VALERIAN MALY
QU' EST-CE QUE C'EST QUE CELA?

Notizen zur Musikperformance
Musiktexte, Köln 1996
 
Erinnern Sie sich an Ihre ersten Französisch-Lektionen! Die simple Frage was ist das?" wird Ihnen im besten Schulfranzösisch als eine Aneinanderreihung von selten verwendeten Buchstaben und noch seltsameren Wortkombinationen in Erinnerung geblieben sein: ein undurchdringbares Geflecht von Q's, Bindestrichen, Apostrophen und Akzenten. Versuchen Sie auswendig nachzubuchstabieren! Sie werden sich darin verlieren, synchron werden die Buchstaben und Zeichen vor Ihnen auftauchen, rück- und vorwärtswirkend sind sie schwer in die richtige Reihenfolge einzuordnen. Im Französischen wird die Frage gleichsam zu einer philosophischen erhoben: Was ist das, was es ist?"

Was also ist eine Performance, gar eine Musikperformance? Wie auch immer wir versuchen, uns der Performance begrifflich zu nähern, wir werden mit einer Vielzahl von Deutungen konfrontiert. Das mag einerseits an der Unbestimmtheit und damit auch Offenheit des Begriffs selbst liegen, andererseits aber auch an dem daraus resul tierenden inflationären Gebrauch.

Als Art Performances" wurden Anfang der siebziger Jahre von der amerikanischen Kunstkritik jene künstlerischen Aktionen bezeichnet, in denen die Handlung, Akt und Geste einer Aufführung einen Wert an sich darstellen und Anlaß zu besonderer Beurteilung gaben. Heute unterliegt die Performance gleichen Beurteilungskriterien wie Musik, Bildende Kunst, Theater, Literatur. All diese Disziplinen haben vor allem gemeinsam, daß gängige Beurteilungs- und Betrachtungskriterien kaum mehr greifen: Angesichts einer ständig sich näher kommenden, miteinander immer enger verbundenen Welt können sie weder auf ethnischen, sozialen, politischen oder geographischen Überlegungen basieren, noch können sie auf Kategorien abgestützt werden, die Tendenzen bezeichnen, deren es kaum mehr gibt; die aktuelle Kunst ist durch tausende unabhängige Wege gekennzeichnet, die die definierten, kollektiven Tendenzen vorangegangener Jahrzehnte hinter sich lassen und eine Art Zersplitterung bedeuten. Seit der Teilung innerhalb der Kategorien der künstlerischen Erfahrung vereinigen sich in den Arbeiten - einmal davon abgesehen. daß kaum jemand fest umrissene Werte vertritt - gemischte Ästhetiken, deren Identifizierungsmerkmale vor allem als Vehikel (Leinwand, Papier, Photo) und die Aktivität (Installation, Performance, Malerei) ausgemacht werden. Doch ein Werk verlangt letztlich weder geopolitische Eingrenzung noch ein Bezugssystem der genannten Identifizierungsmerkmale, um sich zu entfalten. Es gilt, einen Standort zu finden inmitten der Turbulenzen der Werte, aus denen Kunst entspringt".

Diese von Harold Rosenberg in den späten fünziger Jahren postulierte Forderung hat sich nur teilweise erfüllt und scheint sich nun gar mehr und mehr wieder dem Bewußtsein zu entziehen. Man zählt wieder auf Sparten, wenngleich auch diese in differenzierteren Nuancen benannt werden. Geradezu begriffsstutzig macht die Vielzahl heutiger Performance"-arten: Tanzperformance, Musikperformance, Leseperformance, Videoperformance, dann: Tanztheaterperformance, Flamencoperformance und wie deren gedrechselte Spartenschöpfungen alle noch benannt zu sein pflegen. Wer was auf sich hält, legt eine fältchenglättende Kosmetik namens Performance" auf die alternde Gesichtshaut oder holt sich sonntags rennradstrampelnd die nächsten Adrenalinschübe mittels eines ebenso benannten Fitmachergetränkes, der Tag wird endlich abgerundet mit dem Wirtschaftsteil der Tagesschau (Performance-Index). Die Verknüpfung von Kunst" und Leben" ist gelungen; entleert wie das Leben selbst hat sich die Kunst vom hehren Anspruch der Erhabenheit verabschiedet. Es darf gelacht werden!" ruft der Performanceclown des Infotainment.

