SOL LYFOND
BEWUSSTSEIN ALS MATERIAL DER KUNST

Ausgearbeiteter Vortrag vom 9. August 1997 IVth Interdisciplinary Seminar on Art and Science

Vardö - Foundation, Áland / Finnland
Skizze einer Performance
Ein Geruch verbrannter Hefe durchzieht den verdunkelten Raum. Eingewickelt in schwarzen Stoff liege ich inmitten von 24 Lampen, die unmittelbar über dem Boden hängen; sie sind völlig mit Hefe bedeckt und strahlen fleischfarben in der Dunkelheit. Klänge und Geräusche ertönen vom Band, während ich meinen Kopf aus dem Stoff wickele. Die ersten Lampen grabe ich aus dem Hefemantel aus. Der Ausstellungsraum wird heller durch das Ausgraben der Lampen, deren Licht von unten nach oben reflektiert wird. Ich werfe den schwarzen Stoff in Stücken ab, mich selbst dabei allmählich aufrichtend. Mit meinen Objekten und Installationen, die immer deutlicher zu erkennen sind, spiele ich improvisierend, genauso wie einige Eröffnungsgäste, die kleine Hefeburgen um die Lampen bauen. Nach einiger Zeit erreiche ich meinen Ausgangspunkt erneut im nun völlig hellen Raum. Ich ziehe einen grünen Mantel an, stelle mich auf eine Kupferplatte und hänge waagerecht darüber eine transparente Kunststoffplatte. Sie berührt meinen Scheitel und trägt die Aufschrift:
BEWUSSTSEIN
IST
KUNST
STOFF

In dieser Position - zwischen Kupfer und Kunststoff - verharrend, beendete ich im September `93 meine Performance "Aktion Dunkelkammer". Ich habe die Performance hier skizziert, weil sie assoziativ zu einem zentralen Thema meiner Arbeit führt, dem ich auch in gesellschaftlicher Hinsicht große Bedeutung beimesse. Die Formel "Bewußtsein = KunstStoff" kann als Versuch eines gedanklichen Konzentrates verstanden werden, mit dem ich auf die weitreichenden Möglichkeiten hinweisen möchte, die in dem Verständnis von Bewußtsein als einem konkreten Material, als einem gewichtigen und realen Stoff schöpferischen Tuns enthalten sind. Im folgenden möchte ich dieses Konzentrat erläutern und sein Potential veranschaulichen.

Materialisierung des Bewußtseins: Raumgewinn und Zeitverlust
Dem vorgestellten Ansatz liegt eine Vorstellung von Geschichte zugrunde, die Kultur als permanenten Prozess der Veränderung von Bewußtsein versteht. Dabei können - in Anlehnung an den Philosophen Jean Gebser - verschiedene "Frequenzen" des sich kulturgeschichtlich wandelnden Bewußtseins gekennzeichnet werden: ausgehend von den ursprünglich archaischen, dann magischen Bewußtseinsqualitäten der frühesten Kulturen (z.B. die Matriarchate auf Malta und Kreta) können wir eine Umwandlung des Bewußtseins in eine mythische "Frequenz" feststellen (z.B. die Hochkulturen Ägyptens, dann z.T. noch Griechenlands), welche ihrerseits abgelöst wurde von einer mental dominierten Bewußtseinshaltung, wie sie z.B. für die christliche Kultur kennzeichnend ist. Diesen unterschiedlichen Frequenzen des Bewußtseins läßt sich skizzenhaft eine Zeichenfolge zuordnen, die im Rahmen unserer Fragestellung erhellend sein kann:

