during which members of the public are invited to sit with an individual performance artist of their choice and engage in real, unbridled discourse about things that are important to them, or be "psycho-analyzed" by that lay person for approximately 10 minutes.Working within a context of frank "authenticity" and "honesty," the performers in Shrink will attempt to bypass the normal conditions of care and propriety between analyst and subject and impart uncensored opinions and advice in an unfettered, verbal manner. Each performer will entirely improvise each encounter, thereby creating highly individualized experiences for each audience member.Audience members may rant, rave, rail and rejoice as these seasoned performers assist them in their path to enlightenment. DISCLAIMER: SHRINK is solely a performance art event.Crazy Space and the performers in Shrink are NOT professional psychologists, psychiatrists or psychological specialists in any way, shape or formnor do they pretend to be, and they do not assume any liability whatsoever for any "advice" they give to the public. Audience: The audience is the catalyst for my work. I love them for taking the time to see me perform, and I wish to give them something meaningful. Without them its just an empty space with a lot of potential. (Perry Venson) Audience: My art is private in conception and becomes public as it matures. The audience is the completion of this process. (Michele Fitzsimmons) The pace of the performance changes with a dead audience or a live audience. lt is to the audience that I am giving - their reception affects my methods.(Jean Parisi) Terry Fox : It is like performance. I began to do performance in 1970. At that time there was hardly anybody in the States doing performances until Vito Acconci and Dennis Oppenheim did it. I Iived in Amsterdam in 1967 and in Paris in 1968 and when I moved to Paris in 1968, there was the revolution. The art schools were closed and the artists were making posters and street theatre. Until then I was a painter and did not make sculptures. In Paris I had my first idea of a sculpture, which consist of odd things, because I did not have a history or a training in sculpture. I had not done it before. What I saw happening in Paris was done live and so instead of making a sculpture and put it into a gallery where maybe 100 people would go to in one month I rather would do things in the streets. So 1000 people would see it in one hour. I started making sculpture by opening fire-hydrants. I liked the water running down the streets: turning and running, turning and running. Even the throwing of cobble stones and the police all that was sculpture to me. It began there and I felt that sculpture was something what you do for an audience. For me a performance is a form of sculpture being done in front of an audience. It be-comes visible how it is done. It is like raising bread. I have done that a lot of times in performances in a lot of different places. You smell the bread and the yeast in the dough. First it is just flat on the floor and when it gets warm it expands and rises and rises and something else can be happening there. Like that. ... So for me it was a way of really broadening the content of what art was. (Page 201) Hallo Boris / hallo Gerhard Danke für den Text Immer mehr scheint mir: Die ganze Welt kann als eine einzige Ausstellung begriffen werden. Es ist gar nicht so einfach herauszudenken, wie sich die Kunstaus-stellungen in Bezug auf das "Ausstellen" vom Rest der Welt unterscheiden. Um mit Bourdieu zu sprechen, wenn ich ihn richtig verstehe, ist doch ausstellen: die Veröffentlichung konzentrierter Interessen und ihre Repräsentationen. (wenn ich Walter Benjamin richtig verstehe - Passagenwerk). Kunst ist doch in der Sicht eine (mehr oder weniger) uninteressante Variante aller Repräsentationen. Interessant war die Diskussion der "Veröffentlichung" in den achtziger Jahren (z.B. wie wir sie mit Büro Berlin geführt haben - siehe ihr Buch ) die Veröffentlichung