ENNO STAHL
MENSCHEN KONFERENZEN + KULTUREN

(einige Anmerkungen zur Performance Conference 5, Bangkok - organisiert von der ULTIMATE AKADEMIE [Köln] in Zusammenarbeit mit Concrete House [Bangkok] & ASA European - unterstützt vom Goethe Institut Bangkok & der Ritter-Kunstförderung - nebst 1 Exkurs zur Chiang Mai Social Installation von Enno Stahl)

wer sagt: `ich glaube nicht an austausch´, war einfach noch nie mittendrin." (ernst stein)

CHIANG MAI: 28/11/97: Daß die Sonne über Asien, über Thailand anders scheint, war jedem klar & man betrug sich dementsprechend. Als (nicht-militärische) Vorhut in Chiang Mai ankommend, standen Anja Ibsch & ich zunächst einmal vor einem Nichts mit Lächeln: Ja, die asiatischen Künstler seien auch schon da, seien bereits an der Arbeit. Aber: nein, man könne sie jetzt nicht treffen & schon gar nicht etwa mit ihnen verabreden, wie die gemeinsamen Aktionen zu konferieren wären. Auch persönliche Treffen waren nicht drin.

Die Unterstützung vor Ort war ähnlich, du mußtest dein Ding selber machen und suchen - aber genau darin lag die Erfahrung, die man nun nicht mehr missen mag. Denn hier wurde bereits die 1. Leitung gelegt zum Kontakt: die eigentümliche Art, wie die künstlerischen Absichten realisiert bzw. auf die Gegebenheiten oder die situativen Erfordernisse (inhaltlich) umgestellt werden.
Die Erfahrung, daß in Asien manches so aussehen mag, als könne es nicht funktionieren, aber DU selbst einen Weg findest, eine Lösung - da Asien sie bereithält für dich (wenn du geduldig genug bist, wenn du nur schaust). Irgendwann stehen wir mit Ben Patterson am Tha Pae Gate, verabredet mit Uthit, dem Veranstalter, der aber nicht kommt. Statt dessen nahen von allen Seiten Leute - die thailändischen Künstler `shake-hands´ Vorstellungen: die 2. Leitung des Kontakts
Nach & nach folgen unsere Freunde aus Deutschland: der `support´ läuft besser, die Show geht ihren Gang & - die 3. Leitung wird gelegt -: jede/r erlebt seine/ihre eigene Geschichte: das Interesse der Menschen: die akzeptieren, was du tust, weil du etwas TUST: die Gespräche, welche sich anschließen - aufs Essentielle reduziert: ein Englisch der Hauptworte: Wesenheiten: Entitäten: & die zentralen Fragen: what you do?" - why you do?" - what`s your vision?" Fragen, die der europäische Künstler sich längst nicht mehr stellt (wieso eigentlich nicht?). wie dem auch sei: jede/r erlebt seine/ihre eigene Geschichte, hat einen ganz persönlichen Bezug & Kontext, erlebt eine eigene Erweiterung der Perspektive - organisatorische Mängel fallen so nicht ins Gewicht, man hat sie beinahe vergessen, man lebt damit. Überall sind immer & stets Fotografen, Presse-Menschen, Video-Documenter: nur nicht, als es tatsächlich wichtig wird: Tha Pae Gate (unser letzter Tag in Chiang mai): offene Diskussion: mit Studenten & Interessierten: jede/r kann teilnehmen auf dem öffentlichen Platz: jeder nimmt Teil: jede/r fragt: was habt ihr (ausländische Künstler/innen) wirklich zu sagen: what`s your vision?" - alle möglichen Übersetzer verschwinden (insbesondere deutsche Ansässige, denn sie glauben nicht an Austausch, ehe er überhaupt angefangen hat) - ABER - ÜBERSETZT - WIRD Bangkok, 7/12/97: beginnt mit einem Knall & 1 kommunikativen Katastrophe: ein Kennenlern-Essen-Trinken soll sein, im About Café. Alles umsonst - eigentlich Kurz vorher aber wird diese Maxime zurückgenommen: jede/r soll selber zahlen - doch der Laden ist ausgesprochen teuer. die meisten der Thai-Künstler können sich nichts leisten, holen sich Getränke von nebenan. Selbst für uns ist es nicht eben günstig - zumal wir das Ganze nicht verstehen, wir holen Bier & Schnaps für alle - ebenfalls im Kiosk" um die Ecke. Zum Glück hat sich Rolf Hinterecker nicht mit der Regelung abgefunden & interveniert: Getränke & Essen frei, wie geplant. Beifall & Gejohle: die vorher etwas verkrampfte Stimmung lockert sich sichtlich: alle reden mit allen: Japaner/in mit Chinesen(in), Koreaner/in mit Amerikaner/in, Deutsche/r mit Thai. Performer unter sich: die Spannung/Neugier auf die eigentliche Konferenz wird mehr als spürbar.