archaisch / magisch / mythisch / mental

Hierbei kennzeichnen die links auftauchenden Punkte die ersten Intensivierungen des archaischen/magischen Bewußtseins, gleichsam wie Sterne im All einer ungetrennten, einheitlichen Naturidentität. Im Verlauf einer weiteren Intensivierung entstehen Verbindungen zwischen den Punkten, fließende Übergänge, noch unfixierte Bezüge als Qualitäten der mythischen Frequenz, die ich mit wellenartigen Linien kennzeichne. Aus diesen traumartigen Vernetzungen mythischen Bewußtseins kristallisieren sich schließlich die Strukturen mentaler Kulturen heraus, denen ich als Zeichen den Kubus zuordne. Charakteristisch für den Frequenzverlauf des Bewußtseins ist seine Dimensionszunahme: von der Eindimensionalität der sternähnlichen Punkte, über die Zweidimensionalität der flächenbildenden Linien, bis zur Dreidimensionalität der, das Mentale errichtenden Perspektive. Schon hier findet sich ein entscheidender Hinweis auf die postulierte Materialisierung des Bewußtseins: was Materie wird, bedarf der Dreidimensionalität, oder anders gesagt: Stoff ist stets von dreidimensionaler, plastischer Qualität, sodaß die These, daß heutzutage das Bewußtsein Material ist, schon aus dieser Sicht einleuchten dürfte. Aber noch viel bedeutsamer für die Materialisation ist die Abnahme an Bewegung, die sich von der archaisch/magischen zur mentalen Frequenz hin vollzieht. Die Dimensionszunahme wird erkauft mit einer Erstarrung, ja Erkaltung des Bewußtseins, mit einer Fixierung der ursprünglich multivalenten Welt traumartiger Verknüpfungen zu einem unbeweglichen Raster fester, eindeutiger Bezüge, zur kristallisierten Welt des Mentalen.

Konkretion
1 Beispiele: Physik, Architektur, Geldkreislauf
Erfahrbar sind diese mentalen Fest-Setzungen in der heutigen Dominanz der Logik und Kausalität, z.B. im immer noch vorherrschenden Newton`schen Begriff von exakter Naturwissenschaft. So versteht die traditionelle Physik (soweit sie sich noch unbeeindruckt zeigt von den Entdeckungen der Quanten-Physik) die Grundstruktur der Natur als ein dreidimensionales Raster ewig gültiger Gesetzmäßigkeiten, ein mentales Gebäude von unverrückbarer Gültigkeit und absolut festem Fundament. Das mentale Bewußtsein zeigt sich hier in perfekter, ja extremer Dreidimensionalität, als Errichtung eines reinen Raumes, in dem die vierte Dimension: die Zeit völlig verlorengegangen ist. Das ist das Entscheidende für unser Thema: das heutige Bewußtsein hat seine volle, perspektivische Räumlichkeit auskristallisiert bei gleichzeitigem völligen Verlust der Zeit, also der Bewegung. Unser mentales Bewußtsein ist insofern hartes, dreidimensional-stoffliches Material geworden, Schlacke des Bewußtsein-bildenden Kulturprozesses.

Ein anderer Bereich unseres kulturellen Lebens setzt diesen Vorgang deutlich sichtbar um: die Architektur. Die Stadt Deutschlands, in der sich zur Zeit die auffallendsten und rasantesten städtebaulichen Veränderungen vollziehen, ist - neben Berlin, die neue "Kapitale" - Frankfurt, die spöttisch Bankfurt genannte Stadt des großen Geldes. Perfekter kann ein Abbild des mentalen Bewußtseins kaum sein: die pseudotransparenten Türme, vor allem der Banken, überragen als gigantische, erkaltete Kristalle immergleicher, rechtwinkliger Aneinanderreihungen die historisch gewachsene Stadt, errichtet in einer Hektik, die den Zeitverlust, das "Keine-Zeit-haben" verrät. Das hier zum Ausdruck kommende mentale Bewußtsein errichtet sich seine erstarrten Räume um ein Medium, das - als anschauliches Beispiel für die Materialisierung unseres Bewußtseins - in meiner eigenen Arbeit ein sehr wichtiger Stoff geworden ist: um das Geld. Erstaunlicherweise hat der deutsche "Volksmund" dem Geld eine Bezeichnung gegeben, die es in direkten Bezug zu diesen Gedanken setzt: Geld ist "Knete", und das heißt: Material zur Formung einer Skulptur.

