HANS-JÖRG TAUCHERT
FÜR EIN FOTO-UND VIDEOVERBOT BEI PERFORMANCES?
Der Titel suggeriert, es ließe sich mal eben ein Videoverbot
einführen. Das ist selbst mit diktatorischen Maßnahmen nicht möglich. Video ist eine
Macht, der sich niemand mehr ganz entziehen kann, schon deren Eindämmung ständen
handfeste Interessen entgegen. Ein Fotoverbot während des Krieges, damit niemand die
Trümmer fotographiert, konnte nie völlig durchgesetzt werden.
Ein Videoverbot bei Performances kann nur auf freiwilliger Basis erfolgen, als Gebot, und
selbst dazu müßten Berge versetzt werden, ergeben sich doch beste Voraussetzungen für
seltene und damit kostbare Aufnahmen, denn nach der Logik des Marktes steigt eine knappe
Ware im Wert.
Die Forderung nach einem Foto- und Videoverbotes klingt maßlos übertrieben, setzt sie
doch eine Unverträglichkeit zwischen Performance und Video voraus, die niemand so recht
einsieht und die viele auch für völlig absurd halten. Publikum und Performer haben sich
an den Anblick einer dritten Gruppe von einäugig versunkenen Videographen längst
gewöhnt. Ein Auge bleibt bei ihnen pausenlos an einen winzigen Bildschirm gefesselt,
während das andere in Dunkelheit versinkt. Mit dieser extremen Situation beginnt der
Bildschirmterror, deren Folgen weit in die Zukunft reichen, weiter als das Auge reicht.
Die elekronisch aufgerüstete Performance möchte ich zur besseren Verständigung
"Elektropanz" nennen. Eine scheinbar harmlose Videoaufnahme ist der Beginn einer
Kette, bei der jedes Glied zwangsläufig auf das andere folgen muß.
Aber zuerst noch einige Unterscheidungen, die sich von dem Wort "Elektropanz",
der elektronisch aufgerüsteten Performance, ableiten. Das Produkt der Videoaufahme einer
Performance, der Mitschnitt heißt anschaulich "Elektropansat", ähnlich dem
Filtrat und erhält deshalb dieselbe Endung at. Der Videoapparat funktioniert als
Trennungsmaschine. Der Teil, der bei der Trennung von der Videokamera aufgefangen wird,
das Elektropansat, trennt sich vom Rückstand, der einmalig an Ort und Zeit gebunden,
zurückbleibt bzw. in diesem Fall sofort verschwindet. Der Performer und die Performerin,
die sich für eine Aufzeichnung ihrer Performances hergeben, sind Elektropanzen oder auch
Elektropanzer, elektropanzen das dazugehörige Verb.
Auf jeweils neueste Bildträger überspielt, führt die Performance ein Leben nach dem
Tode, freilich ein Leben mit völlig anderen Eigenschaften als die ursprüngliche
Performance, was sich ja nun auch in den beiden unterschiedlichen Namen widerspiegelt. Das
Elektropansat ruht jetzt in einem kleinen beschrifteten Kassettensarg, wobei die
Käuferinnen und Käufer zwischen billigen und teuren Särgen entscheiden können.
Videomaterialien eignen sich schon von Hause aus erstaunlich gut für eine gewisse
Begräbniskultur (Sepulkralkultur), die sich geradezu aufdrängt. Die Arbeit am Video
ähnelt der des Totengräbers, fast zu 100% seines Daseins bleibt das Kunstwerk wohl
unsichtbar. Kunst mit großem Aufwand und hohen Kosten so ins Reich der Unsichtbarkeit zu
Überführen, ist ein besonders widersinniger Vorgang, fast schon kunstfeindlich zu
nennen. Nichtsdestotrotz werden immer mehr Kunstvideos produziert. Alles Sichtbare bleibt
hauptsächlich Hülle für eine unsichtbaren Inhalt. Liegt da nicht der Vergleich mit
einem Friedhof sehr nahe?