und deshalb nutze ich diesen Begriff auch lieber, unterscheidet sich von der Ausstellung durch die Intention. Ausstellung ist ein technischer Vorgang - durchaus mit Möglichkeiten die Ebene der Ausstellung zu verlasen und eine Repräsentation zu werden. Ausstellen ist ein horizontales Selektionsverfahren. Veröffentlichen ist ein vertikales Wirkungsverfahren, an zentralen Nerven einer Gesellschaft angeschlossen. Dies gilt für Performance auch, meines Erachtens Also - Die ganze Welt ist Ausstellung und die ganze Welt ist Performance ? ...und jedes Objekt kann auch ein Objekt der Kunst sein. Durch die Verfahren, ja, ist jedes Objekt "Träger" einer Intention. Vielleicht ist "Kunst" nur dann wirksam, wenn es außerhalb dieser Verfahren wirkt, als "Erstellen eines unmittelbaren und intentionslosen Wertes" , der für diese Person Welt darstellt. Die Aufgabe des Zuschauers ist nicht mehr die mentale Rekonstruktion, das Wiedererschaffen und geduldige Nachzeichnen des fixierten Bilds, sondern die Mobilisierung der eigenen Reaktions- und Erlebnisfähigkeit, um die offerierte Teilnahme am Prozeß zu verwirklichen. Die performative Setzung mißt sich nicht an vorgängigen Kriterien, sondern vor allem an ihrem Kommunikationserfolg. Der Performer im Theater will im Prinzip nicht sich selbst transformieren, sondern eine Situation und vielleicht das Publikum. Mit anderen Worten: selbst in der noch sehr auf Präsenz orientierten Theaterarbeit bleibt die Transformation und Wirkung der Katharsis 1) virtuell, 2) freiwillig und 3)künftig. Das Ideal der Performance Art ist dagegen ein Prozeß und Moment, der 1) real, 2) emotional zwingend und 3) hier und jetzt geschieht. Thies Lehmann This occurs in the entry on performance by the ethnolinguist Richard Bauman in theInternational Encyclopedia of Communications. According to Bauman, all performance involves a consciousness of doubleness, through which the actual execution of an action is placed in mental comparison with a potential, an ideal, or a remembered original model of that action. Normally this comparison is made by an observer of the action -the theatre public, the schools teacher, the scientist - but the double consciousness, not the external observation, is what is most central. An athlete, for example, may be aware of his own performance, placing it against a mental standard. Performance is always performance for someone, some audience that recognizes and validates it as performance even when, as is occasionally the case, that audience is the self. (Marvin Carlson) On the other hand, the system is closed: if I both start and end the (same) action, Im circling myself up in myself, Ive turned myself into a self-enclosed object: the viewer is left outside, the viewer is put in the position of a voyeur. ( lts as if I got side-tracked: I started out by thinking of you - but, then, working on myself in order to have myself presented to you, I became wrapped up in myself. So my concentration, my efforts, remained on art-doing, not art-experiencing. But, no matter how self-enclosed I became, I must have had a viewer in mind all the time: by closing myself up in myself, lve fixed an image of myself, and that image has to have someone in mind, someone it can be presented to: its as if, under the guise of concentration, training, meditation, all I was doing was setting up a pose.) (...) lts this phase of the work that might, finally, be claimed as performance: roleplaying - I act out my life in front of others, I change my life to be handed over to others.- (Vito Acconci) (...) By the creation of symmetrical or complementary relationships between audience and performers, that is, relationships between equals. Examples of complementary relationships with an audience include inviting observers to become active participants, making observers inadvertent performers by incorporating their responses in the performance, or by giving their responses an overriding importance in determining what is performed and/or how it is performed.