2 Arbeit am konkreten Material: die Aktion "Saubere Kohle"
Nachdem ich diese Koinzidenz im Jahre 1993 erfreut realisiert hatte, machte ich mich daran, unter dem Titel "Hefe + Knete" einige Aktionen und Performances zum Thema Geld zu entwerfen, von denen ich die ironischste: die Aktion "Saubere Kohle" kurz schildern möchte. Zusammen mit befreundeten KünstlerInnen stellte ich im Februar 1994 eine lange Wäscheleine vor das Portal der Kölner Bank im Zentrum Kölns. Rechts und links je ein dicker Waschtrog mit warmem Wasser und Spülmittel, in der Mitte ein Tisch mit einem Schild, auf dem das Wort "Zinsdruck" stand, sowie einige weitere Utensilien. Die Aktion bestand darin, 2.000,- DM in (echten) Scheinen zu waschen, nachdem wir ihnen zuvor das Wort "Zins" mit leicht abwaschbarer Farbe aufgedruckt hatten. Nach dem Abwaschen des Zinses und des sonstigen Dreckes hängten wir die sauberen Scheine zum Trocknen an die Leine und fügten jedem Schein ein Papier mit der Aufschrift ROST hinzu. Statt Zins also Rost, war das Motto der Aktion, und die Handlung war das gründliche Waschen benutzter D-Mark-Scheine. Wir hatten viel Spaß, besonders als wir die starke Nervosität der Bankvertreter bemerkten, die im Interview vor der laufenden Kamera des WDR nichts eiliger taten, als jeden Verdacht der Geldwäsche von sich zu weisen (einer von ihnen war übrigens betrunken).

Waren die Fundamente des Geldwesens doch nicht so fest?

