Pah, die Anarchisten kenn ich, die bilden Gruppen - A.Artaud

 DIE 4. PERFORMANCE ART KONFERENZ
PERFORMATRIX

organisiert von Thomas Werner, Jochen Wüstenfeld und Lothar Schröder in Zusammenarbeit mit Performance Index - Heinrich Lüber und ASA-European - Boris Nieslony
3.10 - 5.10. 1997 mit freundlicher Überlassung der Räume der Künstlerorganisation KX Hamburg

Beteiligte und Eingeladene:

Ric Allsopp, John Bock, BBB.Johannes Deimling, Berard&Josipovic - durchgehende Interventionen, Stephan Goedecke, Judith Hamann, Christa Hansen - Performance-Therapeutin, Christian Jankowski, Kai-Uwe Karsten - Greenpeace, Ingolf Keiner, Johan Lorbeer, Heinrich Lüber, Valerian Maly und Klara Schilliger, Andrea Morein, Boris Nieslony, Mario Ohno, Errki Pirtola, Li Portenlänger, Hinrich Sachs, Roi Vaara, Thomas Werner, Jochen Wüstenfeld, und 1 Profisporttrainer, 1 Börsenmakler, 1 Talkmasterin, 1 Performancekünstler aus S.Francisco und Gäste.

Es erschien ein Katalog und eine Erweiterung des Performance-Index


Johannes Lothar Schröder

Einige Gedanken zu PERFORMATRIX

1. PERFORMATRIX ALS TEIL VON NETZWERKEN

Die Idee von Netzwerken war für die Performance-Konferenz konstituierend. Sie wurde von einer Zusammenkunft verschiedener Gruppierungen und Einzelpersonen im November 1995 im Belgischen Haus in Köln veranlasst. Man kam überein, sich regelmässig zu treffen, um Performances aufzuführen und um zu beraten, wie die Möglichkeiten und der Stellenwert von Performances in der künstlerischen Praxis zu verbessern und weiterzuentwickeln seien. Die Performance-Konferenz soll Künstlern, Organisatoren, Kuratoren und Autoren ein überregionales Forum zum Austausch von Informationen und zur Beratung bieten.

Zusätzliche Strukturen des Informationsaustauschs wie Publikationen, Hompages, Diskussionsforen sollen eine permanente netzwerkartige Verknüpfung zwischen Einzelpersonen, Gruppen und vorhandenen Organisationen ermöglichen. Der Austausch von Erfahrungen, die Erstellung von Publikationen, Lobbying, eine Zusammenarbeit mit Museen, Ausstellungshäusern und Universitäten, Kontakte zu Massenmedien, Sponsoren und entsprechenden anderen Institutionen sollen die konkreten Bedingungen für Performances verbessern.

Bisher sind zwei Treffen von ASA European in Köln organisiert worden. Durch einen Reader und eine Diskette mit Aufzeichnungen, Essay, einer Literaturliste, Notizen, Statements und Stichworte kommen verschiedene Positionen zu Wort und werden grundlegende Informationen gegeben. Neben vielen anderen Initiativen sind im europäischen Kontext Performance Index in Basel, die Veranstaltungen der Writing Research Association (WRA) in Holland und England und die vielfältigen Aktivitäten des Centre of Performance Research in Aberstwyth (Wales) hervorzuheben.

Ausgehend von der vorhandenen Infrastruktur wird mit der Tagung der Performance-Konferenz in Hamburg, mit PERFORMATRIX, ein neuer Knoten entstehen.

2. "PERFORMANCE"

|ÜBERLEGUNGEN ZUR AKTUALITÄT UND OBSOLENZ EINES BEGRIFFS

Nach gut 25 Jahren, in denen "Performance" von bildenden Künstlern und Literaten für experimentelle Aufführungen benutzt wird, ist der Begriff heute in Frage zu stellen. Wurde er anfänglich herangezogen, um künstlerische Äusserungen dem Zugriff konventioneller ästhetischer Diskurse zu entziehen, so ist er heute in aller Munde. Sportler, Techniker, Manager, Banker, Börsianer und sogar Politiker benutzen ihn, um auf hervorragende Kampagnen, steigende Umsätze und exorbitante Gewinne aufmerksam zu machen oder auch um Siegeszuversicht zu verbreiten.