(Richard Hertz) ( ), audience and performer become indistinguishable. (ununterscheidbar) Other than the photographer and the unsuspecting participant there was no audience for Lynn Hershmans live performances. The performance was communicated to the audience as a documentation the performer must make it possible for the public to realize its own incapabilities and accept them ... Thus the enjoyment of something tragically total or absolute, along with what might be called the nostalgia for a prenatal situation (to be found transferred into the relationship between artist and public), eliminates or distances the suspicion that the goals of the communication are obscured or secretive. The public is needed to complete the event; it must be involved in a collective experience that leads it to reconsider its quotidian existence and the rules of its ordinary behaviour. This is seen as the end of the norms of passive contemplation and now the public is to serve as a sounding box. The relationship between public and artist becomes a relationship of complicity. The artist offers his hand to the spectator and the success of the operation depends upon how and how much the spectator is willing to accept it. The gesture of the artist who makes the proposition acquires significance only if his actions are met by an act of recognition on the part of the spectator. The artist needs to feel that the others are receptive to him, that they are willing to play the game of accepting his provocations and that they will give him back his projections. lt is indispensable that the public cooperate with the artist since what he needs is to be confirmed in his identity. The behaviour of the spectator is a gratification for the artist just as the behaviour of the artist is a gratification for the spectator. When the public allows itself to be used, the artist has found an other who is willing to give him reassurance in the fantasy or utopianizing world that he is attempting to make visible and the experiment works the other way round as weIl. But sometimes the situation becomes a question of anything goes and we end up with reciprocal deception. This is due to the fact that the spectator is a masochist desirous of being punished. (The function of the punishment would be to eliminate feelings of guilt and the possibility for a successive moment of pleasure.) And thus we approach a kind of aesthetic terrorism that considers itself based upon a vigorous opposition to the phenomena of elitist and consumer art. But it is legitimate to ask a question. One wonders if these new ceremonials havent continued to be rechannelled, commercialized and instrumentalized in ways that are as new as the art itself. (Lea Vergine, in Bodylanguage 1974) The artists flesh often gives the impression of having been exposed to damaging conditions, or having taken into itself something of the work, and possibly the force necessary to have made an object presentable as art. But we never had to empathise, as we do now, with the physical violence that materialised art because it has become dramatised by the artist who plays the role of its victim. (p.30) The critic has become an unwilling participant. By merely viewing the act he has in some ways counselled it. lts o.k. if Van Gogh offers us a surrogate for his act (his self portrait) or Schwarzkogler a photograph, but looking on while they do it? Absolutely not ! The viewer must in these circumstances feel some sort of responsibility (Bruce Barber about Max Kozloffs Essay: Body and Performance Art) I have an animalistic kind of impulse to leave an aromatic impression on peoples bodies and feelings so even if I was forced to silence, ld penetrate anyway. lm a charismatist. I love audiences, performing for them is very sexual, my contact with them arouses me, the sexy females in the audience, or more abstractly, the audience made of breathing, hearts, salivas, eyes, noses, ears, hair, sweat, its very exciting.