3 Geld: Abdruck des materialisierten Bewußtseins
Tatsächlich bestehen in unserem Verständnis von Geld einige fundamentale Irrtümer, und sie kennzeichnen den grundlegenden Irrtum, der sich bei der gegenwärtigen Überbetonung der mentalen Frequenz des Bewußtseins einstellt. Geld ist zunächst nur eine Maßeinheit, ein Maßstab, und insofern - das belegt auch die gemeinsame Wortwurzel von "messen" und "mental" - ein Instrument des mentalen Bewußtseins. Wird jedoch das mentale Bewußtsein überbetont, bläht sich auch das Geld unangemessen auf. In unserer Kultur, die eigentlich keine Kultur mehr ist, sondern nur noch Ökonomie, wird Wachstum in Geld gemessen - ein Witz, der - wäre er nicht so gefährlich - wirklich lustig sein könnte. Der Maßstab, der selbst nur quantifizieren kann, ist zur eigenen Qualität geworden. Da dieses Messen des Geldumsatzes nicht befriedigen kann, weil ja gar nicht beachtet wird, was umgesetzt wird (hier haben z.B. Flugzeugabstürze und das Erbauen von Häusern den gleichen ökonomischen Wert, da sie beide ein Wachstum an Geldumsatz anregen), muß der Umsatz des Geldes wie bei einer Sucht beschleunigt werden: das System erkrankt an Wachstumszwang. Dieser Wachstumszwang hat sich nicht nur psychologisch, sondern auch schon strukturell niedergeschlagen: in der Mechanik des "arbeitenden" Geldes. Mit dem zynischen Begriff des "arbeitenden" Geldes wird die Tatsache beschrieben, daß verliehenes Geld - z.B. durch Anlage bei einer Bank - zu mehr Geld wird, durch die Mechanik des Zinses und Zinseszinses auch noch mit steigender Beschleunigung. Dieser mentale Selbstläufer hat inzwischen eine Dimension angenommen, bei der fast alle großen Konzerne mehr einnehmen durch ihre Geldanlagen als durch ihre Arbeit: das "arbeitende" Geld siegt über die Arbeit, das bedeutet: der Maßstab siegt über das zu Messende. Effekt dieser sinnwidrigen Mechanik ist eine ständig sich beschleunigende Polarisierung der Geldvermögen, sodaß sich dort, wo eh' schon Geld im Überfluß vorhanden ist, noch mehr Geld zusammenzieht, und an anderer Stelle, wo ein monetärer Bedarf existiert - z.B. zur Finanzierung von Arbeit -, Geld abgesogen wird. Dieser Vorgang ist ein exakter Abdruck der Zusammenziehung, die sich bei der Bildung des mentalen Bewußtseins vollzieht: so wie die Banken bei jeder ökonomischen Krise ihren Gewinn steigern und neue architektonische Kristalle in Auftrag geben, zieht sich auf Kosten der archaisch/magischen und mythischen Energien das mentale Bewußtsein zusammen, dichter, härter, kälter werdend. Im Vergleich gut sichtbar wird auch das Raumbildende und Zeitverlierende dieses Vorgangs: Grundlage des "arbeitenden" Geldes ist sein Mißbrauch als Besitz, noch dazu als Privatbesitz. Geld ist jedoch - vergleichbar dem Blut im Organismus - ein Medium des ganzen sozialen Körpers und daher Besitz der Allgemeinheit. Privat kann Geld also nicht besessen, sondern nur genutzt werden, es muß fließen. Der Unterschied zwischen Besitzen und Nutzen gründet in den unterschiedlichen Qualitäten des Erstarrens und Verflüssigens: Besitz setzt - setzt fest, schneidet heraus, grenzt ab und aus, während Nutzen ein Nehmen und Geben ist, eine Art sozialer Stoffwechsel, dessen Differenz zum raumsetzenden Besitz in der fließenden Eigenschaft der Zeit: in der Bewegung liegt. Hier wird deutlich, daß das weit verbreitete Besitzdenken Ausdruck der mentalen Frequenz des Bewußtseins ist und ganz konkret zu immer härteren, isolierteren, zusammengezogeneren und letztendlich tödlichen "Lebens"formen führt: zu einer Form des Lebens, die nur noch aus Stoff, aus Materie, aus Materialismus besteht und die keinen inneren und äußeren Stoffwechsel mehr zuläßt.
Kunst als neue Frequenz des Bewußtseins
1 Die Talentskulptur als Beispiel
Genau um den Aufbau eines solchen sozialen Stoffwechsels ging es mir, als ich mich 1994 daran machte, das Material Geld als "Knete" ernst zu nehmen und aus ihm in Zusammenarbeit mit anderen eine Skulptur zu formen: die "Talentskulptur - das Kölner Netzwerk für geldloses Tauschen". Diese Skulptur - eine lokale Mikroökonomie, bei der die Währung D-Mark durch eine anders strukturierte Währung mit dem Namen "Talent" ersetzt wird - besteht zur Zeit aus über 260 Mitgliedern, die Waren und Leistungen miteinander tauschen und in Talent verrechnen. Ich möchte an dieser Stelle nicht zu sehr auf die strukturellen Einzelheiten der Talentskulptur eingehen, sondern dazu auf die zahlreichen Veröffentlichungen verweisen, insbesondere auf meinen Essay "Die Talentskulptur - Alltag und Utopie konkret" (s. Literaturhinweise unten). Wichtig im Zusammenhang dieser Gedanken