8/12/, Suan Pakad Palace: idyllisches Energieneutrum (das Hausenergie besitzt, die allerdings soeben umgewertet wird): noch ist durcheinander, noch ist niemandem klar, wo etwas klar werden könnte. In der Marsi Gallery liegen, stehen Stühle: seitwärts, überkopf, so&so und jedenfalls falsch: darauf liegen: Orangen, Limonen, Ananas, Zwiebeln, Ginseng, Papayas, Mangos & was alles sonst die hiesige Vegetation hervorbringt. Dann ertönt 1 Gong & Anja Ibsch fegt den Raum aus, füllt den Staub in 5 Gläser, gießt Wasser auf: trinkt: bringt 1 Toast aus: die Performance Conference 5 ist eröffnet! Volker Hamann streut direkt im Anschluß mit Mehl einen Kreis = versaut den Raum wieder: soviel zur Dialektik dessen, was folgen wird Was folgt, entspricht nicht den Erwartungen.
Man erwartet Gespräch. Man erwartet Probleme mit der Übersetzung. Es kommt gar nicht dazu. Die Fülle der Performer (über 60 sind gekommen, ein Drittel aus Deutschland, die anderen aus: Thailand, Singapore, Taiwan, Korea, Japan, Amerika, Schweiz), die ihre Aktionen in diesem Forum darbieten wollen, ist zu groß. Alles ist frei. Es gibt nur 1`time-table´: wer eine Performance machen will, trägt sich ein. es geht nach der Reihenfolge: es organisiert sich selbst. Das funktioniert perfekt. Aber - diskutiert wird nicht. Die Europäer, die sich mehr als 1 Performance-Festival vorgestellt haben, werden unruhig. Niemand schreitet ein. Es geht den Gang, den es gehen muß.
Performances, Performances, Performances.
Jede Performance besitzt eine unmittelbare Eigenart & Individualität. Das liegt in der Kunstdisziplin selbst begründet. Und in der Persönlichkeit der Leute, die sie ausüben. Die Spannung am ersten Tag ist beinahe unaushaltbar. Das Programm geht bis weit nach Dunkelheit. es regt auf. Trotz mehrerer Beruhigungsbieren im `Guest House´ findet Schlaf nicht statt.
9/12/, Suan Pakad Palace: am 2. Tag dasselbe Programm: ein nicht enden wollender Stundenplan: die meisten ULTIMATE-Mitglieder `canceln´ ihre Auftritte, um das Programm zu entlasten & die große Zahl der asiatischen
Performer/innen zum Zuge kommen zu lassen. Noch immer kein Gruppen-Gespräch. Aber `Live Art´ auf höch stem internationalen Niveau. Die Luft ist gespannt, daß die Fingerspitzen sie fühlen. Auch am Rande finden erst wenige Gespräche statt, wenngleich die Gesichter sich kennengelernt haben: Du warst doch der/diejenige, der/die jene Performance" Die ULTIMATE-Crew (die sich bislang zu sehr aus der Organisation herausgehalten hat) boxt nunmehr einen Gesprächsplatz durch: langsam & mühsam entspinnt sich eine Art Diskussion. Wir erkennen:
1. daß die Thais größtenteils nicht allzu gewöhnt (& nicht allzu interessiert) sind an freier verbaler Auseinandersetzung - oder jedenfalls in gewisser Weise davor zurückscheuen
2. daß das Problem der Übersetzung tatsächlich jede Dynamik im Keim erstickt
3. (denke ich ganz persönlich) daß es all dieses Gerede über Performance vielleicht wirklich nicht bringt, daß eben gerade deshalb Performances gemacht werden, weil man das, was sie transportieren, eben nicht in Sprache ausdrücken will oder kann (sonst würde man es einfach sagen) - was (wiederum ganz persönlich) eine 180°-Wendung meiner bisherigen Position bedeutet. Jedenfalls wird in diesem Gespräch nicht ein Hundertstel dessen rübergebracht, was die Performances uns selber sagen - über die individuelle & kulturelle Identität derer, die sie zelebrieren. D.h.: wir haben viele Menschen kennengelernt - teilweise sogar ohne überhaupt mit ihnen zu sprechen (verbal). Vielleicht tun wir das am Rande, vielleicht später im `Guest House´; wie auch immer: ohne daß irgendwer weiß wieso - kennen sich inzwischen alle irgendwie gegenseitig

