- Hans-Jörg Tauchert: Für ein
Foto- und Videoverbot bei Performances?
- Jürgen Raap: Der Handlungsreisende
- Ingeborg Broska: Fluxus-FrauenHANS-JÖRG TAUCHERT
FÜR EIN FOTO-UND VIDEOVERBOT BEI PERFORMANCES?
Der Titel suggeriert, es ließe sich mal eben ein Videoverbot
einführen. Das ist selbst mit diktatorischen Maßnahmen nicht möglich. Video ist eine
Macht, der sich niemand mehr ganz entziehen kann, schon deren Eindämmung ständen
handfeste Interessen entgegen. Ein Fotoverbot während des Krieges, damit niemand die
Trümmer fotographiert, konnte nie völlig durchgesetzt werden.
Ein Videoverbot bei Performances kann nur auf freiwilliger Basis erfolgen, als Gebot, und
selbst dazu müßten Berge versetzt werden, ergeben sich doch beste Voraussetzungen für
seltene und damit kostbare Aufnahmen, denn nach der Logik des Marktes steigt eine knappe
Ware im Wert.
Die Forderung nach einem Foto- und Videoverbotes klingt maßlos übertrieben, setzt sie
doch eine Unverträglichkeit zwischen Performance und Video voraus, die niemand so recht
einsieht und die viele auch für völlig absurd halten. Publikum und Performer haben sich
an den Anblick einer dritten Gruppe von einäugig versunkenen Videographen längst
gewöhnt. Ein Auge bleibt bei ihnen pausenlos an einen winzigen Bildschirm gefesselt,
während das andere in Dunkelheit versinkt. Mit dieser extremen Situation beginnt der
Bildschirmterror, deren Folgen weit in die Zukunft reichen, weiter als das Auge reicht.
Die elekronisch aufgerüstete Performance möchte ich zur besseren Verständigung
"Elektropanz" nennen. Eine scheinbar harmlose Videoaufnahme ist der Beginn einer
Kette, bei der jedes Glied zwangsläufig auf das andere folgen muß.
Aber zuerst noch einige Unterscheidungen, die sich von dem Wort "Elektropanz",
der elektronisch aufgerüsteten Performance, ableiten. Das Produkt der Videoaufahme einer
Performance, der Mitschnitt heißt anschaulich "Elektropansat", ähnlich dem
Filtrat und erhält deshalb dieselbe Endung at. Der Videoapparat funktioniert als
Trennungsmaschine. Der Teil, der bei der Trennung von der Videokamera aufgefangen wird,
das Elektropansat, trennt sich vom Rückstand, der einmalig an Ort und Zeit gebunden,
zurückbleibt bzw. in diesem Fall sofort verschwindet. Der Performer und die Performerin,
die sich für eine Aufzeichnung ihrer Performances hergeben, sind Elektropanzen oder auch
Elektropanzer, elektropanzen das dazugehörige Verb.
Auf jeweils neueste Bildträger überspielt, führt die Performance ein Leben nach dem
Tode, freilich ein Leben mit völlig anderen Eigenschaften als die ursprüngliche
Performance, was sich ja nun auch in den beiden unterschiedlichen Namen widerspiegelt. Das
Elektropansat ruht jetzt in einem kleinen beschrifteten Kassettensarg, wobei die
Käuferinnen und Käufer zwischen billigen und teuren Särgen entscheiden können.
Videomaterialien eignen sich schon von Hause aus erstaunlich gut für eine gewisse
Begräbniskultur (Sepulkralkultur), die sich geradezu aufdrängt. Die Arbeit am Video
ähnelt der des Totengräbers, fast zu 100% seines Daseins bleibt das Kunstwerk wohl
unsichtbar. Kunst mit großem Aufwand und hohen Kosten so ins Reich der Unsichtbarkeit zu
Überführen, ist ein besonders widersinniger Vorgang, fast schon kunstfeindlich zu
nennen. Nichtsdestotrotz werden immer mehr Kunstvideos produziert. Alles Sichtbare bleibt
hauptsächlich Hülle für eine unsichtbaren Inhalt. Liegt da nicht der Vergleich mit
einem Friedhof sehr nahe?
Nach der Aufzeichnung durchläuft das Elektropansat eine Schönheitsoperation, es wird auf
dieser 2. Station in der Kette geschnitten und geschönt und harrt so seiner Auferstehung,
denn auf die Hoffnung überall auf der Welt und von möglichst vielen Menschen nochmal
gesehen zu werden, baut die gesamte Performance-Veranstaltung (Elektropanz). Die
ursprüngliche Performance gerät damit unter die Absicht, hauptsächlich als Vorlage für
Kopien herhalten zu müssen.
Folglich wachsen in vielen Haushalten, Galerien, Museen immer mehr Friedhöfe mit bunten,
neuartigen Vampiren heran, die selbstverständlich ihr Recht auf Aufmerksamkeit fordern
und nicht nur das.
Das Leben der klassischen Vampire war noch an eine bestimmte Zeit gebunden, nun aber
reicht ein Knopfdruck aus, um sie im Gewand eines Elektropansates mit Hilfe passender
Beatmungsgeräte ins künstliche Leben zu holen. Die Vampire der neuen Art rauben heute
allerdings kein Blut mehr, sondern saugen die Zeit der Anwesenden auf und verursachen
dabei laufende Stromkosten. Die Veranstaltung steht auch jetzt, wie bei Beginn die
Aufnahme unter einer Gebührenschraube. Rückwirkend kann der ganze Vorgang des Aufnehmens
ebenfalls als Vampirakt gesehen werden, um die aufgezeichnete elektronische Kopie als die
schönere Performance vorstellen zu können, dabei unterschlagend, daß der Begriff
Performance jetzt nur noch eine leblose Hülle darstellt im Gegensatz zum Original.
Da früher oder später jedem Interessierten die Kopie, das Elektropansat, zur Verfügung
steht, interessiert sich für das Original, außer ein paar Videographen, die die Kette in
Gang setzen, kaum jemand. Die Performance zieht Video an und beide kennzeichnen sich bald
gegenseitig.
Wo Videokameras, da läuft eine Performance und wo Performance, da
sind auch Kameras. Kopien entwerten das Original und begraben es mit ihrer Masse.