(Charlemagne Palestine) Two cameras, one pointed at the artist and the other at the audience, emphasized the subject/object relationship and the perfectly natural desire to see yourself as others see you. COMING TO SPEECH / Philip Monk Coming to Speech raises the unspoken problematic of the audience in performance, as a specific occasion of the role of the viewer in art and interpretation in general. lt develops the conjecture that the specific entry of body and language in minimal, conceptual and body art during the 60s culminates in the position and speech of the viewer in performance art. Performance is this possibility of coming to speech and a rupture with the normal structural position of the viewer/receiver in art. Performance must account for this excessive role of the viewer in the doubling space of -speech and body, as a reception on the surface of the body and a coming to speech: the role of the viewer is performative. While performance may question Ianguages and codes, it potentially constructs itself as a conventional act. As such, a theory of performance must be able to account for effects within a conventional, even representational, act, which includes an audience. The notion of the performative, or speech acts, is adapted, since performative utterances can create or define new forms of behaviour within the conventional. What the performative entails must be thought through - including its necessity of a conventional procedure and a receiver of the act. While effects may be produced by the performance, they are carried out and away by the viewer. This is no secure discourse between performer and viewer: the subject is brought to crisis; infelicities work through the viewer as a delay, difficulty or resistance, and serve to let the particular analysis of a performance come to completion in the speech of the viewer. (...) Es ist der Albtraum für jeden Sänger, wenn die Stimme schlapp macht. Morgens aufstehen und nur noch krächzen können, wenn du auf einer Live Tournee bist, ist das Schlimmste. Vergleichbar der Impotenz. Da hilft keine Pille, die Stimme ist einfach weg. Normalerweise versuche ich Probleme auch zu verarbeiten, indem ich mit anderen darüber spreche aber diese ganzen Übungen fallen dann aus. Vom Arzt kommt die Anweisung, sofort den Mund geschlossen zu halten. Du bist also isoliert und spürst plötzlich, an was für einem dünnen Faden deine ganze Power hängt. Du fühlst dich wie ein Wurm. So ging es auch Bono 1993 in Köln. Seine Stimme war total angegriffen. U2 hatten uns damals als Vorgruppe auf ihre Stadien-Tournee durch Deutschland eingeladen. Ich hatte Bono hin und wieder ein paar seiner Bühnenansagen ins Deutsche übersetzt es war die Zeit unmittelbar nach den Brandanschlägen auf eine türkische Familie in Solingen. Bono wollte nicht irgendein dummes Zeug schwafeln, sondern zumindest mit ein paar Sätzen in radebrechendem Deutsch klar machen, dass ihm durchaus bewusst war, was sich damals in Deutschland abspielte. Ich konnte das gut nachvollziehen. Aber richtig näher gekommen sind wir uns, als ihm fast die Stimme weg blieb. Vielleicht habe ich da den Grundstein für unsere Freundschaft gelegt. Und zwar mit einem lnhalator. Ich ließ ihn mein Kamillendampf-Inhaliergerät benutzen, und er war echt dankbar. Bonos Stimme war damals wirklich kaputt. Ich kenne dieses ganz blöde Gefühl, wenn man sich überlegt: Soll man jetzt die Zugabe noch geben, oder macht die Stimme nicht mehr mit? Kommt man an diesen Punkt, wird die Tournee zur Hölle. Dann dreht sich alles nur noch ums Durchhalten. Jedenfalls: Bono hat es damals geholfen. Ich habe ihm dann einen Inhalator geschenkt. Solange wir in der Nähe waren und es verfolgen konnten, hat er auch jedes Konzert durchgekriegt. Ich selbst hatte 1988 einen Stimmband-Anriss, der mich extrem nachdenklich gemacht hat, denn ich stand mit dem Rücken an der Wand. Man muss aber kein schlauer Typ sein, um in solchen Situationen die Message zu erkennen. Ich hatte mir damals alle möglichen Sachen reingepfiffen, die schlecht für die Stimme sind, die den Hals