JÜRGEN FRITZ
MA - PRÄSENTIERTE PERSON

Die Unterschiede in der Art und Weise, wie die Figur sich präsentiert wird, sind ein Wesentliches Unterscheidungsmerkmal der verschiedenen Performancerichtungen.1

Grundsätzlich lassen sich vier Herangehensweisen unterscheiden:

1 - Turner, Schechner, Brecht
2 - Meyerhold, Schlemmer
3 - Stanislawski, Strasberg, Moreno
4 - Artaud, Grotowski
zu 1 : Der Performer ist nicht die Kunstfigur, die er darstellt, aber auch nicht die Privatperson, er ist in between
Rituale, asiatisches Theater, antikes Theater, episches Theater.
zu 2: Der Performer als präsentierter Körper, Betonung von Körpertechnik, Mechanik bedingtes Theater, Artisten,Vaudeville, Comedia della Arte, Bauhausbühne
zu 3: Der Performer identifiziert sich vollständig mit der Kunstfigur, einfühlende Spielweise, Psychotechniken amerikanischer Film, Psychodrama, Gestalttherapie
zu 4: Keine Trennung zwischen Privat- und Kunstfigur

Theater der Grausamkeit, spirituelle und religiöse Veranstaltungen, politische Propaganda

1.a. Die Hirsch-Tänzer der Yaqui in New Pascua, Arizona:

Der mit der Hirschmaske bedeckte Schädel erscheint als Hirsch. Unterhalb des weißen Stoffes erkennt man jedoch Augen, Nase und Mund des Menschen. Durch das weiße Tuch, das der Performer umlegt, wird die Unrnöglichkeit der vollständigen Transformation in einen Hirsch deutlich. In den Momenten, in denen der Tänzer <nicht er selbst > und noch < nicht nicht er selbst> ist, läßt sich seine Identität nur im Grenzbereich von Charakter, Repräsentation, Imitation, Ent-führung oder Transformation lokalisieren.2

b. No-Theater:

Die Maske des Darstellers, bedeckt sein Gesicht nicht vollständig. Unter der edlen Maske der jungen Frau sieht man die festen dunklen Kinnladen des männlichen Darstellers. Diese doppelte Entblößung ist beabsichtigt.

c. Das Theater der Antike

Rollencharakteristika und auch innere Befindlichkeiten des Schauspielers wurde durch ein großes Repertoir konventialisierter Gesten dargestellt. Das Gleiche gilt für seelische Zustände, wobei hier nicht in erster Linie die Gebärde, sondern, das Wort in Form der Selbstanrede Ausdrucksträger war.3 Der Chor fungiert als Betrachter, Komentator und spricht im Namen des Dichters zum Publikum: V - Effekt bei Brecht.

d. Verfremdungseffekt (V -Effekt) - In keinem Augenblick läßt er es zur restlosen Verwandlung in die Figur kommen. Ein Urteil: er spielte den Lear nicht, er war Lear", wäre für ihn vernichtend. Er hat seine Figur lediglich zu zeigen oder, besser gesagt, nicht nur lediglich zu erleben; dies bedeutet nicht, daß er, wenn er leidenschaftliche Leute gestaltet, selber kalt sein muß. Nur sollten seine eigenen Gefühle nicht grundsätzlich die seiner Figur sein, damit auch die seines Publikums nicht grundsätzlich die der Figur werden. Das Publikum muß da völlige Freiheit haben."4

2.a. Meyerhold:

M. entwickelte die Biomechanik, die als Werkzeug dafür dienen sollte, die Arbeit des Schauspielers in wissenschaftlichem Sinne (Taylorisrnus )(5) effizient zu machen. Weil das Schaffen des Schauspielers im Schaffen plastischer Formen im Raum besteht, muß er die Mechanik seines Körpers studieren. Das ist deshalb für ihn wichtig, weil jedes Auftreten von Kraft (auch im lebendigen Organismus) den gleichen Gesetzen der Mechanik unterworfen ist (und das Schaffen von plastischen Formen im Raum der Bühne durch den Schauspieler ist natürlich eine Erscheinungsform der Kraft des menschlichen Organismus)"6 Dabei lehnt M. eine psychologisierende Spielweise energisch ab, und stellt sich damit gegen die Methode der produktiven Einfühlung" seines Lehrers Konstantin S. Stanislawski. M. favorisiert eine Herangehensweise von Außen nach Innen, daß heißt, die richtige Körpermechanik schaffe die entsprechende innere Einstellung, im Gegensatz zu Stanislawskis von Innen nach Außen, wonach die richtige Einfühlung die entsprechende Spielweise/Gestik schaffe.