Gäbe es keine Aussicht auf Kopien, wären Interessierte nur auf das Original angewiesen,
eine Performance stieße jedesmal auf großes Interesse. Man kann nur hoffen, daß bei der
Flut elekronischer Bilder die Sehnsucht nach real existierenden Bildern automatisch
wächst. Eine riesige Chance für Performance liegt hier begraben und wartet nur darauf,
mit wenigen Mitteln realisiert zu werden. Dazu muß aber eine Situation geschaffen werden,
die den natürlichen Ablauf einer Performance gewährleistet, die das Gefühl,
beziehungsweise Bewußtsein vermittelt, einer einmaligen, lebendigen Performance
beizuwohnen, was eben nur gelingt, wenn man Kopiergeräte einfach verbannt und dafür eine
neue Bezeichnung einführt, um nicht jedesmal von neuem umständliche Erklärungen abgeben
zu müssen. Dies wäre eine wichtige Methode, Performance zum Gedeihen zu
verhelfen. Die Performance braucht Nachwuchs, sowohl Zuschauer als auch Performer, wenn
sie nicht in irgendwelchen winzigen elitären Zirkeln versauern soll. Sie führte
hauptsächlich ein symbiotisches Verhältnis mit Ausstellungseröffnungen, die ihr ein
gewisses Publikum garantierten und der Galerie ein Stück Belebung boten. Die Kopie
anzusehen ist meines Erachtens meist so erschreckend langweilig, daß die wenigen neuen
Zuschauer froh sind, wenn sie wieder vor dem heimischen Fernseher Platz nehmen dürfen.
Hier hat die Kopie wieder gemeinsam mit Performance wie alle Kulturveranstaltungen unter
der viel stärkeren Konkurrenz des Fernsehens zu leiden. Videokopien holen aber wieder an
den Bildschirm zurück, vermehren also die schon unermeßlich große Fernsehgemeinde. In
diesem unserem Land, keine nationale Besonderheit sondern internationale Tendenz, sitzt im
Durchschnitt jeder 3 Stunden vor dem Fernseher. Dieser radikale Zustand muß nicht auf
ewig so bleiben, ebenso gut könnte jeder 3 Stunden Performance (keine Elektropanz)
anschauen, das klingt utopisch, aber ich will damit sagen, daß diese Zeit vor dem
Fernseher noch disponibel ist. Theoretisch steht der Performance also ein riesiges
Aufmerksamkeitspotential zur Verfügung, das sie nutzen sollte.
Performance demonstriert im Ablauf real existierender, vergänglicher Bilder, eine
einzigartige Qualität, die nicht wie bei Bildern exakt reproduziert werden kann. Bei
Performances bleibt die Kopie weit hinter dem Original zurück. Performances sind eben
deshalb fälschungssicher, eine besondere Qualität. Auch das Theater schafft
Primärereignisse. Es steht deshalb der Performance viel näher als die bildende Kunst.
Nur Theater unterliegt starren Vorschriften, ist ortsgebunden, besonders aufwendig und
kann Stücke nicht auf 5 Minuten verkürzen. Bei Hamlet weiß jeder was ihn erwartet.
Wo immer Publikum vorhanden, könnte Performance um Aufmerksamkeit heischen, geradezu
unerschöpfliche Möglichkeiten.
Der Werdegang der Performance zur Kopie bzw. der "Elektropanz" zum
"Elektropansat" läßt sich in folgenden Stationen zusammenfassen:
1. Aufnahme der "Elektropanz", der elektronisch aufgerüsteten
Performance auf Video und dadurch Verwandlung in ein "Elektropansat".
2. Schönheitsoperation des "Elektropansates" (schneiden und zurechtmachen der
Leiche)
3. Lagerung des "Elektropansates" in einer Videokassette (begraben der Leiche)
4. Überspielen auf die jeweils neuesten Datenträger (Pflege der Leiche)
5. Werbung mit dem falschen Begriff Performance und damit Entwertung der Performance
selbst.
6. Wiederauferstehung als geschönte Leiche vor einem Publikum
7. An- und Verkauf (Leichenhandel).
Der letzte Punkt betrifft die Vermarktung. Aus der vergänglichen
Performance ist eine handelbare, einigermaßen langfristig haltbare Ware geworden, die
einen Preis verlangt, denn zu ihrer Herstellung waren Arbeit und Material nötig, die
ersetzt werden müssen. Der Aufwand muß sich lohnen, wie es so schön heißt. Die
Performance ist durch Video in den Bereich kommerzieller Interessen geraten. Von wegen
antikommerziell. Es bleibt allerdings festzustellen, daß sie nur in einem kleinen Bereich
zwangsläufig über antikommerzielle, besser nichkommerzielle Seiten verfügt und zwar auf
dem Kunstmarkt. Dort kann sie naturgemäß nie eine Chance haben. Niemand kauft eine
Performance wie einen Van Gogh für 10 Millionen Mark. Weil mit Performance unmöglich
spekuliert werden kann. Das vergängliche Produkt zerfällt sofort nach der Aufführung,
im Idealfall spurenlos. Weiterverkauf mit Gewinn bleibt ausgeschlossen. Das Original, die
Einmaligkeit, die dem Kunstmarkt doch sonst so viel wert ist, spielt bei Performance keine
Rolle. Eine Qualität, die gleichzeitig einen Schutz vor den einseitigen Interessen des
Kunstmarktes bedeutet. Video strebt danach, die Performance als Elektropansat
kunstmarkttauglich zu machen, mit dem Effekt, daß die Immunität gegenüber der
Spekulation schwindet.
Unter dem Einfluß von Video steht die Performance unter zwei äußerst vagen Hoffnungen,
die aber der Performance das Lebenslicht auszublasen drohen, ewiges Leben verbunden mit
Ruhm und kommerzieller Gewinn. Wenn nur noch aus diesen beiden Gründen Performances
aufgeführt werden, bedarf es eines Studios mit drei Kameras aber keines Publikums mehr.