Ein solchermaßen in alle Richtungen beanspruchter Begriff Performance erweist sich schnell als untauglich, Musikperformance" als eigentlicher Unsinn: ist nicht Anne-Sophie Mutter ebenso Performancekünstlerin? Violinperformance! Gerade die Selbstverständlichkeit, mit der sich die Künstler der Sparten- und Medienzuteilung entziehen, ist das eigentlich Signifikante der Performance. Nicht die mediale Grenzüberschreitung als bewußter Akt und als Auflehnung gegenüber hergebrachten Kunst- und Präsentationsformen ist des Performancekünstlers Intention (wie es noch das Anliegen der früheren Aktionskünste der Dadaisten, Futuristen, Surrealisten dieses Jahrhunderts war), vielmehr zieht er ohne Umsicht (und somit ohne Auflehnung) mit gelassener Selbstverständlichkeit alle ihm zur Verfügung stehenden Medien in sein Schaffen ein. Nicht Grenzen werden gesprengt, sie werden einfach ignoriert, sind nicht existent für den Performancekünstler. Grenzen zu sprengen ist Sache von Gefangenen ihres Fachs. Außermusikalisches durchdringt Außervisuelles, Visuelles durchdringt Musikalisches... Nicht im Sinne des Gesamtkunstwerkes kommen hier Künste zusammen, die Interaktion führt bei der Performance zur inter-mediären Form par excellence.

Medium: Im Griechischen gibt es die Verbform medium, eine Mittelform zwischen Aktiv und Passiv. In der Mitte, im Dazwischen der Aktionen, auch in der Interaktion zwischen Performer und Publikum, für die wir in unserem Sprachgebrauch vergeblich nach einem präzisen Ausdruck suchen, findet die Perforrnance ihren Ausdruck.

Die Unschärfe, die der Begriff Performance erzeugt, ist analog den Unschärfen der erzeugten Ereignisse und Produkte" (Boris Nieslony).2

So denn eine Abgrenzung der Musikperformance" zu anderen Performancespielarten notwendig und sinnvoll ist, so ist diese naturgemäß in der klangspezifischen Ausrichtung auszumachen. Im Gegensatz aber zu den schlicht Performances bezeichneten Aktionen der Bildenden Künste ist den Musikperformances" doch meist eine Konzeption einer expanded music" eigen. Darin kann der wesentliche Unterschied der spartenbezogenen Performances (Musik-, Tanz-, Videoperformances) zu den Performances der visuellen Kunst festgestellt werden: Während Künstler der Art Performance" den Einsatz verschiedener Medien längst verinnerlicht haben, sich auf einen breiten Erfahrungshorizont mit den mannigfaltigen von ihnen benutzten Medien die Bildhauerei, Malerei, Zeichnung, Photographie bis hin zu Ton / Sprache, Film und den elektronischen Medien berufen können, hält die Musikperformance" doch zum großen Teil an tradierten Mitteln und Formen fest: denn wo es etwas zu erweitern gilt, ist das Expandierte" zwangsläufig eng an das Territoriale, ursprünglich Besetzte und Gesetzte geknüpft.

Die Musik übernimmt - ausgelöst durch Cages Konzeption der Unbestimmtheit neue Integrationsaufgaben, so daß menschliche Leistungen, das Zuhören eingeschlossen, zu Bestandteilen der Musik werden. Als Entwurf gegen die traditionellen musikalischen Prinzipien sollte die musikalische Umgebung vereint werden. Das Expandierte" meint sowohl den Radius des kompositorischen Materials, der weit über die Akustik hinaus in

(Boris Nieslony in: Performance - Relikte & Sedimente, Linz 1993.) die Optik reicht, als auch vor allem die außerordentliche Dehnung und / oder Verknappung des musikalischen Geschehens in der Zeit. Eine philosophische Brücke zwischen Phänomenen der Bildenden Kunst und Neuer Musik schlug Theodor W. Adorno. Er hat über theoretische Konsequenzen einer solchen Verbindung nachgedacht und als Tendenz postuliert, dass in der Neuen Musik charakteristischerweise Mittel anstelle von Zwecken installiert werden.3 Diese Tendenz ist in der künstlerischen Praxis weiter ausformuliert worden und bis heute zu einem Punkt gelangt, an dem Mittel und Zwecke eine synonyme Synthese bilden. Dabei werden dann über Mediengrenzen hinweg eben auch Charakteristika der Bildenden Kunst in die Systematik und das Bedingungsgefüge der Musik aufgenommen. Das traditionelle musikalische Problem der Werk-Interpret-Zuhörer-Kette etwa wird mit den Künstlerperformances gelöst, indem die Zwischenfunktion Interpret" durch die direkte Künstleraktion ausgeschaltet wird.