austrocknen und auch sonst nicht gerade gesund gelebt. Alkohol und gestreckte, billige Drogen. Reines Kokain konnten wir uns damals nicht leisten. Ich kriegte also einen Kreislaufkollaps und diesen Stimmband-Anriss. Der Arzt sagte ganz klar: Das machst du noch drei Monate, dann kannst du dir einen neuen Job suchen. Der einzige Ausweg war die Vollbremsung. Die erste Phase nach der Ausheilung war hart: Ich musste lernen, nüchtern auf einer Bühne zu stehen und zu singen. Anfangs kam ich mir regelrecht nackt vor. Dann fing ich an, es zu würdigen. Nüchtern hast du eine andere Sensibilität, nimmst eher die Atmosphäre in der Halle wahr. Sind die heute entspannt oder aggressiv? So kannst du besser auf Stimmungen reagieren und womöglich dem Abend noch eine entscheidende Wendung geben. Vollgepumpt wie ich früher war, habe ich gar nichts gemerkt, außer was bei mir im Schädel war. Das konnte an den besten Tagen genial sein und an den schlimmsten Tagen, von denen es deutlich mehr gab, die allerletzte Scheiße. Eine Menge Auftritte habe ich aus dem Grund versemmelt. Aber außer den Stimmbändern können auf Tour noch ganz andere Sachen zu Bruch gehen. Bono hat sich mal einen Arm gebrochen auf der Bühne, ich habe mir einen Kreuzbandriss geholt. Wir haben beide weiter gemacht. Anfangs weißt du gar nicht, was passiert ist. Weil du unter Schock stehst. Es ist aber absolut nicht so, dass du nichts spüren würdest, du so berauscht bist, weil 80000 Leute da stehen. Gegenteil, mein Kreuzbandriss damals tat höllisch weh. Es passierte in der ersten Minute, und es war eine Qual, die zwei Stunden durchzustehen. Ich war hoch gesprungen, beim Aufkommen klappte der Unterschenkel meines rechten Beines weg, und ich fiel hin. Ich konnte aber das Gelenk noch bewegen, mich aufrichten. Wir waren mitten im Lied, mir war nicht klar, was es ist. Und ich wollte nicht mittendrin Aua, aua, aufhören rufen. Es ging einfach nur darum, es durchzustehen. Ich wollte weder den Leuten noch der Band das Konzert versauen. Vor der Zugabe kam dann wenigstens so ein Landarzt, ein Vollprofi, der an meinem Knie rumdrehte, eine Beruhigungsspritze reinknallte und sagte: Junge, das geht jetzt wieder. Am nächsten Tag habe ich sogar noch ein Konzert in Holland gegeben. Das Bein war schon dreimal so dick wie normal. Nach vielen vielen Jahren stand ich da mal wieder total besoffen auf der Bühne, denn die Schmerzen waren unerträglich. Es war, glaube ich, kein besonders gutes Konzert. Erst einen Tag später bin ich dann zum Spezialisten gegangen: Miniskus im Arsch, Kreuzband gerissen, Innenbänder angeschlagen. Ich kenne aber auch Momente, in denen man weitergetragen wird. Wie bei einem Gig in Ostfriesland, das war in frühen Jahren. Da wussten die Leute noch nicht, dass man nicht zur Seite gehen soll, wenn der Sänger sich ins Publikum wirft. Sie sind also zur Seite gesprungen, und ich habe dann den Beton geküsst. Es war klar, dass ich in dem Moment nicht aufhöre. Dass ich erst nachher ins Krankenhaus fahre. Ich wollte auch nicht, dass zwischendurch einer kommt, um mich zusammenzunähen. Auf der Bühne zu stehen, hat auch viel mit Größenwahn zu tun, und der ist bei mir besonders ausgeprägt. Diese ganzen Klettereien im Lichtgestänge, auf Balkonen balancieren mit der Gefahr, 15 Meter in die Tiefe zu stürzen. Das mache ich, weil da Publikum steht. Wäre es nicht da, würde ich mich gar nicht trauen. Es ist immer ein Spiel mit dem Kick, dass die Leute Schiss um dich haben. Auf den Zeltdächern bei Festivals rumzulaufen, bei Rock am Ring sehen da 90 000 zu. Dieses Entsetzen in den Visagen fand ich toll. Ich kriege da oben schon mit, dass alle angespannt sind und jeder Kopf in meine Richtung geht. Bono ist ja auch schon auf Zeltdächern rumgeturnt, und drei Security-Leute wurden hinterher geschickt, um aufzupassen. Ich habe da ein klares Verbot ausgesprochen. Ich kann ja mein Leben riskieren, aber nicht das von anderen. Die können doch eh nichts tun, wenn ich zehn Meter vor ihnen ins Straucheln komme. Ich mache das auf eigene Gefahr und