Nach der Aufzeichnung durchläuft das Elektropansat eine Schönheitsoperation, es wird auf
dieser 2. Station in der Kette geschnitten und geschönt und harrt so seiner Auferstehung,
denn auf die Hoffnung überall auf der Welt und von möglichst vielen Menschen nochmal
gesehen zu werden, baut die gesamte Performance-Veranstaltung (Elektropanz). Die
ursprüngliche Performance gerät damit unter die Absicht, hauptsächlich als Vorlage für
Kopien herhalten zu müssen.
Folglich wachsen in vielen Haushalten, Galerien, Museen immer mehr Friedhöfe mit bunten,
neuartigen Vampiren heran, die selbstverständlich ihr Recht auf Aufmerksamkeit fordern
und nicht nur das.
Das Leben der klassischen Vampire war noch an eine bestimmte Zeit gebunden, nun aber
reicht ein Knopfdruck aus, um sie im Gewand eines Elektropansates mit Hilfe passender
Beatmungsgeräte ins künstliche Leben zu holen. Die Vampire der neuen Art rauben heute
allerdings kein Blut mehr, sondern saugen die Zeit der Anwesenden auf und verursachen
dabei laufende Stromkosten. Die Veranstaltung steht auch jetzt, wie bei Beginn die
Aufnahme unter einer Gebührenschraube. Rückwirkend kann der ganze Vorgang des Aufnehmens
ebenfalls als Vampirakt gesehen werden, um die aufgezeichnete elektronische Kopie als die
schönere Performance vorstellen zu können, dabei unterschlagend, daß der Begriff
Performance jetzt nur noch eine leblose Hülle darstellt im Gegensatz zum Original.
Da früher oder später jedem Interessierten die Kopie, das Elektropansat, zur Verfügung
steht, interessiert sich für das Original, außer ein paar Videographen, die die Kette in
Gang setzen, kaum jemand. Die Performance zieht Video an und beide kennzeichnen sich bald
gegenseitig. Wo Videokameras, da läuft eine Performance und wo Performance, da sind
auch Kameras. Kopien entwerten das Original und begraben es mit ihrer Masse. Gäbe es
keine Aussicht auf Kopien, wären Interessierte nur auf das Original angewiesen, eine
Performance stieße jedesmal auf großes Interesse. Man kann nur hoffen, daß bei der Flut
elekronischer Bilder die Sehnsucht nach real existierenden Bildern automatisch wächst.
Eine riesige Chance für Performance liegt hier begraben und wartet nur darauf, mit
wenigen Mitteln realisiert zu werden. Dazu muß aber eine Situation geschaffen werden, die
den natürlichen Ablauf einer Performance gewährleistet, die das Gefühl, beziehungsweise
Bewußtsein vermittelt, einer einmaligen, lebendigen Performance beizuwohnen, was eben nur
gelingt, wenn man Kopiergeräte einfach verbannt und dafür eine neue Bezeichnung
einführt, um nicht jedesmal von neuem umständliche Erklärungen abgeben zu müssen. Dies
wäre eine wichtige Methode, Performance zum Gedeihen zu verhelfen. Die Performance
braucht Nachwuchs, sowohl Zuschauer als auch Performer, wenn sie nicht in irgendwelchen
winzigen elitären Zirkeln versauern soll. Sie führte hauptsächlich ein symbiotisches
Verhältnis mit Ausstellungseröffnungen, die ihr ein gewisses Publikum garantierten und
der Galerie ein Stück Belebung boten. Die Kopie anzusehen ist meines Erachtens meist so
erschreckend langweilig, daß die wenigen neuen Zuschauer froh sind, wenn sie wieder vor
dem heimischen Fernseher Platz nehmen dürfen. Hier hat die Kopie wieder gemeinsam mit
Performance wie alle Kulturveranstaltungen unter der viel stärkeren Konkurrenz des
Fernsehens zu leiden. Videokopien holen aber wieder an den Bildschirm zurück, vermehren
also die schon unermeßlich große Fernsehgemeinde. In diesem unserem Land, keine
nationale Besonderheit sondern internationale Tendenz, sitzt im Durchschnitt jeder 3
Stunden vor dem Fernseher. Dieser radikale Zustand muß nicht auf ewig so bleiben, ebenso
gut könnte jeder 3 Stunden Performance (keine Elektropanz) anschauen, das klingt
utopisch, aber ich will damit sagen, daß diese Zeit vor dem Fernseher noch disponibel
ist. Theoretisch steht der Performance also ein riesiges Aufmerksamkeitspotential zur
Verfügung, das sie nutzen sollte.
