Zentrum Europäisches Performance Institut
Von ehedem bis momentan
verbale Welt
I. Neben
der adjektivischen Welt, der allein wirklichen Welt der Erfahrung oder
des Sensualismus, gibt es in unserem Denken oder in unserer Sprache auch
noch eine substantivische Welt des Seins oder des Raums, die wir als die
mythologische Welt und (auf einer höheren Stufe) als die Welt der
Mystik kennen gelernt haben; es gibt aber weiter noch eine verbale Welt,
die Welt des Werdens. Der Raum ist die Bedingung der substantivischen Welt,
die Zeit ist die Bedingung der verbalen Welt. Raum und Zeit unterscheiden
sich hauptsächlich dadurch, daß Raum immer nur in Beziehung
auf eine bestimmte Zeit verbraucht wird, Zeit aber beinahe wie eine Kraft
immer verbraucht wird, sobald etwas geschieht. In den Abgrund des Ursachbegriffs
scheint es mir hinabzuleuchten, daß man von Raum und Zeit sagen kann,
sie seien die Bedingungen der Erfahrung, Raum sei die Bedingung des Seins,
Zeit sei die Bedingung des Werdens, daß man aber in keinen dieser
Fälle Zeit und Raum Ursachen nennen darf.
KANT
hat diese Schwierigkeit, die HUME wohl gar nicht bemerkte, dadurch umgangen,
daß er Raum und Zeit als Formen der Anschauung dem Subjekt allein
zusprach, den Dingen-an-sich, die er ja doch für Ur-Sachen hielt,
absprach. Aber die Zeit wenigstens, als die Bedingung des Werdens, ist
weder vom Subjekte noch vom Objekte loszulösen, wenn man nicht mystisch
die Zeit überhaupt wegdenkt. Die verbale Welt sieht nichts als die
Art der Wirksamkeit, welche wir die Relationen der Dinge zueinander nennen.
Das Werden und Vergehen, also die objektive Welt, befreit vom Aberglauben
des naiven Realismus, ist Gegenstand der verbalen Welt: das Wirken; aber
auch das Wirken auf uns, das unmittelbar als die adjektivische Welt erfaßt
wird, gehört - sobald wir es erst als ein Wirken erkannt haben - ebenfalls
der verbalen Welt an. Das Wissen von der adjektivischen Welt, das Begriffsbilden,
das Denken oder Sprechen ist verbal.
Ich will auch gar nicht leugnen, daß in dem Ausdrucke verbale Welt (für die Welt des Werdens und unseres Wissens vom Werden) einige Schönheitsfehler enthalten sind. Die eigentlichen Tätigkeitswörter, an welche ich bei der Lehre vom Zweck im Verbum (Kr. d. Spr. III, S.59) zunächst dachte, haben in der Psychologie der Sprache nicht genau den gleichen Charakter wie die Verben, welche eine Tätigkeit der physikalischen Natur bezeichnen: eine Bewegung z.B. des Wassers, des Schalls, des Lichts oder der Wärme; auch unterscheidet die Grammatik je nach ihrem Standpunkte transitive und intransitive, objektive und subjektive Verben. Zuletzt aber glaube ich doch, daß in allen unseren Sprachen die Verben, welche geistige Tätigkeiten oder gar Zustände der Ruhe ausdrücken, nur Analogiebildungen nach der Form und nach der inneren Sprachform der Tätigkeitswörter waren; die Verbalendungen erinnerten daran, daß das Subjekt etwas mache, etwas tue. Und diese unklare Vorstellung verbinden wir immer noch mit allen Zeitwörtern. Nur nicht mit dem allgemeinsten und darum leersten aller Zeitwörter, mit dem Begriffe sein. Ich kann wieder nicht leugnen, wie es mich in eine sprachliche Verlegenheit bringt, daß dieses allergemeinste Verbum in die verbale Welt hineinpaßt, sondern just ein Synonym der substantivischen Welt ist. Ich kann mir nur so helfen, daß ich mich auf den Sprachgebrauch berufe: wir verlegen die Ursachen der adjektivischen Welt in Substantive hinein, von denen wir die Realität oder das Sein erst dann aussagen, wenn wir von den Relationen dieser dinglichen Hypostasen etwas zu wissen glauben. II. Die Einteilung der drei Welten nach den wichtigsten Redeteilen der Grammatik ist also selbstverständlich nur cum grano salis (mit einer Brise Salz) zu verstehen. Die Unbestimmtheit des grammatischen Sinnes (vgl. Kr. d. Spr. III, S.1f.) zeigt sich besonders deutlich darin, daß wir nicht genau sagen können, was ein Adjektiv, was ein Substantiv und was ein Verbum sei; die Logik, die Schullogik nämlich, ist freilich durch eine welthistorisch gewordene Unklarheit des ARISTOTELES aus der Grammatik hervorgegangen, aber die Grammatik ist dadurch nicht logisch geworden. Dem Ideal logischer Begriffe entsprechen eigentlich nur die Substantive, insofern sie Individuen und dann höhere und immer höhere Gattungsbegriffe bezeichnen. Die Adjektive sind von Hause aus sprachliche Bezeichnungen für Sinneseindrücke oder Empfindungen, sind aber in der Schullogik immer noch als Prädikate von Subsumtions-Urteilen und -Schlüssen gut zu verwenden. Verben
jedoch sind im Sinne der Subsumtionslogik gar keine Begriffe, sie bezeichnen,
wie wir gelernt haben (Kr. d. Spr. III, S.59), nicht begrifflich die Summe
gleicher oder ähnlicher Wahrnehmungen, sie fassen vielmehr eine Summe
fortschreitender Veränderungen unter einem Zweckbegriff zusammen.