Diese Forderungen richten sich nun gnadenlos an eine Performance, die unbedingt
elektronisch aufgerüstet werden muß, anstatt sie einfach vergehen zu lassen, und ihr
Vergehen zu genießen. Der Endzweck einer Sache wird immer mehr und mehr in die Zukunft
verlegt. Eine Performance geschieht aber im Hier und Jetzt, danach ist endgültig aus. Die
Performance ist Endzweck und ihre Dokumentation ist durch die Zuschauer hinreichend
erbracht. Will man eine zusätzliche Dokumentation, so müßte sie den menschlichen
Dimensionen der Performance entsprechen d. h. die Videomaschine müßte durch Menschen
ersetzt werden, die wieder darüber zeichnen, schreiben oder erzählen. Tätigkeiten, die
in diesem Zusammenhang geradezu avangardistisch, genauer "retroavangardistisch"
erscheinen müssen. Die beste Form der Dokumentation, das Gedächtnis der Menschen, wird
immer mehr überflüssig, ein Zeichen, daß der Mensch sich immer unwichtiger neben der
Maschine herausnimmt. Offensichtlich ist Performance auch ein Gemeinschaftswerk in der
Übertragung von Mensch zu Mensch. Der Übertragungsweg wird durch Videocassetten ja
gerade unterbrochen. Die Verbreitungkette
hören-weitererzählen-hören-weitererzählen-hören entspricht dem Leben, die passiv
konsumierte Kette weitersehen-weitersehen -weitersehen der Medienwelt. Die Einheit bzw.
Vereinigung von Kunst und Leben kann nicht mehr weiter getrieben werden als bis zur
Performance, die vergeht wie das Leben.
Die "Elektropanz" ist also von der Absicht beherrscht, daß
zumindest eine Wiederauferstehung einmal möglich werden wird. Eine Garantie dafür gibt
es nicht. Schlimmstenfalls verstaubt das "Elektropansat" und verfällt. Der
Gesamte Aufwand, der ja auch durch Geldkosten ins Gewicht fiel, war dann umsonst, die
erhoffte Wiederauferstehung fand nicht statt. Diesen Fall kann man glücklicherweise in
einer kleinen Trauerfeier bewußt und in Würde vollziehen. Wir besitzen auf diesem Gebiet
durch jahrelange Praxis fundierte Erfahrungen und führen Beerdigungen dieser Art ohne
große Formalitäten preisgünstig durch, auf Wunsch auch als Performance, was die Sache
besonders delikat macht. Der Videocassettensarg mit dem Elektropansat wird von uns
endgültig stillgelegt, beziehungsweise beerdigt, indem wir den Sarg dauerhaft mit Beton
füllen und verschließen. Das ganze erinnert nun nicht nur passend an einen Sarg, sondern
obendrein auch an einen Grabstein. Der Vorteil des Verfahrens ist allerdings noch ein
anderer, die sorgfältige Ausführung der Beerdigung führt zu einem kleinen Kunstwerk,
das gut in der Hand liegt und in einigen Vitrinen und Bücherborden seine
unmißverständliche Botschaft entfaltet.
Die "Elektropanz" lockt mit dem Versprechen auf ewiges Leben. Nur zu
verständlich, daß Künstlerinnen und Künstler sich auf dieses verlockende Angebot, auch
wenn es Geld kostet, das ewige Leben ist nie umsonst, darauf bereitwillig einlassen.
Berufsmäßig müssen Künstler ihre Werke überall zeigen können. Die frühere
Sonderleistung, am Beginn der Videoentwicklung, wird heute als selbstverständlich
vorausgesetzt. Ein Video von seinen Werken hat man zu haben und nicht nur eines. Künstler
sind bemüht, sogar gezwungen aus jeder Performance eine Elektropanz und damit ein
Elektropansat zu machen, wenn sie mithalten wollen im Buhlen um Aufmerksamkeit. Bewegte
Bilderherstellung allein reicht nicht mehr aus, sie müssen auch unter erheblichen Mühen
gezeigt werden. Der Wiederholungszwang der Elektropansate drückt die ursprüngliche
Performance unter demselben Namen beiseite, und gefährdet damit ihr sowieso schon
schwieriges Dasein. Die Elektropanz bewirkt keine Förderung der Performance, sondern das
Gegenteil. Die weiß Gott geringe Aufmerksamkeit, die die Performance genießt, zumeist
aufgebracht von Künstlerinnen und Künstler, die selber Performance machen, wird nochmal
abgezogen zugunsten einer nicht verwesenden Leiche. Nicht die ursprüngliche Performance
einen Raum zu geben gilt das Ziel, sondern die vielen Kopien abzunudeln vor einer
möglichst großen Öffentlichkeit mit dem schlagendem Argument, endlich auch mal
Performances von weither sehen zu können. Damit ist ein gewisser Leichenhandel eröffnet.
Der Kopie wird kostbare Aufmerksamkeit, Raum und Zeit gewidmet, anstatt sie der
ursprünglichen Performance zu gute kommen zu lassen. Der Videoberg ungesehener
Performances konkurriert mit der Performance um Aufmerksamkeit. Die Performance wandelt
sich wie gesagt immer mehr zur "Elektropanz". In Düsseldorf, im Kunstraum, bei
der Veranstaltung "Performance Art" zählte ich allein 8 aktive Videographen mit
Kameras verschiedenen Kalibers als eine Gruppe, die besonderen Raum beanspruchten,
während die 4 Fotographen fast untergingen im Publikum. Die Anzahl der Videographen kann
soweit gesteigert werden, bis jeder Betrachter einer Performance einen kleinen
Minibildschirm vor Augen hat. Wir haben dann eine Situation, die auf Ankündigungen mit
der äußerst verdrehten und Verwirrung stiftenden Bezeichnung
"Live-Performance" ihr Unwesen treibt.
Mit "Live-Übertragung" ist meines Erachtens eine zeitgleiche Übertragung einer
Veranstaltung ins Fernsehen wie zum Beispiel Fußball gemeint. Wenn nun das gesamte
Publikum einer Performance durch eine Kamera starrt, überträgt sich ihnen die
Veranstaltung zeitgleich allerdings auch noch ziemlich unnötig im gleichen Raum. Man muß
also eine Performance zum Elektropansat verstümmeln, bis man das große Glück hat, in
den Genuß einer sogenannten "Live-Performance" zu gelangen, deren Wirkung darin
besteht, daß sich jedes bißchen "live" verflüchtigt. In diesem Sinne kann
eine "Live Performance" also nur das Gegenteil von "live" bedeuten.