Performance demonstriert im Ablauf real existierender, vergänglicher Bilder, eine
einzigartige Qualität, die nicht wie bei Bildern exakt reproduziert werden kann. Bei
Performances bleibt die Kopie weit hinter dem Original zurück. Performances sind eben
deshalb fälschungssicher, eine besondere Qualität. Auch das Theater schafft
Primärereignisse. Es steht deshalb der Performance viel näher als die bildende Kunst.
Nur Theater unterliegt starren Vorschriften, ist ortsgebunden, besonders aufwendig und
kann Stücke nicht auf 5 Minuten verkürzen. Bei Hamlet weiß jeder was ihn erwartet.
Wo immer Publikum vorhanden, könnte Performance um Aufmerksamkeit heischen, geradezu
unerschöpfliche Möglichkeiten.
Der Werdegang der Performance zur Kopie bzw. der "Elektropanz" zum
"Elektropansat" läßt sich in folgenden Stationen zusammenfassen:
1. Aufnahme der "Elektropanz", der elektronisch aufgerüsteten
Performance auf Video und dadurch Verwandlung in ein "Elektropansat".
2. Schönheitsoperation des "Elektropansates" (schneiden und zurechtmachen der
Leiche)
3. Lagerung des "Elektropansates" in einer Videokassette (begraben der Leiche)
4. Überspielen auf die jeweils neuesten Datenträger (Pflege der Leiche)
5. Werbung mit dem falschen Begriff Performance und damit Entwertung der Performance
selbst.
6. Wiederauferstehung als geschönte Leiche vor einem Publikum
7. An- und Verkauf (Leichenhandel).
Der letzte Punkt betrifft die Vermarktung. Aus der vergänglichen
Performance ist eine handelbare, einigermaßen langfristig haltbare Ware geworden, die
einen Preis verlangt, denn zu ihrer Herstellung waren Arbeit und Material nötig, die
ersetzt werden müssen. Der Aufwand muß sich lohnen, wie es so schön heißt. Die
Performance ist durch Video in den Bereich kommerzieller Interessen geraten. Von wegen
antikommerziell. Es bleibt allerdings festzustellen, daß sie nur in einem kleinen Bereich
zwangsläufig über antikommerzielle, besser nichkommerzielle Seiten verfügt und zwar auf
dem Kunstmarkt. Dort kann sie naturgemäß nie eine Chance haben. Niemand kauft eine
Performance wie einen Van Gogh für 10 Millionen Mark. Weil mit Performance unmöglich
spekuliert werden kann. Das vergängliche Produkt zerfällt sofort nach der Aufführung,
im Idealfall spurenlos. Weiterverkauf mit Gewinn bleibt ausgeschlossen. Das Original, die
Einmaligkeit, die dem Kunstmarkt doch sonst so viel wert ist, spielt bei Performance keine
Rolle. Eine Qualität, die gleichzeitig einen Schutz vor den einseitigen Interessen des
Kunstmarktes bedeutet. Video strebt danach, die Performance als Elektropansat
kunstmarkttauglich zu machen, mit dem Effekt, daß die Immunität gegenüber der
Spekulation schwindet.
Unter dem Einfluß von Video steht die Performance unter zwei äußerst vagen Hoffnungen,
die aber der Performance das Lebenslicht auszublasen drohen, ewiges Leben verbunden mit
Ruhm und kommerzieller Gewinn. Wenn nur noch aus diesen beiden Gründen Performances
aufgeführt werden, bedarf es eines Studios mit drei Kameras aber keines Publikums mehr.