Nun habe ich eben auch den Formfehler meiner Dreiteilung der sprachlichen Welten zugestanden: daß nämlich ein Zweck im Verbum unmittelbar nur bei Wörtern für sinnliche Tätigkeiten wahrnehmbar sei, am allerdeutlichsten bei den objektiven Tätigkeitswörtern, deren substantivisches Objekt nur eine tautologische Wiederholung des Zwecks im Verbum ist, z.B. eine Grube graben, ein Gebäude bauen usw. Ich verschweige nicht, daß bei meiner Lehre vom Zweck im Verbum der Fehler der Generalisierung vorlag. Diesen selben Fehler haben aber unsere Sprachen vor mir begangen, da sie nach der Analogie der sinnlichen Tätigkeitswörter eine Unmenge von Zeitwörtern bildeten, denen ein so handgreiflicher Zweck der Handlung nicht unmittelbar oder gar nicht anzuhören war. Ich will den Begriff Zweck im Verbum für einige große Gruppen zu verteidigen suchen. Die
sinnlichen Tätigkeiten eines Menschen werden durch Verben ausgedrückt,
welche unzählige mikroskopische Teilveränderungen unter einem
Zwecke zusammenfassen, oder das Ganze der Veränderungen von einer
sogenannten Endursache ableiten; die Veränderungen in der außermenschlichen
Natur, von denen wir als von Relationen der Dinge zueinander etwas wissen,
gehen nach dem wissenschaftlichen Sprachgebrauche nicht auf Endursachen
zurück,
Die Sehnsucht unserer Zeit, die der mechanistischen Weltanschauung müde ist, flüchtet gern zu der Vorstellung des Panpsychismus, der ja - ohne den Richtungsbegriff ausgearbeitet zu haben - Teleologie und Kausalität nicht mehr als Gegensätze betrachten wollte. Für eine solche Anschauung scheint es mir nun gar nicht ungereimt, ja sogar notwendig, den Zweck im Verbum von den sinnlichen Tätigkeitswörtern auch auf die unzähligen Zeitwörter zu übertragen, welche irgend ein Wirken der Dinge aufeinander, welche die Relationen der Substantive zueinander bezeichnen. Ich hätte ja anstatt von einem Zweck im Verbum prägnanter, und dieser Erklärung entsprechender, von einer Richtung im Verbum reden können; aber es ist eine gute Probe für neue Gedanken, wenn sie sich durch schlichte Worte ausdrücken lassen; auch war ich vor zwölf Jahren mit dem Richtungsbegriffe wohl noch nicht ins Reine gekommen. III. Wir haben jetzt in der Zufallsfolge des Alphabeths die drei Welten kennen gelernt, welche die Gegenstände unseres Denkens oder unserer Sprache sind. Ich nenne sie (ich bin mir der Unzulänglichkeit des dritten Namens bewußt): die adjektivische Welt der Erfahrung, die substantivische Welt des Seins, die verbale Welt des Werdens. Ich fürchte, ich muß noch eine Warnung hinzufügen, damit kein wortgläubiger Leser in Versuchung geführt werde, an eine Trinität von Welten zu denken, an eine Dreiheit, die nur durch ein Wunder zu einer Einheit zurückkehren kann. Ich meine natürlich nur drei Bilder von einer und derselben Welt; ich meine nur drei Sprachen, in denen wir je nach der Richtung unserer Aufmerksamkeit unsere Kenntnis von einer und derselben Welt ausdrücken. Daß die Welt nur einmal da ist und nicht noch ein zweites Mal oder gar noch ein drittes Mal, das habe ich oft und energisch genug zu lehren versucht, gegenüber dem Dualismus, aber auch gegenüber einem falschen, dogmatischen Materialismus, welcher sich Monismus nennt. Hätte
der Sensualismus recht, so wäre der Welt durch eine adjektivische