Allerdings mag in dieser an Lebendigkeit armen Zeit das Bedürfnis nach "Live",
nach lebendiger Ursprünglichkeit sich schon soweit manifestiert haben, daß sich damit
eine Unterscheidung zur Kopie ausdrücken will. Bei Performance ist das unnötig, sie ist
zum Glück immer "live". Der Begriff "Live-Performance" könnte
höchstens aus der Not geboren sein, um sich von ihrer Kopie, dem Video, abzugrenzen. Dann
ist "Live" aber trotzdem das falsche Wort, denn es bleibt die Frage, was eine
Performance ohne "Live" noch sein soll wenn nicht die Kopie einer Performance.
Ein "Live-Performer" kann also nur auf dem Bildschirm betrachtet werden.
Vorschläge:
Immerhin bleibt bei diesem Verwirrspiel festzuhalten, daß die Lebendigkeit der
Performance so bedroht erscheint, daß man sie mit den Vorsilben "Live" extra
betonen muß und damit sogar als Rettungsanker in die Flut toter Bilder wirft.
Offensichtlich erscheint es dringend nötig, hier einen passenden Begriff zu suchen und zu
gebrauchen, der wirklich nichts anderes bezeichnet als eine naturbelassene Performance,
die auf diese Weise unter Naturschutz gestellt wird. Paradox, daß man etwas schützen
muß, damit es ungehindert vergehen kann. Der alte Konflikt zwischen Original und Kopie
entsprechend dem Reinheitsgebot des Bieres, das ja auch Biertrinker vor allen möglichen
Inhaltsstoffen schützt und ihnen damit die Freude am Biertrinken erhält. Bestrebungen
nach der Art eines Rheinheitsgebot sind auf anderen künstlerischen Gebieten bereits
erfolgreich. In der Musik legt man bereits öfters wert auf unverstärkte, ursprüngliche
Töne und hat dafür das Wort "unplugged" gewählt. Manche Worter müssen
geradezu amerikanischen Ursprungs sein, um eine Chance auf Einbürgerung zu bekommen.
Bleibt, wie bei vielen englischen Wörtern, der Nachteil, daß sie dann nicht
grammatikalisch bearbeitet werden können, ungepluggte Musik oder gepluggte Musik hört
sich unangenehm an. Aber es ist hier ein Anfang gemacht, der erkennen läßt, daß das
Pendel auch mal in die andere Richtung ausschlägt. In der technischen Sprache hagelt es
nur so von neuen Wortschöpfungen, verständlicherweise, weil hier der ökonomische Druck
sich passend verständlich zu machen, ungleich höher ist als im Kunstbereich. Kurzum ist
es an der Zeit, einen passenden Begriff für die Performance ohne Video einzuführen, der
das schauerliche Wort "Live-Performance" endlich verdrängt und sich auch an der
Seite der Elektropanz behauptet. Unser Vorschlag wäre die Ultipance, eine
Performance ohne Video (zu Ehren der Ultimate Akademie).
Das bisherige komplizierte Verfahren Performer und vielleicht auch das Publikums über die
Anwendung von Video entscheiden zu lassen, fällt damit weg. Bei einer Ultipance
steht von vornherein fest, daß es sich um eine direkte, einmalige Übertragung von Mensch
zu Mensch handelt ohne eine Übertragung zur Maschine. Es lebe die Ultipance!
Vorschlag: Unterscheidung von 2 "Performance-Arten":
Performance mit Video = Elektropanz
Performance ohne Video = Ultipance
Elektropanz: eine elektronisch aufgerüstete Performance
Elektropansat: Mitschnitt einer Performance
Ultipance: eine Performance ohne Video (nach Broska/Tauchert)
Anschließend ergibt sich eine grobe Definition der "Hardware" einer Performance
(Ultipance):
1. Für eine Performance (Ultipance) notwendig ist die Anwesenheit
von Publikum, den Rezipienten, die räumlich und zeitlich nicht getrennt sind von den
unmittelbar absichtlich handelnden Produzenten. Die vergänglichen Bilder übertragen sich
dabei ausschließlich von Mensch zu Mensch.
Da fällt natürlich auch dieser Vortrag darunter oder Parzivals "Beschlagungen"
von Werbeflächen vor einem Publikum. Da Inhalte und Motive ausgeklammert bleiben, fallen
leider auch eine Militärparade oder eine Rede Kohls vor Publikum darunter. Zur genaueren
Bestimmung müßten weitere Kriterien herangezogen werden. Publikum und Performer sind
mengenmäßig jedenfalls unbegrenzt. Schon ab 2 Performer beginnt die Definition der Massenperformance
(Massenultipance), die neue Möglichkeiten jenseits der Einzelperformance
(Einzelultipance) bietet.
Performance (Ultipance) hat gute Aussichten, als neue "Volkskunst" den
Elfenbeinturm der Kunst (Kunstghetto) zu verlassen, durch die Tatsache, daß Performance
jeder machen kann und Menschen sich über den Anblick agierender anderer Menschen
grundsätzlich freuen. Performance bedarf kein jahrelanges üben wie zum Beispiel
Klavierspielen. Einige Performer betonen sogar, wie wichtig es ist, gerade nicht zu üben.
Eine absichtliche Handlung ist lebensechter als eine einstudierte absichtliche Handlung.
Die Ultimate Akademie führt seit letztem Jahr (1995) regelmäßig Performances durch, um
das Publikum wieder an sinnliche, direkte Erlebnisse, die überwiegend ohne Technik
auskamen, zu erfreuen und zu gewöhnen. Ich empfinde die Form der Ultipance als eine
einzigartige Gelegenheit, kollektiv die Vergänglichkeit des Lebens bewußt zu spüren und
der Gegenwart gegenwärtig zu sein, daß leistet die Ultipance.
(Hans-Jörg Tauchert)
- Hans-Jörg
Tauchert: Für ein Foto- und Videoverbot bei Performances?