Wo allerdings - aus heutiger Sicht - die Erweiterung des Musik- beziehungsweise Kunstbegriffs als zentrales Anliegen manifest wird, ist selten eine eigentlich neue, werkimmanente Qualität erschlossen; das Erweiterte steht immer noch in unmittelbarer Relation mit dem zu Erweiternden. Als gelte es heute noch den Klang zu befreien, versucht eine Vielzahl der der tradierten Komposition verpflichteten Musiker die Komposition um Außermusikalisches zu erweitern. Wo dies im Ansinnen einer Sprengung des Gesetzten geschieht, haftet den Musikperformances" doch oft eine eher didaktische Attitüde an, die selten genug über das dramatisch-komödiantische Neue Musiktheater" mit seinen oft bemüht clownesken Einsätzen hinausgeht. Die Ernste Musik" will auch ihr Spektakel, will halt auch mal was zu lachen haben. Je bemühter avantgardistisch" sich heute ein Werk gebärdet, desto antiquierter erscheint es: Das Neue ist die Sehnsucht nach dem Neuen, kaum es selbst" (Theodor W. Adorno).4

Liest man die Stücke der Futuristen ohne avantgardistische Konnotation und stellt sie in einen heutigen Kontext, so ist ihnen - trotz Historie (müssen heute noch der Kunst wegen Theater- oder Opernhäuser gesprengt werden?) durchaus Aktuelles abzugewinnen. Darin finden sich Vorschläge für ein radikales Theater wie in Filippo Tommaso Marinettis Eine erhörte Landschaft".5