ist die grundlegend andere Struktur der Währung "Talent", die dem Nutzen von Geld ganz entschieden den Vorrang gibt gegenüber dem Besitzen von Geld. Ausgehend von der Erkenntnis, daß die Währung "Talent" allen TeilnehmerInnen der Mikroökonomie "gehört", wird bei jeder Nutzung des Geldes eine geringe "Entschädigung" an die Gemeinschaft gezahlt: ein Nutzungsentgelt in Höhe von 1 % des Talentkonto-Standes wird am Monatsende von jedem Mitglied der Talentskulptur erhoben. Wenn zum Beispiel ein Mitglied einen Monat lang +100 Talent (Tt.) oder -100 Tt. auf seinem Konto besitzt, also bewegungslos festhält, wird am Ende des Monats 1 % = 1 Tt. abgebucht, sodaß dann das Mitglied entweder +99 Tt. oder -101 Tt. auf dem Konto hat. Dieses Prinzip ist allgemein bekannt und anerkannt bei anderen öffentlichen "Austausch"mitteln, z.B. beim Verkehrsmittel Straßenbahn, bei der ja für die Dauer ihrer Benutzung eine geringe Gebühr in Form einer Fahrkarte anfällt. Und so, wie durch die Fahrkarte ein pausenloses Nutzen, also Besetzen und damit Besitzen des Verkehrsmittels ausgeschlossen wird, verhindert die Nutzungsgebühr ein ständiges Festhalten, also Besitzen und Horten des Tauschmittels. Vielmehr wird ein beständiges Fließen des Geldes bewirkt, sodaß das Geld, ähnlich wie Blut, immer wieder seiner eigentlichen Funktion: dem Vermitteln von Tauschvorgängen, zurückgeführt wird. Geld wird damit reduziert auf sein Wesen als Maßstab, das Zinsnehmen und das aus ihm resultierende krebsartige Wachstum des Geldbesitzes und der Schulden werden ursächlich aufgelöst, das Fließen des Geldes, sein Nutzen als Tauschmittel gelangt in den Vordergrund des Umganges mit Geld. Die hier angedeuteten Zusammenhänge sind sowohl praktisch als auch theoretisch bewiesen (ich verweise wegen ihrer Bekanntheit besonders auf die Währungsumstellung der österreichischen Gemeinde Wörgl in den Jahren 1932/33 als auch auf den Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes).
2 Ausstrahlungen der neuen Frequenz
Die Talentskulptur zeigt beispielhaft, wie mit dem Material Bewußtsein umgegangen werden kann und welche Möglichkeiten daraus erwachsen: gleich einer chemischen Analyse wird das Material, hier: das Geld, in seine Grundbestandteile zerlegt. Wesen, Funktion, Struktur, Möglichkeiten und Grenzen des Geldes erscheinen, wenn der erstarrte Geldbegriff aufgelöst und seine nicht mehr weiter zerlegbaren Bausteine sichtbar werden. Mit den vorgefundenen Bausteinen kann der eigentliche künstlerische Prozess einsetzen: in Bezug auf das Ganze, in dem das Geld wirkt, kann mit der Knete eine neue Struktur fortlaufend in die bestehenden Zusammenhänge eingewebt werden. Am Geld wird sichtbar, daß die neue Struktur nicht erfunden, sondern gefunden wird im Sinne einer Aufdeckung schon lange existierender, sich bewährender Prinzipien (eine Währung muß sich bewähren). Die dem Wesen des Geldes entsprechende und in der Talentskulptur umgesetzte Struktur entspricht einem Prinzip, das wir von der Atmung kennen: Einnehmen und Ausgeben unterliegen durch die Nutzungsgebühr demselben rhythmischen Prinzip wie das Einatmen und Ausatmen, hohe - positive wie negative - Geldbeträge unterliegen genauso wie tiefes Ein- oder Ausatmen einem Druck zum Bewegungswechsel, zum rhythmischen Ausgleich. Beim Geld ist es die Nutzungsgebühr, die umso mehr wächst und zum Ausgleich drängt, je weiter der Kontostand von Null entfernt ist. Beim Atmen ist es der osmotische Druck, der umso mehr wächst und zum Ausgleich drängt, je länger der Atmungsvorgang andauert. Das ist die Kunst: das Material Bewußtsein so umzuformen, daß es sich selbst identisch wird und dabei sich selbst findet, als ein Prinzip der Natur. Das gilt für das Geld auch, insofern es Vermögen ist: ein kunstvoll gestaltetes Bewußtsein versteht Geld nicht mehr als schöpferische Kraft an sich (als "arbeitendes" Geld), sondern als Abdruck der schöpferischen Kraft, als Ausdruck der Kreativität von Mensch und Natur. Gleich allen anderen Naturkreisläufen kann der Geldkreislauf so gestaltet werden, daß er die Arbeit nicht mehr einem Wachstums- und Produktionszwang unterwirft, sondern - umgekehrt - sich ihr anschmiegt: wachsend und schrumpfend, beschleunigend und verlangsamend, sich verästelnd und zusammenströmend so, wie sich in der Arbeit menschliches und natürliches Vermögen gestalten will, was aus ökologischen Gesichtspunkten besonders wichtig ist. Dabei kann ein funktionierendes Zentralorgan, die Zentralbank, entstehen, die - im Gegensatz zu den existierenden Insituten - gleich einem Herzen in der Lage ist, den Geldkreislauf in Bezug zum Ganzen zu regulieren.