Mit PERFORMATIX wollen wir Menschen aus einigen relevanten Berufsgruppen: Künstler, Kunsttheoretiker, Manager, Trainer, Börsianer usw. fragen, was sie mit diesem Begriff verbinden und was sie davon halten. Wir wollen feststellen, wie sich der Begriff   "Performance" durch seine inflationäre Benutzung gewandelt hat und ob oder in welcher Weise er mit den Absichten, die heute Künstler damit verbinden, noch etwas zu tun hat. Vielleicht lässt sich der Begriff ja an Kreuzungen und Querungen postieren, die zwischen den Disziplinen liegen und es gelingt darüber, tatsächlich Interdisziplinarität zu konstituieren.

Sollte "Performance", das im Englischen von dem französischen Wort 'parfourir' abgeleitet worden ist und soviel heisst wie abschliessen', vollenden' und sorgfältig durchfuhren', anfänglich ein neutraler, ästhetisch nicht vorbelasteter Begriff sein, mit dem sich Künstler, zumindest kurzfristig, dem Zugriff einer konventionellen Kritik und traditionellen Ästhetik entzogen haben, heute in der Kunst obsolet geworden sein? Oder, ist das Wort, weil es in aller Munde ist, der Joker in allerlei Spielen und Diskursen? In einer Zeit, in der Geld als Datenmenge zur Disposition steht, relativiert sich sein Wert. Es tritt als ein imaginierter, man sagt auch virtueller, Wert auf, der genauso schnell wie Daten und Informationen den Erdball umkreist. Als solches billigen Makler und Börsianer den Kursen ihrer Papiere zu, eine Performance zu machen. Sie sagen damit indirekt, dass sich die Kurse verselbständigt haben und sich wie das Wetter entwickeln. Um dieses Spiel zu beherrschen, müssen sie in der Lage sein, Intuition und Wissen, verinnerlichtes Wissen und Technologie gleichermassen einzusetzen. Die Bewegungen der Papiere, ihre Performance, erscheint daher als eine Projektion ihres eigenen Handelns, die sie dazu nötigt, das immer noch favorisierte, nur auf Vernunftgründen beruhende Handeln zu vergessen.

"Performance" steht für das Ephemere, das immer stärker alle Bereiche des Lebens durchdringt und die mit dem Festen, dem Material, der Handgreiflichkeit verbundenen Werte auflöst. Das ist in der Wissenschaft nicht andres als in der Kunst, im Sport oder im Bankwesen. Die Kompetenz, angesichts dieser Entwicklung angemessen handeln zu können, ist möglicherweise mit dem Begriff  "Performance" zu umreissen. Er bezeichnet dann den spielerischen Charakter, mit dem auf Märkten und in Netzen agiert wird. Es ist die Menge an Flux, an seelischer Energie und geistiger Kraft, die im Wettbewerb um Zeit, Rohstoffe, Waren und Geld eingebracht und aufgeführt werden kann.

Dennoch wird dadurch nicht die Materialebene abgestreift. Im Gegenteil ist diese in der Form der Technologie, der elektronischen und motorischen Verlängerungen der physischen Kommunikations- und Bewegungsmöglichkeiten so umfangreich wie selten zuvor. Diese Gegebenheiten zu erfordern im Idealfall eine Synergie zwischen den Möglichkeiten der Technologie und den menschlichen Qualitäten. Auch diese heisst "Performance".

Jenseits des Strebens nach Profit und Leistung, das landläufig durch Ausbeutung der natürlichen Ressourcen mit Technologie und menschlicher Kompetenz verbunden wird, können Künstler mit ihren Performances im Spiel um Vorherrschaft, um Zeit und Energie nicht zuletzt die widerborstigen Antagonisten sein. In vielen Performances geht es darum, den externen Datenflüssen zu widerstehen und sich stattdessen mit den inneren Datenflüssen durch Räume und Zeiten aller Stufen der Existenz treiben zu lassen. Hier geht es darum, andere Möglichkeiten, Zeitebenen, Dimensionen des Handelns und des Denkens, der physischen und geistigen Präsenz erlebbar zu machen und zu erforschen.

Johannes Lothar Schröder


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