Diese Forderungen richten sich nun gnadenlos an eine Performance, die unbedingt
elektronisch aufgerüstet werden muß, anstatt sie einfach vergehen zu lassen, und ihr
Vergehen zu genießen. Der Endzweck einer Sache wird immer mehr und mehr in die Zukunft
verlegt. Eine Performance geschieht aber im Hier und Jetzt, danach ist endgültig aus. Die
Performance ist Endzweck und ihre Dokumentation ist durch die Zuschauer hinreichend
erbracht. Will man eine zusätzliche Dokumentation, so müßte sie den menschlichen
Dimensionen der Performance entsprechen d. h. die Videomaschine müßte durch Menschen
ersetzt werden, die wieder darüber zeichnen, schreiben oder erzählen. Tätigkeiten, die
in diesem Zusammenhang geradezu avangardistisch, genauer "retroavangardistisch"
erscheinen müssen. Die beste Form der Dokumentation, das Gedächtnis der Menschen, wird
immer mehr überflüssig, ein Zeichen, daß der Mensch sich immer unwichtiger neben der
Maschine herausnimmt. Offensichtlich ist Performance auch ein Gemeinschaftswerk in der
Übertragung von Mensch zu Mensch. Der Übertragungsweg wird durch Videocassetten ja
gerade unterbrochen. Die Verbreitungkette
hören-weitererzählen-hören-weitererzählen-hören entspricht dem Leben, die passiv
konsumierte Kette weitersehen-weitersehen -weitersehen der Medienwelt. Die Einheit bzw.
Vereinigung von Kunst und Leben kann nicht mehr weiter getrieben werden als bis zur
Performance, die vergeht wie das Leben.
Die "Elektropanz" ist also von der Absicht beherrscht, daß
zumindest eine Wiederauferstehung einmal möglich werden wird. Eine Garantie dafür gibt
es nicht. Schlimmstenfalls verstaubt das "Elektropansat" und verfällt. Der
Gesamte Aufwand, der ja auch durch Geldkosten ins Gewicht fiel, war dann umsonst, die
erhoffte Wiederauferstehung fand nicht statt. Diesen Fall kann man glücklicherweise in
einer kleinen Trauerfeier bewußt und in Würde vollziehen. Wir besitzen auf diesem Gebiet
durch jahrelange Praxis fundierte Erfahrungen und führen Beerdigungen dieser Art ohne
große Formalitäten preisgünstig durch, auf Wunsch auch als Performance, was die Sache
besonders delikat macht. Der Videocassettensarg mit dem Elektropansat wird von uns
endgültig stillgelegt, beziehungsweise beerdigt, indem wir den Sarg dauerhaft mit Beton
füllen und verschließen. Das ganze erinnert nun nicht nur passend an einen Sarg, sondern
obendrein auch an einen Grabstein. Der Vorteil des Verfahrens ist allerdings noch ein
anderer, die sorgfältige Ausführung der Beerdigung führt zu einem kleinen Kunstwerk,
das gut in der Hand liegt und in einigen Vitrinen und Bücherborden seine
unmißverständliche Botschaft entfaltet.
Die "Elektropanz" lockt mit dem Versprechen auf ewiges Leben. Nur zu
verständlich, daß Künstlerinnen und Künstler sich auf dieses verlockende Angebot, auch
wenn es Geld kostet, das ewige Leben ist nie umsonst, darauf bereitwillig einlassen.
Berufsmäßig müssen Künstler ihre Werke überall zeigen können. Die frühere
Sonderleistung, am Beginn der Videoentwicklung, wird heute als selbstverständlich
vorausgesetzt. Ein Video von seinen Werken hat man zu haben und nicht nur eines. Künstler
sind bemüht, sogar gezwungen aus jeder Performance eine Elektropanz und damit ein
Elektropansat zu machen, wenn sie mithalten wollen im Buhlen um Aufmerksamkeit. Bewegte
Bilderherstellung allein reicht nicht mehr aus, sie müssen auch unter erheblichen Mühen
gezeigt werden. Der Wiederholungszwang der Elektropansate drückt die ursprüngliche
Performance unter demselben Namen beiseite, und gefährdet damit ihr sowieso schon
schwieriges Dasein. Die Elektropanz bewirkt keine Förderung der Performance, sondern das
Gegenteil. Die weiß Gott geringe Aufmerksamkeit, die die Performance genießt, zumeist
aufgebracht von Künstlerinnen und Künstler, die selber Performance machen, wird nochmal
abgezogen zugunsten einer nicht verwesenden Leiche. Nicht die ursprüngliche Performance
einen Raum zu geben gilt das Ziel, sondern die vielen Kopien abzunudeln vor einer
möglichst großen Öffentlichkeit mit dem schlagendem Argument, endlich auch mal
Performances von weither sehen zu können. Damit ist ein gewisser Leichenhandel eröffnet.