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- Ingeborg Broska: Fluxus-Frauen
JÜRGEN RAAP
DER HANDLUNGSREISENDE
Ein Ballonverkäufer auf dem Rummelplatz bläst einen bunten Luftballon
auf, und dieser zerplatzt mit lautem Knall.
Ein Performer bläst während seines Auftritts einen Luftballon auf,und drückt so stark
auf dessen Hülle, daß er mit lautem Knall zerplatzt.
Ein Patient sitzt stumm im Wartezimmer, er starrt dumpf brütend vor sich hin.
Ein Performer steht in der Ecke eines Raumes und schweigt. Mit abweisender Mimik starrt er
das Publikum und niemand wagt es, sich zu rühren.
Der Schauspieler Harald Juhnke wird von seiner Gattin aus der Villa im Berliner Grunewald
herausgeworfen und zieht einen Abend lang durch die Kneipen der Hauptstadt. In einem Lokal
trifft er auch den PDS-Abgeordneten Gregor Gysi. Später randaliert Juhnke im Taxi. Die
Nacht verbringt Harald Juhnke im Hotel Kempinski, wo er sich beim Zimmer-Service
beschwert, daß man aus der Mini-Bar die alkoholischen Getränke fortgeräumt hat. Dies
alles steht am anderen Morgen in der BILD-Zeitung, nebst einer genauen Auflistung von
Juhnkes Zeche an Bier, Weißwein, Champagner, Wodka und Whisky und einem Interview mit
Juhnkes Arzt.
Jede Handlung ist absichtsvoll, auch wenn dem Handelnden die Absicht nicht immer bewußt
ist. Auch wenn man seine Zeit vertrödelt, weil man gerade nichts besseres zu tun hat,
verfolgt man damit eine Absicht, nämlich mit Nichtstun die Zeit zu überbrücken, bis es
wieder etwas zu tun gibt.
Es ist möglich, Performances auf dem Rummelplatz oder im Wartezimmer eines Arztes
aufzuführen. Indem der Performer dort oder in jedem anderen beliebigen Raum die gleichen
Handlungen begeht wie ein Ballonverkäufer oder ein Patient, verfolgt er damit eigene und
andere Absichten.
Es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen Handlungen im Alltag und Handlungen in
einem Kunst-Zusammenhang.
Bei Harald Juhnke wird die Sauftour erst durch die Medien zu einer Performance. Diese
Sauftour als Medienereignis ist wesentlich an die Prominenz des Schauspielers Juhnke
gekoppelt und an das öffentliche Interesse an seinen Eskapaden.
Ein ähnlicher Fall ist der Politiker Jürgen W. Möllemann. Zwei Wochen nach seiner
Wiederwahl zum N.R.W.- Landesvorsitzenden seiner Partei und am vorletzten Spieltag der
vergangenen Saison der Fußball-Bundesliga soll Möllemann anläßlich des Spiels FC
Schalke 04 gegen FC Bayern München aus 4000 m Höhe über dem Gelsenkirchener Parkstadion
mit einem Fallschirm aus dem Flugzeug abgesprungen und auf dem Rasen gelandet sein. Als
Performance ist auch dieses Ereignis wesentlich an das Image von Möllemann gekoppelt,
immer wieder die Grenzen zwischen seriöser Politik und Show-Business zu verwischen.
Der Bayerische Rundfunk verbreitete erfundene Möllemann Meldungen: der
"Bundesforschungsminister Möllemann" wolle Jakob Creutzfeldt die Einreise
verweigern, da dieser am Rinderwahnsinn Schuld sei. Oder: der "Vorsitzende der
Nordelbisch-Lutherischen Kirche, Bischof Möllemann", wolle die Kirchensteuer
abschaffen. Anschließend wurden die Hörer befragt, was sie davon hielten: niemandem fiel
auf, daß die Zuweisung der Titel und Ämter nicht stimmte. Je absurder eine solche
Möllemann-Nachricht war, desto mehr wurde sie als wahrhaftig angesehen.
Es kommt also gar nicht so sehr darauf an, ob eine reale Handlung in einem realen Raum zu
einem konkreten Zeitpunkt, mithin in einer konkreten Situation, stattgefunden hat, sondern
es kommt auf die SIMULIERUNG einer solchen Handlung an, und manchmal schon auf die bloße
Behauptung, sie habe stattgefunden.
Hier setzt jener Mechanismus an, der eine tatsächliche oder vermeintliche Handlung zum
MYTHOS werden läßt. Der Mythos enthält Bedeutungen und nur diese sind wichtig.
Handlungen in der Performance können symbolisch sein, aber vom Selbstverständnis der
klassischen ART PERFORMANCE her sind sie keine Ersatzhandlung und keine Illusionismen. Im
konsequenten Verzicht auf die Illusion liegt bekanntlich auch der Unterschied zwischen
Performance und Theater.
Die moderne Linguistik, im Strukturalismus bei Ferdinand de Saussure und in der
"Generativen Grammatik" bei Noam Chomsky, arbeitet mit dem Begriff der
sprachlichen KOMPETENZ d.h. der Fähigkeit des Menschen zur Sprache. PERFORMANZ ist dann
die konkrete Sprachäußerung.
Jürgen Habermas hat diese Begrifflichkeit um die "kommunikative Kompetenz"
erweitert, und darauf baut die PRAGMALINGUISTIK auf: wir sind nicht nur in der Lage, im
performativen Sprechakt den semantischen Sinn einer Äusserung zu verstehen, sondern auch
den pragmatischen Verwendungszweck: mittels logischer Schlüsse begreifen wir eine
Äußerung "Es zieht" als indirekte Aufforderung, das Fenster zu schließen,
ohne daß dies expressis verbis gesagt wird.
Wir können eine Äusserung also als Wunsch oder Befehl verstehen, auch wenn nicht die
grammatische Form des Imperativs benutzt wird. Wir können auch eine Äusserung als
ironisch verstehen, d.h. wir können erkennen, daß das Gegenteil vom Gesagten gemeint
ist.