Sprache allein beizukommen: hätte der Idealismus recht, so besäßen
wir die Wahrheit, was ich recht genau zu überlegen bitte, in der substantivischen
Sprache, in der mythologischen Welt des Seins; hätte die Lehre vom
Flusse aller Dinge recht, die man heute Entwicklungslehre nennt, so könnten
wir aus der verbalen Sprache, aus unserer verbalen Welt vielleicht zu unserer
Die drei Sprachen oder die drei Welten dürfen einander aber nicht etwa so helfen wollen, daß die schwierige Frage der einen Sprache aus Verlegenheit in einer ganz anderen Sprache beantwortet wird. Diese törichte Manier scheint beliebt gewesen zu sein in der Zeit, als die Griechen ihre berühmten und oft so kindischen Sophismen ausarbeiteten. Man denke z.B. an das Sophisma, das unter dem Namen Achilleus bekannt ist. Der schnellfüßige ACHILLEUS kann den Vorsprung der Schildkröte wirklich niemals einholen, - wenn der Preisrichter von der Zeit abstrahiert, sich an eine zeitlose Welt des Raumes hält. Nur besinnen sollen sich die Forscher jeder der drei Welten darauf, daß es jenseits des Gebietes ihrer besondern Welt stets zwei andere Welten gibt, für welche die letzten Ergebnisse der besonderen und beschränkten Forschung nicht ganz richtig sind. Diese Besinnung wird immer Bescheidung lehren oder die Sehnsucht nach einem höhern Aussichtspunkte. Und
jetzt bin ich so weit, das höhere Stockwerk jeder der drei neu benannten
Welten mit einem altvertrauten Namen bezeichnen zu können.
Die substantivische Welt ist ungefähr gleich der Welt des Seins, deren Bedingung der Raum ist. Der älteste Aberglaube der Menschen und wohl auch der Tiere ist der Glaube an die Realität der Dinge im Raume; und so abergläubisch wie dieser naive Realismus, so mythologisch ist der Glaube an die Realität oder an die Wirksamkeit der abstrakten Substantive. Unser Denken in substantivischen Begriffen ist Mythologie. Aber das inbrünstige Erfassen dieser Welt des Seins kann sich in begnadeten Naturen steigern zu einer Welt der Mystik, die der Erfahrungswelt gegenüber das höhere Stockwerk ist. In welchem man nicht dauernd wohnen, in welchem man aber ruhig träumen kann. Die verbale Welt ist ungefähr die Welt des Werdens, deren Bedingung die Zeit ist; die verbale Welt glaubt nicht an die substantivische Welt und begnügt sich nicht mit der adjektivischen Welt; sie sieht in allen Veränderungen, um die allein sie sich kümmert, nur Relationen, Relationen der sogenannten Dinge zu uns und Relationen dieser Dinge zu einander; sie erhebt sich also in der Wissenschaft (von der Erfahrung und von den Dingen), also über die adjektivische und über die substantivische Welt. Das Sein wird zum Werden. Und in begnadeten Naturen steigert sich ein inbrünstiges Wissen zu etwas, das der Kunst verwandt sein muß durch unmittelbares Erfassen der Sinnlichkeit und durch den sprachlichen Ausdruck dieses Erfassens, das der Mystik verwandt sein muß durch die Stimmung des Einswerdens mit den beiden anderen Welten. Die Welt deren Bedingung die Zeit ist, glaubt nicht mehr an das Substantiv Zeit. Das Wissen wird zu einer docta ignorantia. Kunst, Mystik und Wissenschaft sind drei Sprachen, die einander helfen müssen. Literatur: Fritz Mauthner, Wörterbuch der Philosophie, Leipzig 1923 |