10/12/, CONCRETE HOUSE: hier soll 1 informelles Treffen, 1 Art Party stattfinden. Wir kommen von langer Anfahrt, Chumpon Apisuk heißt uns willkommen und erzählt uns, was es mit dieser sozialen & kulturellen Begegnungsstätte auf sich hat. Draußen steht 1 Elefant & man kann ihm Futter kaufen. Immer mehr Performer folgen nach, bis endlich wieder alle da sind. Es werden Videos gezeigt - ohne Ende. Obwohl wir Europäer randvoll sind, zu bis obenhin voll mit Kunst - nach den 60 `Live-Acts´ der letzten 2 Tage. Doch die Asiaten scheinen keine Wahrnehmungsschranken zu kennen & ziehen sich 1 `tape´ nach dem anderen rein. Wir warten aufs Essen. Gerade als Chumpon ein anwesendes TV-Team vorstellt (das eigentlich nichts weiter zu filmen hat als Leute, die auf ihren Stühlen sitzen & fernsehen), passiert doch wieder etwas: Jemand reißt das Waschbecken ab: Nigel hat sich draufgelehnt & das hat es nicht ausgehalten. Nigel ist ein Architekt aus Australien. Er hatte noch nie eine Performance gesehen & noch nie davon gehört: er ist nach Bangkok gekommen wegen eines Architektur-Kongresses, der aber ausfiel. Nun ist er aus Zufall in die PC 5 geraten und war von Anfang bis Ende dabei - morgen wird er seine allererste Performance selber machen Nun - nach dem Essen & den ganzen Videos gibt es - mal wieder - eine Performance: Jay (Santiphap Inkong-Ngam) hat sie bei der PC 5 nicht aufführen können, deshalb jetzt. Nach während die Nummer läuft, wird Parzival fickrig wie 1 Kunst-Youngster & haspelt mir ins Ohr: Los, wir müssen was zusammen machen - jetzt!" Tatsächlich fällt uns was ein: wir haben keine min. Bedenkzeit, dann stehen wir da: vor diesem ganzen kritschen Publikum aus internationalen Performern - & ziehen es durch: Human Intercourse" (asiatische Variante). Was aber nun passiert, ist einzigartig: 1 nach dem/der anderen tritt in den Kreis: spontan, ungeplant, witzig, locker: alle diese Performer/innen, die sonst so großen Wert legen auf eine klar geregelte Raumsituation, eine einzuschätzende Atmosphäre, fangen einfach an: totale Improvisation: Mann & Frau: Europäer & Asiaten: über jede Grenze hinweg: Amanda Heng & Boris Nieslony, Susanne Helmes tanzt mit Jay, Surapol & Vasan zeigen den Intercourse" auf die europäische Weise, Marianne Tralau fordert mich zu erneutem Antreten auf, Ray springt in den Ring, Mongkol kniet sich auf 1 Stuhl, mit dem Lee Wen Minuten später durch den Raum reitet - & Manfred Hammes führt ein Yoko-Ono-Piece" auf. Es ist unglaublich: improvisierte Musik kennt jede/r - aber Performances? `Stand-up-acts´, performen über 1 Motiv? jede/r, alle - auch die ältesten Vertreter dieses Zusammenseins wie z.B. der FLUXUS-Veteran Ben Patterson versichern, daß sie so etwas noch nie & nirgendwo erlebt haben Die Stimmung schäummt: sie ist so etwas wie Champagner ohne Glas & Flasche: flüssig, anfaßbar perlend.

11/12/, SILPAKORN UNIVERSITY: wieder schon mittags beginnt der 4. & letzte `event´ - 1 reine ULTIMATE-Veranstaltung, den legendären 100 PERFORMANCES (1994) nachempfunden: 55 Performances à 55 sec." (eigentlich 1 Risiko, denn anders als die Europäer mit ihren Kurz-Performances sind die Asiaten eher halbstündige Auftritte gewöhnt) - aber: alles ist anders: jede/r spürt sofort, daß wir alle uns & miteinander innig kennen: es ist nicht zu sagen, wieso & wie - aber auch unnötig. Getreu der ULTIMATE-Tradition steht die Teilnahme jedem/jeder offen, mehrere Künstler/innen warteten mit ihrem Performance-Debut auf. Die Veranstaltung geschieht: vielleicht die beste (Live-Art-Show), die ich je sah: 1 Performance-Clip" (55 sec.) prallt auf den nächsten (55 sec.). Hinter der Bühne lacht 1 Gesicht ins andere: es ist egal, welche Farbe oder welche Form die Augen: 1 ist mir so nah wie das andere: die Welt ist 1 Fluß ohne Ufer - bis sie explodiert. was natürlich 1 Schock ist. Aber wenig später gackern doch wieder die Hühner (Rolf Hinterecker & Carola Willbrand mit 1 `piece´ von Broska/Tauchert): P-P-P-P-P-P-eeeeerrrrr-FOOOOORRRRRR-mance!!!"

Nachschrift:
Was ist geschehen - nüchtern gesagt? Die eurozentristische Perspektive ist bei fast allen (europäischen) Teilnehmer liquidiert worden, eine Erfahrung, die sich nie & nimmer einstellen würde, führe man bloß als Tourist nach Thailand. Das Netzwerk" hat sich gestärkt & erweitert - das heißt: Freundschaften sind gewachsen, die den Boden für zukünftige künstlerische Kooperationen bereitet haben, gleich wo auf der Welt. Zu vermuten steht (so ja auch der Tenor der umfangreichen Pressestimmen), daß die Performance-Kunst in Thailand, vielleicht sogar über Thailand hinaus im asiatischen Raum, einen kräftigen Anschub bekommen hat - daß die thailändischen Akteure feststellen konnten, daß überall auf der Welt Menschen mit ähnlichen Kunstkonzepten beschäftigt sind, daß sie also nicht die Exoten sind, als die sie sich in ihrem Lande bisweilen vorkommen mögen. Daß die thailändische Öffentlichkeit von der Performance-Kunst Kenntnis genommen hat.

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