Der Kopie wird kostbare Aufmerksamkeit, Raum und Zeit gewidmet, anstatt sie der
ursprünglichen Performance zu gute kommen zu lassen. Der Videoberg ungesehener
Performances konkurriert mit der Performance um Aufmerksamkeit. Die Performance wandelt
sich wie gesagt immer mehr zur "Elektropanz". In Düsseldorf, im Kunstraum, bei
der Veranstaltung "Performance Art" zählte ich allein 8 aktive Videographen mit
Kameras verschiedenen Kalibers als eine Gruppe, die besonderen Raum beanspruchten,
während die 4 Fotographen fast untergingen im Publikum. Die Anzahl der Videographen kann
soweit gesteigert werden, bis jeder Betrachter einer Performance einen kleinen
Minibildschirm vor Augen hat. Wir haben dann eine Situation, die auf Ankündigungen mit
der äußerst verdrehten und Verwirrung stiftenden Bezeichnung
"Live-Performance" ihr Unwesen treibt.
Mit "Live-Übertragung" ist meines Erachtens eine zeitgleiche Übertragung einer
Veranstaltung ins Fernsehen wie zum Beispiel Fußball gemeint. Wenn nun das gesamte
Publikum einer Performance durch eine Kamera starrt, überträgt sich ihnen die
Veranstaltung zeitgleich allerdings auch noch ziemlich unnötig im gleichen Raum. Man muß
also eine Performance zum Elektropansat verstümmeln, bis man das große Glück hat, in
den Genuß einer sogenannten "Live-Performance" zu gelangen, deren Wirkung darin
besteht, daß sich jedes bißchen "live" verflüchtigt. In diesem Sinne kann
eine "Live Performance" also nur das Gegenteil von "live" bedeuten.
Allerdings mag in dieser an Lebendigkeit armen Zeit das Bedürfnis nach "Live",
nach lebendiger Ursprünglichkeit sich schon soweit manifestiert haben, daß sich damit
eine Unterscheidung zur Kopie ausdrücken will. Bei Performance ist das unnötig, sie ist
zum Glück immer "live". Der Begriff "Live-Performance" könnte
höchstens aus der Not geboren sein, um sich von ihrer Kopie, dem Video, abzugrenzen. Dann
ist "Live" aber trotzdem das falsche Wort, denn es bleibt die Frage, was eine
Performance ohne "Live" noch sein soll wenn nicht die Kopie einer Performance.
Ein "Live-Performer" kann also nur auf dem Bildschirm betrachtet werden.
Vorschläge:
Immerhin bleibt bei diesem Verwirrspiel festzuhalten, daß die Lebendigkeit der
Performance so bedroht erscheint, daß man sie mit den Vorsilben "Live" extra
betonen muß und damit sogar als Rettungsanker in die Flut toter Bilder wirft.
Offensichtlich erscheint es dringend nötig, hier einen passenden Begriff zu suchen und zu
gebrauchen, der wirklich nichts anderes bezeichnet als eine naturbelassene Performance,
die auf diese Weise unter Naturschutz gestellt wird. Paradox, daß man etwas schützen
muß, damit es ungehindert vergehen kann. Der alte Konflikt zwischen Original und Kopie
entsprechend dem Reinheitsgebot des Bieres, das ja auch Biertrinker vor allen möglichen
Inhaltsstoffen schützt und ihnen damit die Freude am Biertrinken erhält. Bestrebungen
nach der Art eines Rheinheitsgebot sind auf anderen künstlerischen Gebieten bereits
erfolgreich. In der Musik legt man bereits öfters wert auf unverstärkte, ursprüngliche
Töne und hat dafür das Wort "unplugged" gewählt. Manche Worter müssen
geradezu amerikanischen Ursprungs sein, um eine Chance auf Einbürgerung zu bekommen.
