ROLF KIRSCH / 1998
ZUR DIALEKTIK VON GUTER UND SCHLECHTER KUNST

Als wär es ein Naturgesetz, so richtet sich jede Gesellschaft vertikal, d.h. hierarchisch ein. Der Begriff der Leistung spielt hierbei die wesentliche Rolle, wie auch immer diese definiert wird. Akzeptiert wird aber nur Leistung, die in der Logik dieser Vertikalität die höchste Wertschätzung verdient. Somit schauen alle Mitglieder der Gemeinschaft auf einen Popanz, der nur einer grandiosen Selbstgefälligkeit dient.

Wie nun die Gesellschaft im Ganzen, so sind ihre einzelnen sozialen Systeme, aus denen sie sich zusammensetzt in gleicher Weise geordnet. Damit ergibt es sich, das sich auch der Kunstbetrieb in einer vertikalen Ordnung befindet. Vertikalität betrifft hierbei Orte und Instanzen, durch die künstlerische Äußerungen an die Gemeinschaft zu vermittelt werden. Die Strukturierung verschiedener Ebenen als Qualitätsebenen entspricht der allgemeinen gesellschaftlichen Struktur und zeigt sich in der Einschätzung ihres kunsthistorischen Stellenwertes im Hier und Jetzt. Deutlich werden Unterschiede in der Stellung der Orte und Institutionen in Preisen, gesellschaftlicher Anerkennung und der damit verbun denen Förderung.

Künstler und Kunstbetrieb suchen einander in der Logik des knappen Gutes. Das Knappe, also Rare ist gut, und das Gute rar. Eine Präsentation in der Bundeskunsthalle ist alles, ein Auftritt an der Straßenecke nichts. Der Vielbesprochenene ist wichtig, der Unbekannte nichts. Das sind Mechanismen, wie wir sie aus den Wirtschaftslehren kennen und wie sie unseren Gütertransfer regeln.

Hinter all den verschiedenen Etiketten, mit denen nun die Bewertungen über die Kultur in einer Öffentlichkeit vorgenommen werden, steckt immer wieder ein Begriff von guter und schlechter Kunst. Gemäß dem allgemeinen Leistungsparadigma unserer Gesellschafft gilt der Schluß: Gute Kunst ist erfolgreiche Kunst. Aber erfolgreiches künstlerisches Arbeiten wird zwangsläufig zu angepaßtem Arbeiten, weil es die Akzeptanz der gesellschaftlich institutionalisierten Bewertungsinstanzen in Anspruch nimmt.

Insofern sich aber künstlerisches Arbeiten in einem "aufklärerischen" Prozeß befindet, muß es zu jeder Zeit den eigenen Standpunkt kritisch zum Umfeld überprüfen. Eine Deckungsgleichheit mit dem Selbstverständnissen einer Gesellschaft, wie sie aber für erfolgreiches Arbeiten nötig wäre ist so per Definition gar nicht möglich. Denn künstlerisches Arbeiten ist ja radikal verstanden ein Korrektiv zum gesellschaftlichen, und dabei auch allgemein-wirtschaftlichen Prozeß. Hierzu ist eine Autonomie des künstlerischen Prozesses notwendig, allerdings nicht als Selbstzugewandheit der Auseinandersetzung. Vielmehr geht es um die Erhaltung einer Unversehrtheit künstlerischen Arbeitens gegenüber den Übergriffen gesellschaftlicher Ansprüche, wie sie vor allem von der sich immer mehr etablierenden Mediengesellschaft ausgehen.

Als typisches Beispiel einer sich anpassenden Kunst stellt sich in den letzten Jahren die Installationskunst dar. Noch in den 80er am Rand des Kunstbetrieb agierend, läßt die zunehmend einseitige Betonung dieses Zweiges den Verdacht aufkommen, als suche ein, seiner Verwertungsprobleme bewußt werdender Kunstbetrieb in einer Kunstform sein Glück, die sozusagen als bessere Kulissengestaltung wenigstens über die "Abfilmung" eine optimale mediale Verwertung ermöglicht.

Gute Kunst ist also über die Akzeptanz gesellschaftlicher Institutionen erfolgreiche Kunst. Erfolgreiche Kunst ist über den Grad ihrer Anpassung aufgrund und durch ihren Erfolg sowie durch Aufgabe und Verletzung ihrer Autonomie schlechte Kunst. Gute Kunst ist schlechte Kunst und schlechte Kunst ist gute Kunst beschreibt nun eine Dialektik, die zur Aufhebung der gängigen Bewertungsschemata von Gut und Schlecht führt.

Tatsächlich gibt es aber nur ein Verhältnis von künstlerischem Anspruch und Realisierung innerhalb eines Werks. Rückt dieses Verhaltnis in den Mittelpunkt, ist die Beurteilung von künstlerischer Arbeit von allen fremden Ansprüchen befreit. In einer solchen Auffassung von künstlerischer Praxis haben weder formale, ideologische noch merkantile Erwartungen Platz. Stattdessen vermeidet eine permanente Reflexion um Anspruch und Umsetzung innerhalb künstlerischer Prozesse die fragwürdige Diskussion um die Qualität von Kunst.

Die Aufhebung der Gegensätze von "guter" und "schlechter Kunst" führt in letzter Konsequenz zur Performancekunst als einer Ausdrucksform, in der der Akteur frei von fixierten Bezügen zur Welt durch seine Präsenz im Raum künstlerische Ansprüche verkörpert und umsetzt. Und es versteht sich von selbst, das der aktuelle Kulturbetrieb die Performance nach wie vor kaum beachtet, entzieht sie sich doch in ihrem Selbstverständnis grundsätzlich seinen Bewertungsrastern.


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