Im gestischen-bzw. aktionalen Bereich können wir auch die Bedeutung einer Handlung
erkennen. Dieses Erkennen beruht immer auf Erfahrung und bereits vorhandenem Wissen, so
wie uns geläufig ist, daß beim kirchlichen Abendmahl das Austeilen von Hostien und Wein
nicht nur eine simple Bewirtungs-Handlung ist, sondern eine mit mehrschichtiger ritueller
Bedeutung.
So ist denn auch der Fallschirm-Absprung von Jürgen W. Möllemann über dem
Fußballstadion nicht als simple Sportübung oder als Werbung eines Reservisten zu
verstehen, sondern als Zelebrierung eines Rituals, bei der nach eigenem Verständnis und
Ausleben seiner Eitelkeit Möllemann wie ein Heilsbringer auf die Fußball-Fans
herniederschwebt.
RUDOLF SCHARPING als ehemaliger Vorsitzender der SPD und OTTO REHHAGEL als Trainer von
Bayern München sind in ihrem jeweiligen Metier deswegen gescheitert, weil sie in dieser
Mediengesellschaft keine Performer sind.
Politik, Kommerz-Sport und Entertainment haben sich jedoch längst die Begrifflichkeit
einer Vulgär-Performance angeeignet, ihre Vertreter finden nur noch dann Akzeptanz, wenn
sie als Handlungsreisende in Sachen Selbstdarstellung zu überzeugen vermögen.
Vor diesem Hintergrund bekommen auch die Sauftouren von Harald Juhnke einen
Ritual-Charakter: sie sind nicht nur Ausleben eines Suchtverhaltens, sondern wirken
inszeniert, als ob sie mit dem Bild-Reporter abgesprochen seien. Und sie enthalten denn
auch alle Elemente der Tragik und der Komik wie bei einem Shakespeare-Stück. Sie holen
den Star, der seinem Publikum entrückt ist, wieder in die Niederungen des Menschlichen
und des Schwächlichen zurück - eben in einer Performance, die keinen Heroismus kennt und
kennen kann, weshalb auf der anderen Seite auch die Möllemannschen Versuche in Sachen
Heroismus in der Lächerlichkeit enden.
Der Performer arbeitet mit dem eigenen ICH, er spielt keine Rolle. Insofern ist Prince
Charles von Natur aus kein Performer, denn seine Rolle wird nicht von ihm selbst, sondern
durch die monarchische Tradition Großbritanniens definiert. Zum Performer wird er erst
da, wo er dieses Rollenverständnis samt seinen Zwangskonventionen nicht mehr durchhält
und damit eine gesellschaftliche Unantastbarkeit aufhebt.
Die kommunikativen Prozesse, die der Performer zum Publikum hin einleitet, haben nicht den
Charakter einer Verkündigung. Die Handlungen eines Performers sind somit nicht die eines
Priesters, denn im Unterschied zu diesem ist der Performer nicht an die Befolgung einer
Liturgie gebunden.
In der liturgischen Gerinnung würde sich die Intensität einer Performance Handlung
verlieren. In der Performance haben immer die kleinen, einfachen, banalen Gesten die
größte Eindringlichkeit:
Mit einem Stab an den Lamellen eines Heizkörpers entlang fahren und dadurch Geräusche zu
erzeugen.
Das Binden eines Krawattenknotens.
Einen Löffel Suppe essen.
Mit einem Billiardstock, eine Zigarettenschachtel umstoßen.
Ein Radio einschalten.
Mit einem Stück Brikett über den Fußboden schaben.
Kaffeebohnen zertreten.
Die Direktkeit solcher Handlungen hat nichts mit Brechtschem Verfremdungstheater zu tun.
Die Verweise einer Performance-Handlung sind weitaus weniger metaphorischer Natur, als oft
angenommen wird.
Ein Performance-Künstler aus Singapore trat in Düsseldorf auf und erklärte dem
Publikum, er habe während seines Auftritts Zigaretten und Kaugummi gekaut, weil in seiner
Heimat drastische Strafen verhängt werden, wenn man öffentliche Räume mit zerkautem
Kaugummi und Zigarettenkippen verschmutzt. Dies war der einzige Grund zum Einsatz dieser
Mittel.
Es gibt ein Fluxus-Stück von Georg Maciunas, bei dem an jede Person im Publikum zwei
Luftballons verteilt werden. Wenn diese dann aufgeblasen werden und ein Ballon in jede
Hand genommen wird und auf Kommando alle die Ballons aneinander hauen oder auf die
Oberfläche klopfen, ergibt sich bei etwa 30 oder 50 Teilnehmern in einem nicht zu großen
Raum ein Geräusch, welches einer allein mit zwei Luftballons nicht erzielen könnte. Es
geht nur darum, gemeinsam dieses Geräusch zu erzeugen.
Die Absichten einer Performance-Handlung sind nicht zweckgerichtet. Als absurd werden sie
oft nur deshalb empfunden, weil für manche im Publikum kein Bezug zum System der
Alltagslogik oder kein rationaler, kausaler Zweck erkennbar ist: man geht irgendwo hin, um
dort auch anzukommen, man ißt etwas, um satt zu werden. Geht man jedoch los und kehrt
ohne vernünftigen Grund kurz vor Erreichen des Zieles wieder um, oder bestellt man sich
im Restaurant nach einer durchaus sättigenden Mahlzeit noch ein Menue und läßt es dann
stehen, dann gilt das als absurd.
Ob etwas jedoch absurd ist oder nicht, kommt auf den Standpunkt des Beurteilenden an und
seine Fähigkeit, eine Kompatibilität mit einer gesellschaftlichen Norm zu erkennen oder
nicht zu erkennen.
Für mich jedoch ist es in höchstem Maße absurd, wenn Jürgen W. Möllemann über einem
Fußballstadion mit einem Fallschirm abspringt. Andere sehen darin einen gelungenen
PR-Gag, und wiederum andere trauen - ich sagte es schon - gerade Möllemann noch viel
absurdere Dinge zu.
Die Performance wird in ihrer Begrifflichkeit und in ihrer Bedeutung ENTWERTET, wenn Sie
UNTERHALTUNGSKULTURELL ausgeschlachtet wird.
Es können jedoch im außer-künstlerischen Bereich Handlungen stattfinden, die
Performance-Charakter bekommen.