Eine erhörte Landschaft
(Ein Stück für die Luft")
Der Gesang jener Amsel, die das Knistern des Feuers beneidet, bannt das gesprächige Wasser im Schweigen.
(KURZE STILLE)
10 Sekunden Plätschern
1 Sekunde Knistern
8 Sekunden Plätschern
1 Sekunde Knistern
5 Sekunden Plätschern
1Sekunde Knistern
19 Sekunden Plätschern
1 Sekunde Knistern
25 Sekunden Plätschern
1 Sekunde Knistern
35 Sekunden Plätschern
6 Sekunden Gesang der Amsel
Vorhang
Im Kampf gegen ein verödetes Drama des Bürgertums forderten die Autoren ein Theater der reinen Dynamik. Zu knappen dramatischen Einheiten gebündelt, sollten diese Kurzszenen die bewegende Kraft der Neuzeit auf der Bühne sichtbar und hörbar machen. Bei einer heutigen, in historisch-distanzierter Position stehenden Realisation ist die ursprüngliche Intention der Erneuerung des Theaters nicht weiter von Bedeutung, vielmehr wird die Aufmerksamkeit auf die inter-mediäre Durchdringung und die darin enthaltene Poesie gelenkt.
Keine Kunstgattung wendet sich so sehr gegen den Fortschrittsglauben wie die Performance. In jeder Performance erfüllt sich ein monadologischer Lebensentwurf, eine monadologische Konzeption des Transports" (Boris Nieslony).6
Die Verschmelzung verschiedenster künstlerischer Verfahrensweisen führt zu einem Ereignis, das sich jeder strukturellen Definition entzieht, dennoch scheint der Transport und die Transzendation des akustischen Ereignisses das Bezeichnende der Musikperformance zu sein. Nicht im Sinne einer illustrativen Programmusik sollen außermusikalische Inhalte und Ereignisse vermittelt werden, vielmehr setzen die (Musik-)Performer mittels ihrer Handlungen Räume frei, die weder am Musikalischen noch am Außermusikalischen festgemacht werden können und somit meßbar zuzuordnen wären. Die Visualisierung des Klanggeschehens, die gegenseitige Durchdringung des Visuell-Akustischen kann als eine der Hauptmethoden ausgemacht werden. Bleibt es dabei lediglich bei der Vorführung kausaler Zusammenhänge, gleicht die Performance zwangsläufig einem technisch wissenschaftlichen Experiment, gelingt es hingegen, einen weiteren, imaginär-unmeßbaren Erlebnisraum zu füllen, wird die Vorführung" Kunst. Eines der signifikantesten Beispiele einer solchen Untersuchung dürfte das - allerdings in Fluxuszeit und -geist entstandene - Stück micro 1 von Takehisa Kosugi sein.
MICRO 1
Wrap a live microphone with a very large
sheet of paper. Make a tight bundle.
Keep the microphone live for another 5 minutes
Takehisa Kosugi, 19642
Schlichter und gleichzeitig spannender kann ein akustisches sich entfalten" nicht visualisiert werden. Einer Blume gleich öffnet sich das um das Mikrophon zusammengeknüllte Papier, löst sich nach und nach aus der Kompression und setzt gleichzeitig - verstärkt durchs Mikrophon - die Vielzahl an Mikrotönen der papierenen Knackgeräusche frei. Synchrone akustische und visuelle Ereignisse führen hier deutlich die einander bedingende Bild- und Klangfindung vor. Kraft der Inszenierung und Dauer der Performance wird eine poetische Imagination der kleinsten Bewegungen ermöglicht; das Papier bewegt sich kaum mehr sichtbar, im Inneren des Knäuels knackt es aber unentwegt weiter.
Ein Vorführer" physikalischer Phänomene ist der amerikanische Künstler Alvin Lucier. Obwohl man ihn - zu Recht - eher den Komponisten als den Performern zuordnet, können einige seiner Stücke als beredte Beispiele für die Musikperformance" genannt werden; so zum Beispiel Music for Solo Performer" und I am sitting in a room". Ersteres entstand 1965 am Elektronischen Studio der Brandeis University in Westham, Massachusetts, im Kontakt zu einem Forschungsprojekt über Alphawellen des Gehirns. Einem Interpreten (was wiederum der gängigen Definition der Performance als Einheit des Künstlers/Interpreten widerspricht) werden Elektroden am Kopf befestigt, mittels derer Alphawellen gemessen und verstärkt werden. Erstmals wird ein Interpret aufgefordert, Klänge durch absolutes Stillhalten hervorzubringen, denn die Alphawellen sind blockiert, wenn das Gehirn sich mit Körperbewegung und Visualisierung befaßt. Sie können nur durch den Zustand einer Nicht-Visualisierung freigesetzt werden. Wer dieses Stück richtig aufführen will, darf nichts Vorsätzliches tun. Der Interpret soll bei der Meditation weder körperlich noch geistig aktiv sein, indem er beispielsweise versuchen würde, die Aufführung zu steuern, um sie auf die eine oder andere Weise interessant zu gestalten.
Alvin Luciers Stücken liegen häufig Experimente der physikalischen Akustik zugrunde, mit denen er unter anderem das Unhörbare hörbar machen"' will. In der Music For Solo Performer" produziert der Aufführende Alphawellen in gleicher Weise, wie sie in einer EEG-Untersuchung erzeugt werden. Poesie und Drama der Situation bleiben erhalten und werden in der Aufführung zugespitzt; nur die Umgebung und das Ergebnis sind verändert vom Krankenhaus zum Konzertsaal und vom sichtbar Aufgezeichneten zum Klang. In I am sitting in a room" von 1970 werden mehrere Sätze aufgenommen, abgespielt, wiederaufgenommen, wiederabgespielt, und so weiter. Während des Wiederholungsvorganges werden die Frequenzen der original gesprochenen Sätze von den Resonanzfrequenzen des Raums langsam ausgelöscht. Der Raum wirkt als Filter, die Sprache wird in reinen Klang umgeformt.