Es geht also insgesamt darum, die gegenwärtig erstarrte Struktur der Gesellschaft als Gegenstand künstlerischen Gestaltens zu ergreifen und sie aus individueller Freiheit zu einem lebensfähigen Gewebe umzuformen. Die Lebensfähigkeit dieses künstlerisch geschaffenen sozialen Organismus, dieser sozialen Skulptur hängt davon ab, inwieweit in ihnen wesensgemäße, in der Natur schon existierende Strukturen gefunden und ausgestaltet werden. Es handelt sich also um die Möglichkeit, Kultur und Natur zu identifizieren, zu gänzlichen, in dem Sinne, daß die Natur als permanenter plastischer Prozeß in eine Kultur strömt, die selbst wiederum ein permanenter plastischer Prozeß ist, fähig, die kreativen Grundlagen von Natur und Kultur zu wahren, ihnen eine dauerhafte Balance zu geben. Daß dies nicht ohne eine gründliche Umwandlung der Ökonomie gelingen kann, liegt auf der Hand. Die Mißgestalt der gegenwärtigen Ökonomie, die das Leben als Ganzes an den Rand des Abgrunds treibt, stellt die Frage, ob das Leben, die Evolution an ihr Ende gelangt oder ob in der gegenwärtigen Krise auch eine Möglichkeit zur Kontinuität liegt. Die hier vorgestellten Ansätze weisen auf die Möglichkeit zur Kontinuität insofern hin, als die Evolution gewissermaßen an unser Bewußtsein anklopft, um Einlaß zu finden. Für den Einlaß in unser Bewußtsein sollten wir ihr mit dem Schlüssel der Formel "Bewußtsein = KunstStoff" die Tür öffnen, sodaß sie hereinkommen kann: uns verändernd und sich fortsetzend. Auf eine sehr verwandte Art bringt der bekannte Anthropologe und Paläontologe Teilhard de Chardin diese mögliche Kontinuität der Evolution zum Ausdruck, in seinem Konzept der Biosphäre (=Sphäre der Organismen), die von der Noosphäre (=Sphäre des Denkens) ergänzt wird. In seinem Buch "Der Mensch im Kosmos" schreibt er: "Der Mensch entdeckt, nach dem treffenden Wort von Julian Huxley, daß er nichts anderes ist als die zum Bewußtsein seiner selbst gelangte Evolution." Dieses Bewußtsein zu entwickeln, bedeutet, sich selbst zu entwickeln wie ein Foto in der Dunkelkammer, sich mit der eigenen schöpferischen Kraft einzubringen, sich also als KünstlerIn in Erscheinung zu bringen und dem Bewußtsein eine Qualität zu geben, die wir von der Hefe kennen: lebendig, weich, feucht und vor allem gärend, d.h. von innen her den Stoff weitend für geistige und kreative Freiräume.

Literaturhinweise:
Jean Gebser "Ursprung und Gegenwart", Novalis Verlag
Joseph Beuys "Jeder Mensch ein Künstler - Gespräche auf der documenta 5/1972" (herausgegeben von Clara Bodenmann-Ritter), Ullstein-Verlag
Teilhard de Chardin "Der Mensch im Kosmos", Deutscher Taschenbuch Verlag (dtv)
John Maynard Keynes "Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes", Verlag Duncker & Humblot
Joseph Beuys u.a. "Was ist Geld? - Eine Podiumsdiskussion", FIU-Verlag
Sol Lyfond u.a. "Zukunftsfähige Wirtschaft - Beiträge zur 4. Internationalen Tagung der INWO in Bern 1995", herausgegeben von der Internationalen Vereinigung für natürliche Wirtschaftsordnung (INWO) Schweiz

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