b. Schlemmer
Ähnlich wie Meyerhold lehnt Schlemmer für die Baubausbühne eine naturalistische Spielweise und Bühnen- dekoration ab. Das bedingte Theater bekämpfte die illusionistische Verfahrensweise. Es braucht die Illusion nicht wie apollinische Träumerei. Die statuare Plastizität fixierend, festigt das bedingte Theater im Gedächtnis des Zuschauers einzelne Gruppierungen, daß neben den Worten die schicksalhaften Töne der Tragodie entstehen können." 7 (Meyerhold)
Die Rückkehr zu den Primären, theaterkonstituierenden Elementen bedeutete eine Abkehr von naturaistischer
Imitatitationskunst: Scheinwerfer und Lichteffekte sollten nicht länger <der Erzeugung von Sonnen- und Mond
schein dienen>, die B. (Bauhausbühne) war nicht mehr verurteilt, <Wald , Gebirge, ein Zimmer darzustellen> .
Rückkehr zum Primären bedeutete Befreiung vom dekorativen Ballast und eklektizistischen Beiwerk aller Stile
und Zeiten>.6 (Schlemmer).
Als Fortsetzung der an mathematischen Gesetzmäßigkeiten orientierten Biomechanik Meyerholds erscheint S.
Vorschlag, den er in seinem Beitrag Mensch und Kunstfigur entwickelt. Im Gegensatz zu Meyerhold, der
noch grundsätzlich an einer, wenn auch mechanischen, Figürlichkeit des Schauspielers festhält, ersetzt S. diese
durch den Begriff einer mobilen Raumplastik":
Der Mensch als <Maß aller Dinge> war für Schlemmer zugleich Mechanismus aus Maß und Zahl. Zum einen
entsprach der Mathematik des Raums eine Mathematik des menschlichen Körpers, zum anderen befand sich der
Mensch als <mobile Raumplastik> -zu den planimetrisch-stereometrischen Dimensionen des ihn umgebenen
Bühnenraums in einem besonderen -von der bisherigen Theatertheorie noch nicht erfaßten - Spannungsverhältnis.
An Hand des Tinzermenschen demonstrierte Schlemmer in seinem Triadischen Ballet (1922, vor seiner Bauhaus
zeit entstanden) die der Bühnensituation - ihrer Dynamik und Statik - zugrunde liegende Raum-Körper-Dialektik
(<Triade>) meint hier die Dreiheit von Form, Farbe, Raum - die Dreidimensionalität des Raums: Höhe, Tiefe,
Breite - die drei Grundformen der Geometrie: Kugel, Kegel, Kubus).
Entindividualisiert durch Maske und Kostüm trat der Mensch auf der Bauhausbühne nur noch als Träger mecha-
nischer Körperfunktionen in Erscheinung."9
Bis hierher. Der Text muß an dieser Stelle noch weiter geführt werden. Es fehlen noch Beispiele von
Stanislawski, Grotowski und Artaud.
Die Frage die hinter dem Ganzen steht, könnte man vielleicht so, formulieren:
Der Performance - Künstler lehnt die o.g. Figurzuschreibungen für sich ab. Er kann sie aber, entsprechend dem
intermediären Selbstverständnis von Performance Art, benutzen, wie er andere Medien benutzen kann ohne
seine Kunst darüber zu definieren.
Die Vorstellung von Figur in der Performance Art entstammt einem bildnerischen bzw. skulpturalen Denken. Der
Performer schafft ein Bild, bzw. ist Bestandteil eines Bildes.
Von einern ähnlichen Ansatz geht Schlemmer aus, wenn er von einer »mobilen Raumplastik« spricht. Vorausset-
zung für diese Plastik ist jedoch die vollkommene Entindividualisierung des Performers - eine Forderung, die der
Performance Art geradezu konträr läuft, da hier Wert auf eine größtmögliche Authentizität gelegt wird. Was ist
denn dann der Performer:
Ist er privat?
Ist er die entindividualisierte Raumplastik?
Ist er eine Figur in den o.g. Sinne?
Daraus ergibt sich die Frage nach dem Handwerkszeug, mit dem der Performer seine Anwesenheit in einer
Aufführungssituation gestaltet! Nicht gemeint ist, was er tut, sondern wie er sich selbst erschafft!
das als erste, und bestimmt sehr unvollkommene Anregung.
1: Im Folgenden möchte ich den Begriff Performance in seiner amerikanischen Syntax verwenden, also sowohl für das Theater, die Performance Art und rituelle Performances in vorindustriellen Gesellschaften. Performance als gesellschaftlich geprägtes Rollenspiel und als Handlungsformen in therapeutischen Situationen (Gestaltanalyse etc.) ist für die nachfolgenden Überlegungen weniger interessant.
2: Schechner, Richard, Theateranthropologie. Rowohlt Hamburg, 1990. s l0ff
3: Dabei spielte die Umsetzung innerer Vorgänge in sprächliche Bilder eine wessentliche Rolle. Der seelische Vorgang erscheint dabei gleichsam als etwas Fremdes, das sich ohne Beteiligung des Subjektes in dessen Innern ereignet. Auch diente die Selbstanrede vielfach zur sprachlichen Darlegung seelischer Zustände, besonders entwickelt ist diese Technik bei Sophokles und Euripides. Beide Spieltechniken bewirken eine Distanzierung, dort (in der Verdichtung zum sprachlichen Bild) trennt sich der Sprechende von seinen Gefühlen ab, hier (in der Schaffung eines künstlichen, stummen Dialogpartners) von seiner ganzen Person." Brauneck, Manfred. DieWelt als Bühne. Bd. 1. Metzler, Stuttgart:Weimar, 1993. S.71
4: Brecht. Bertolt, Schriften zum Theater. Suhrkamp Frankfurt/M., 1974, S. 153
5: Frederick Winslow Taylor (1856 - 1915) ..."legte die Grundlagen für Arbeits- und Zeitstudien..." und damit
für eine wissenschaftliche Betriebsführung. Brockhaus Enzyklopädie, Brockhaus, 1985
6: Wsewolod Meyerhold. Theaterarbeit 1917 - 1930. Hrsg.: Rosemarie Tietze.Reihe Hanser Band 158, Carl
Hanser Verlag, München 1974. S. 72ff
7: Wsewolod Meyerhold: Zur Geschichte und Technik des Theaters (1906).
8. Carl Wege in: Manfred Brauneck (Hrsg.).Theaterlexikon. Rowohlt Taschenbuch, 2.Auflage, 1990 S.177f.
9. Carl Wege.S.118

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