Da gibt es einen Mann aus einem Vorort von Köln, der sich um Auftritte in jeder
Fernseh-Talkshow und jeder Game-Show bemüht, und der auch schon Dutzende solcher
Auftritte bei allen möglichen Sendern hinter sich hat: er kann zu jedem Thema etwas
sagen, macht jedes Spiel mit und geht jede Wette ein. Bei dem Überangebot dieser
Sendungen mangelt es inzwischen an Kandidaten, und so hat er fast mit jeder Bewerbung eine
Chance, vor allem, da er sich durchaus originell zu geben vermag.
Man kann ihn also durchaus als eine Art Performer ansehen, auch wenn er selbst sich nicht
als solcher begreift. Denn auf die Frage, weshalb er nach solchen Auftritten giere, meinte
er nur, er sei Frührentner und habe nichts anderes zu tun, außerdem sei es doch ganz
reizvoll, sich mit TV-Stars wie Harald Schmid, Alfred Biolek oder Thomas Gottschalk zu
umgeben.Und er schafft es, sich nicht vom Medium benutzen oder knechten zu lassen, sondern
das Medium für sich und seine Zwecke einzusetzen.
Es ist die HALTUNG, die bestimmten Handlungen im außer-künstlerischen Bereich eine
performancehafte Komponente verleiht. Einen Marktschreier, der vor dem Kaufhaus-Eingang
Räucheraale oder Küchenreiben anpreist, würde ich nicht als Performer ansehen, da seine
Rhetorik rein verkaufsstrategischer Natur ist, sich seine Haltung damit wesentlich von
jener des fernsehgeilen Frührentners unterscheidet: der Marktschreier bewegt sich immer
noch innerhalb gängiger Handlungsnormen, die für seinen sozialen Rahmen typisch sind,
der fernsehgeile Frührentner und Möllemann hingegen nicht.
Ein vergleichbarer Unterschied besteht zwischen der TRAVESTIE-Show im Varité und dem
TRANSVESTITENTUM als jeweils individuelle Durchlebung einer spezifischen Geschlechterrolle
im Alltag. Im einen Fall ist es die theatralisch inszenierte Show mit alle dem
Bühnen-Genre eigenen Illusionismen, im anderen Fall die Selbstdefinition von IDENTITÄT
und PERSÖNLICHKEIT.
Performance-Handlungen sind im wesentlichen an solche IDENTITÄTS-FAKTOREN gekoppelt, und
das unterscheidet sie von bloß zirzensischen Eskapaden, wie sie MARIO BASLER, NORBERT
BLÜHM, MARKUS LÜPERTZ oder UDO LINDENBERG bieten. Harald Juhnke hingegen: Lebt wirklich
in und mit der Identität des tragischen Alkoholikers, der diese öffentlich auslebt,
ebenso, wie die Identität Möllemanns aufgrund offenkundiger neurotischer Schwächen zu
absurden Zwangshandlungen führt, in denen sich sein wahres ICH offenbart.
Allerdings unterscheiden sich die Handlungsmuster von Juhnke und Möllemann qualitativ
voneinander:
JUHNKE setzt den eigenen KÖRPER als Mittel ein; die PHYSISCHE Extremität seiner Exzesse
ist Voraussetzung entsprechender Medien-Präsenz, während MÖLLEMANN eher ein VIRTUELLES
PHÄNOMEN ist. Anders ausgedrückt: Juhnkes Aktivismus und Aktionismus ist und bleibt in
höchstem Maße MATERIELL, er benutzt ja auch Alkohol als MATERIAL, während sich
Möllemann in den Meldungen über ihn IMMATERIALISIERT.
Daher wäre in der Philosophie Juhnke ein Anlaß zu ONTOLOGISCHER Betrachtung, Möllemann
hingegen weckt eher ein PHÄNOMENOLOGISCH orientiertes Erkenntnisinteresse.
In den Witzen, die ein Straßenbahnfahrer während der Fahrt über Bordmikrophon seinen
Fahrgästen erzählt, offenbaren sich Ahnungen, daß sein Leben auch hätte anders
verlaufen können.
Höchst eigenartige Orte in dieser Zeit sind Bodybuilding-Studios, in denen den Idealen
der antiken Skulpturen nachgeeifert wird - Herkules vergibt leihweise dopingunterstützte
Illusionen von Identität.
Ballonverkäufer auf dem Rummelplatz machen nur bei schönem Wetter gute Geschäfte.
Die Zeugen Jehovas stehen immer nur stumm vor dem Mc Donald´s und bieten ihre Traktate
feil. Dieses stumme Verharren ist ihr Markenzeichen. Es garantiert ihnen einen hohen
Wiedererkennungswert und ist dem Möllemannschen Gebaren diametral entgegen gesetzt, soll
aber zum gleichen Ergebnis führen.
50% aller Toilettenmänner lösen während der Arbeitszeit Kreuzworträtsel. Das gehört
zum Ritual wie die Groschen, die man auf ihr Tellerchen klimpern läßt. Im früheren
Lokal "Santa Marlena" auf dem Hohenzollernring bestand der Zugang aus halbhohen
hölzernen Schwingtüren wie in einem Western-Saloon, und es waren zumeist die als
Zuhälter Erkennbaren unter den Gästen, die mit breitbeinigem Cowboy-Gang von der
Toilette zurück kamen. Auch ein Ritual
Im Karneval hatte sich ein Pfarrer als Priester verkleidet
In vornehmen Restaurants kann der perfekte Service eines Kellners furchteinflößend sein.
Der deutsche Hausmeister liebt Auftritte, in denen er Zurechtweisungen aussprechen kann.
Dabei kann er die Ausübung von Macht genießen. Nichts, fürchtet er mehr, als daß es
keine Anlässe zu Zurechtweisungen mehr geben könnte, weil er sich dann machtlos fühlen
würde. Er verwechselt diese Machtausübung mit Freiräumen. Da er nicht in Freiräumen
lebt, führt er auch keine Performances auf.
Der FREIRAUM der Performance definiert sich über die Verfügbarkeit bezüglich der
Bedingungen des eigenen Handelns.
Das Wartezimmer einfach verlassen, wenn man keine Lust mehr hat, zu warten.