will das auch selbst regeln. Ins Publikum zu springen ist zwar auch nicht ganz ungefährlich siehe Ostfriesland aber die Motivation ist eine andere. Wenn ich glaube, nicht alles gegeben zu haben, ist die Springerei das letzte Mittel, um zu signalisieren: Ich bin einer von euch. Das hat bestimmt auch Bono im Kopf, wenn er von der Bühne springt. Wir sind aus der Punkbewegung entstanden, mochten die selben Bands, The Clash zum Beispiel. Eine der wichtigsten Messages damals war: No More Heroes, wir wollen nicht eure Helden sein. Natürlich funktioniert das nicht. Schon nach dem dritten Konzert bist du was Anderes, als der Kumpel von nebenan. Stage-Diving ist also ein hilfloser Versuch, das Gegenteil zu suggerieren. Aber das ist harmlos und deshalb auch okay. Dir strecken irgendwelche Leute die Hand hin, und du schlägst ein. Für sie ist es vielleicht ein Moment, den sie nicht vergessen werden, und dir macht es keine Mühe. Soviel zu den positiven Energien. Ich kann allerdings ganz schnell aggressive Gefühle entwickeln auf der Bühne. Ich bin da keineswegs Mr. Happy. Wenn mir einer blöde kommt, springe ich voll drauf an. ich würde sagen, ich bin in diesen Momenten gefährlich. Wenn einer zum zehnten Mal versucht, dir eine Zigarettenkippe in die Visage zu schnipsen, hast du die Wahl, der Security klar zu machen, dass er verschwinden soll. Oder du machst es persönlich klar. Da kommt es schon mal vor, dass du reinspringst. Ich würde davon aber abraten, weil die Stimmung sofort hinüber ist. Ich habe mehrere Abende zerstört, weil ich mich mit jemandem im Publikum angelegt habe und das Publikum entsetzt war. Entsetzt über diesen Typen, über mich, der da seine Position ausnutzt. Das schnallen sie schon, wer in diesem Moment der Überlegene ist. Auf der Bühne habe ich eine ganz andere Verhaltensmuster an mir als sonst. Weil ich jederzeit mein Gesicht verlieren kann vor all den Menschen. Wenn mich jemand irgendwo auf der Straße anmacht, dann ist mir das egal, weil niemand sieht, ob ich mich blamiere. Ich bin nicht so unter Druck und funktioniere logischer, vernünftiger. Aber auf der Bühne willst du dir den Schneid nicht abkaufen lassen, von niemandem. Und so entwickelst du auch wahnsinnige Kräfte. Es gab früher Tourneen, da hatten wir dauernd Kämpfe, im Publikum, vor den Konzerten und danach Schlägereien ohne Ende. Wir haben damals nicht oft verloren. Ich weiß nicht, was es ist, aber du wächst über dich hinaus. Du kannst gar nicht auf die Bühne gehen, ohne diese Erfahrung zu machen. Das ist wie mit einem Citroen, der geht auch immer hoch, bevor er losfährt. Eine gewisse Portion Unberechenbarkeit, ein Schuss Wahnsinn macht für mich die Faszination aus. Wenn Nick Cave an den Bühnenrand tritt, dann zucken die ersten zehn Reihen zusammen und denken: Hoffentlich packt der mich jetzt nicht an. Er hat ja gerne mal Leute am Scheitel rausgezogen. Diesen Schuss muss man beibehalten. Bono hingegen hat dieses Bedrohliche überhaupt nicht. Man hat zu keiner Sekunde das Gefühl, gleich geht Bono los und semmelt jemandem eine. Er wandelt quasi immer über dem Wasser und hat nichts Ruckartiges. Viel zu ruhig für unsere Musik. Aber vielleicht ist das auch der Schlüssel zu der positiven Stimmung im Publikum von U2. Es scheint immer so, als wäre die Party nur heute abend. Bei Bono wirkt alles leicht und spontan. Das hat was von einem Zauberkünstler. Es mag nach Größenwahn aussehen, wenn Bono zu Sunday Bloody Sunday mit einer weißen Flagge über die Bühne rennt oder ich auf dem Lichtgestänge rumturne. Ist es ja auch. Die entscheidende Frage ist aber, wie du mit diesem Größenwahn umgehst. Wie kommst du wieder auf die Erde? Oder fängst du an, es zu missbrauchen und auf dein tägliches Leben umzusetzen? Man muss unterscheiden zwischen Größenwahn als Kick-Moment auf der Bühne und als Macke, die man entwickelt, um Leute durch die Gegend zu bossen. Größenwahn, weil man die Euphorie nicht richtig verarbeitet hat. Das sind zwei verschiedene Arten. |
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