Bleibt, wie bei vielen englischen Wörtern, der Nachteil, daß sie dann nicht
grammatikalisch bearbeitet werden können, ungepluggte Musik oder gepluggte Musik hört
sich unangenehm an. Aber es ist hier ein Anfang gemacht, der erkennen läßt, daß das
Pendel auch mal in die andere Richtung ausschlägt. In der technischen Sprache hagelt es
nur so von neuen Wortschöpfungen, verständlicherweise, weil hier der ökonomische Druck
sich passend verständlich zu machen, ungleich höher ist als im Kunstbereich. Kurzum ist
es an der Zeit, einen passenden Begriff für die Performance ohne Video einzuführen, der
das schauerliche Wort "Live-Performance" endlich verdrängt und sich auch an der
Seite der Elektropanz behauptet. Unser Vorschlag wäre die Ultipance, eine
Performance ohne Video (zu Ehren der Ultimate Akademie).
Das bisherige komplizierte Verfahren Performer und vielleicht auch das Publikums über die
Anwendung von Video entscheiden zu lassen, fällt damit weg. Bei einer Ultipance
steht von vornherein fest, daß es sich um eine direkte, einmalige Übertragung von Mensch
zu Mensch handelt ohne eine Übertragung zur Maschine. Es lebe die Ultipance!
Vorschlag: Unterscheidung von 2 "Performance-Arten":
Performance mit Video = Elektropanz
Performance ohne Video = Ultipance
Elektropanz: eine elektronisch aufgerüstete Performance
Elektropansat: Mitschnitt einer Performance
Ultipance: eine Performance ohne Video (nach Broska/Tauchert)
Anschließend ergibt sich eine grobe Definition der "Hardware" einer Performance
(Ultipance):
1. Für eine Performance (Ultipance) notwendig ist die Anwesenheit von Publikum, den
Rezipienten, die räumlich und zeitlich nicht getrennt sind von den unmittelbar
absichtlich handelnden Produzenten. Die vergänglichen Bilder übertragen sich dabei
ausschließlich von Mensch zu Mensch.
Da fällt natürlich auch dieser Vortrag darunter oder Parzivals "Beschlagungen"
von Werbeflächen vor einem Publikum. Da Inhalte und Motive ausgeklammert bleiben, fallen
leider auch eine Militärparade oder eine Rede Kohls vor Publikum darunter. Zur genaueren
Bestimmung müßten weitere Kriterien herangezogen werden. Publikum und Performer sind
mengenmäßig jedenfalls unbegrenzt. Schon ab 2 Performer beginnt die Definition der Massenperformance
(Massenultipance), die neue Möglichkeiten jenseits der Einzelperformance
(Einzelultipance) bietet.
Performance (Ultipance) hat gute Aussichten, als neue "Volkskunst" den
Elfenbeinturm der Kunst (Kunstghetto) zu verlassen, durch die Tatsache, daß Performance
jeder machen kann und Menschen sich über den Anblick agierender anderer Menschen
grundsätzlich freuen. Performance bedarf kein jahrelanges üben wie zum Beispiel
Klavierspielen. Einige Performer betonen sogar, wie wichtig es ist, gerade nicht zu üben.
Eine absichtliche Handlung ist lebensechter als eine einstudierte absichtliche Handlung.
Die Ultimate Akademie führt seit letztem Jahr (1995) regelmäßig Performances durch, um
das Publikum wieder an sinnliche, direkte Erlebnisse, die überwiegend ohne Technik
auskamen, zu erfreuen und zu gewöhnen. Ich empfinde die Form der Ultipance als eine
einzigartige Gelegenheit, kollektiv die Vergänglichkeit des Lebens bewußt zu spüren und
der Gegenwart gegenwärtig zu sein, daß leistet die Ultipance.
(Hans-Jörg Tauchert) |