So sachlich auch diese Stücke Alvin Luciers in der Konzeption erscheinen, gewinnen sie gerade dadurch und den minimalen Einsatz von Mitteln eine große poetische Aufladung. Frei von übersteigertem Aktionismus wird uns Unerhörtes vorgeführt, Klänge oder Klangaspekte werden freigelegt, die wir aufgrund unserer Beziehung zur musikalischen Sprache selten hören.
Ein Künstler, der sicher nicht der Musikperformance zugeordnet werden kann, ist der Amerikaner James Lee Byars. Seine Performances in Form eigentlicher Rituale haben klanglichen Anteil, wenn auch dieser in der größtmöglich denkbaren Reduktion besteht:
Am 12. 12. Schlag 12 Uhr mittags traten aus den 12 Fenstern einer Etage des Dom-Hotels zu Köln 12 Herren im Smoking auf die 12 Vorbalkone heraus, verharrten 12 Sekunden feierlich und zogen sich wieder lautlos zurück. In ihrer Mitte der 13. ganz in Schwarz mit Augentuch und Zylinder, aus der Ferne einem Kaminfeger nicht unähnlich. Das war die ganze Aktion, für eine Handvoll Insider und verblüffte Passanten im Regen: ein lebendiges Bild von Magritte oder auch Glockenspielfiguren, eine fixe Idee von Totentanz und Exekution eines Deliquenten... Für seine Aktion The Play of Death" mußten ein Mäzen, zwölf echte Doktoren und eine ganze Suite von Einzelzimmern aufgetrieben werden, damit der Künstler beim Hinausschreiten aus dem Fenster von The Play of Death" nur das letzte th" in die Luft pustete, unsichtbar und unhörbar für alle. Ein enormer indirekter Aufwand von Zeit, Geld, Symbolen, Traditionen, Sophismen für einen Moment der Wahrheit, von dem die Außenstehenden nur das zeremonielle Drum und Dran wahrnehmen konnten - eine konzisere Parabel auf die Eitelkeit des Lebens ist schwer vorstellbar. Hier kommen Aktion, Performance, aber auch konzeptuelle Kunst und Theater Oberhaupt auf einen Nullpunkt. Es war nur ein Moment, aber in ihm wurde wie in einem Focus Geschichte, Leben und Kunst zu einem Mysterien-Minimal zusammengezogen" (Georg Jappe).9
Im kaum wahrnehmbaren Zischen dieses letzten th" ist die Summe aller Klänge enthalten: Dem rotierenden Farbkreis entsprechend, in dem alle Farben sich zum Grau mischen, ist in diesem weißen Rauschen alles Klangliche, Erlebte enthalten: Ursprung und Ende, das Sagbare wie das Unsagbare.
Mit Mischformen musikalisch-theatralischer und künstierisch-bildender Art werden in den Performances Verbindungen geschaffen zwischen statischen und dynamischen Prinzipien. zwischen Polen eigentlich gegensätzlicher Natur. Mit verschiedensten Elementen unserer akustischen Erfahrungsweit werden Verbindungen über die unterschiedlichsten Mediengrenzen hinweg in alle anderen Erfahrungs- und Ausdruckswelten geschaffen. Diese verbindende, interferierende Funktion mag das Eigentliche der Musikperformance sein.
Was wichtig ist: Das Unsagbare, das Weiße zwischen den Worten, und immer reden diese Worte von Nebensachen, die wir eigentlich nicht meinen. Unser Anliegen, das eigentliche, läßt sich bestenfalls umschreiben, und das heißt ganz wörtlich: Man schreibt darum herum. Man umstellt es. Man gibt Aussagen, die nie unser eigentliches Erlebnis enthalten, das unsagbar bleibt; sie können es nur umgrenzen, möglichst nahe und genau, und das Eigentliche, das Unsagbare, erscheint bestenfalls als Spannung zwischen diesen Aussagen.
Unser Streben geht vermutlich dahin, alles auszusprechen, was sagbar ist; die Sprache ist wie ein Meißel, der alles weghaut, was nicht Geheimnis ist, und alles Sagen bedeutet ein Entfernen. Es dürfte uns insofern nicht erschrecken, daß alles, was einmal zum Wort wird, einer gewissen Leere anheimfällt. Man sagt, was nicht das Leben ist. Man sagt es um des Lebens willen. Wie der Bildhauer, wenn er den Meißel führt, arbeitet die Sprache, indem sie die Leere, das Sagbare, vertreibt gegen das Geheimnis, gegen das Lebendige. Immer besteht die Gefahr, daß man das Geheimnis zerschlägt, und ebenso die andere Gefahr, daß man vorzeitig aufhört. daß man es einen Klumpen sein läßt, daß man das Geheimnis nicht stellt, nicht faßt, nicht befreit von allem, was immer noch sagbar wäre, kurzum, daß man nicht vordringt zu seiner letzten Oberfläche. Diese Oberfläche alles letzlich Sagbaren, die eins sein müßte mit der Oberfläche des Geheimnisses, diese stofflose Oberfläche, die es nur für den Geist gibt und nicht in der Natur, wo es auch keine Linie gibt zwischen Berg und Himmel, vielleicht ist es das, was man die Form nennt? Eine Art von tönender Grenze?" (Max Frisch)10
1 Harold Rosenberg: The Tradition of the New, New York 1959
2 Boris Nieslony in: Performance - Relikte & Sedimente, Linz 1993.
3 Theodor W. Adorno, 4 Theodor W. Adorno, gesammelte Schriften, Band 7 ästhetische Theorei, Frankfurt/Main 1970
4 Theodor W. Adorno, Das Altern der Neuen Musik, in: Dissonanzen, Götlingen 1956.
5 Peter Löffler: Futurismus, Fünfundzwanzig Stücke, Basel 1990
6 Siehe Anmerkung 2
7 H. Sohm: Happening & Fluxus, Köln 1970.
8 Alvin Lucier im Gespräch mit Gisela Gronemeyer, Nachdenken, wie man zuhört, in Musik Texte, Nr.16, Köln, Köln 1986
9 Georg Jappe in: Die Zeit, Hamburg, 17. Dezember 1 976, wiederveröffentlicht in: Elisabeth Jappe: Performance - Ritual - Prozeß, München 1993
10 Max Frisch: Stichworte, Frankfurt/Main 1975.

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