(Copyright-Vermerk: Externe Verwendung und Vervielfältigung des Textes, d.h.außerhalb
der "Performance Konferenz" nur mit ausdrücklicher Genehmigung.)
- Hans-Jörg Tauchert: Für
ein Foto- und Videoverbot bei Performances?
- Jürgen Raap: Der Handlungsreisende
- Ingeborg Broska: Fluxus-Frauen
INGEBORG BROSKA
F L U X U S F R A U E N
Vor ca. 30 Jahren wurde in Aachen bei der Eröffnung einer Fluxus
Ausstellung eine Rede auf dem Kopf stehend gehalten. Wir sind inzwischen schon weiter und
Wiederholungen in der Kunst geschehen ja meist ungewollt! Deshalb stellte ich mir vor,
daß heute, während ich rede, das Publikum auf dem Kopf stehen soll. Damit wäre schon
ein Fluxuskriterium erfüllt: Demokratie in der Kunst [jede/r kann Kunst machen - wie auch
schon Yoko Ono in den 60er Jahren sagte (Yoko Ono Grapefruit, Japan ´64)]
Die Idee des Fluxus wurde lange vor der Fluxusbewegung in der Kunst geboren. Fluxus
bedeutet soviel wie Strömen bzw. Fließen. Von Fluxus als Kunstrichtung sprach man
erstmalig in den 60er Jahren, als Kunst sich weg von den bis dahin tradierten Normen
bewegte: ephemehre -vergängliche Kunst trat in den Vordergrund. Mit der Erfindung der
Kommunikationsmedien wurde es möglich, ein Kunstereignis multimedial
festzuhalten.
Fluxusbewegungen entstanden aufgrund neuer Weltanschauungen parallel in den
verschiedensten Ländern der Erde gleichzeitig (Europa, USA, Japan etc.).
Verwirrung der alltäglichen Betrachtungsweise, kritische künstlerische Hinterfragung,
politisches Engagement in der Kunst wurden zunehmend wichtiger. Zugleich wurde eine
bewußte Einheit von Kunst und Leben angestrebt. Die einzelnen Kunstformen z. B. Musik,
Film, Video,Theater, bildende Kunst, Literatur, Photografie etc. sollten integriert
werden.
Die Kunst wurde vom Sockel bzw. von der Wand heruntergeholt. Performances,
Happenings, Aktionen traten anstelle der üblichen Vernissagen.
Die Geburtsstunde des Fluxus wird heute im Jahr 1962 gesehen, beim ersten Fluxusfestival
in Wiesbaden. Im Fluxeum leben und arbeiten seit damals ständig
Künstlerinnen und Künstler. Die Einheit von Kunst und Alltag wurde gemäß der
Fluxusidee wieder verwirklicht - orientiert an frühen Lebensformen vor der Industriellen
Revolution.
Man streitet sich heute darüber, wer das Wort Fluxuserfunden hat.
Experimentelles Forschen, Geschichtsbewußtsein, Verspieltheit, Humor, Spaß,
Lebendigkeit. Sparsamkeit der Mittel...... sind weiterhin typisch für Fluxuskunst, ebenso
die Einbeziehung des Zufalls in ein Kunstereignis (Ken Friedmann in Fluxus
subjektiv, Katalog der Galerie Krinzinger, Wien 89/90).
Heute weiß man (frau), daß ein wichtiges Fluxuskriterium Demokratie in der Kunst -
insbesondere für Künstlerinnen, nicht verwirklicht wurde. Das Phänomen, daß
Künstlerinnen in der Öffentlichkeit meist außen vor blieben, war in fast allen
Ländern, in denen Fluxusbewegungen entstanden zu beobachten (Jon Hendricks,
Fluxusexperte, meint, in Deutschland war dies besonders der Fall).
War das Prinzip des Zufalls schuld daran?
Der Titel meines Vortrages lautet: Frauen im Fluxus. Erst beim Lesen des Programms fiel
mir auf, daß dort von Fluxusmännern die Rede ist.
Fluxuskünstlerinnen hätte die Überschrift heißen sollen. Selbst
fortschrittlichen partnerschaftlichen Programmgestalter/Innen können solche Fehler
unterlaufen. Hätte sich bis heute nichts geändert, stände ich nicht hier....
Frauen im Fluxus gab es wahrscheinlich genausoviele wie Männer, jedoch traten sie außer
wenigen Ausnahmen, auf die ich gleich noch zu sprechen komme, kaum oder garnicht in
Erscheinung.
Bei der Durchsicht von Fluxusliteratur stellt man sehr schnell fest, daß kaum Frauen bei
öffentlichen Aktionen zu sehen waren. Das ist logisch, denn sie waren im Hintergrund
(Küche) damit beschäftigt, die kommunikativen Vorraussetzungen für die Soziale
Plastik" zu schaffen (Schnittchen, Häppchen, Drinks, und vieles mehr). Ein neuer
Kunstbegriff wurde kreiert: die assoziale Plastik. "Ein Tritt in die Fettecke!"
Zitat: Mary Bauermeister 1986:
"...... was war da alles noch an geistigen Kräften, die daran glaubten, unsere
Gesellschaft verändern zu können. Wie Paik einmal sagte, Ich werde bekannt
als Künstler, das ist der Weg für mich, aber ich werde dann der Menschheit helfen,
Änderungen herbeizuführen (Mary Bauermeister, 30. 4. 1986.
".... Ich mietete ein großes Atelier... dieses Atelier wurde automatisch auch der
Wohnraum von allen, alles lag voller Matrazen... Ich habe (im Nachhinein wird bewußt,
daß die gesponsorten nur Männer waren) alle ernährt und finanziell durchgezogen
... Ich bin wie ein Hausierer mit meinen Bildern von Haus zu Haus gegangen.
In Mary Bauermeisters Atelier traf sich damals die Avantgarde aus Musik und Kunst. Ohne
sie wäre eine solche Szene damals nicht entstanden.
Bei einem Besuch in Ihrem Atelier sagte sie mir, daß sie zwar in Amerika in fast jedem
wichtigen Museum vertreten sei, jedoch in keinem einzigen deutschen (sobald das
Frauenmuseum Bonn zu Geld kommt, wird sich dies ändern).
Aber wir können hoffen (s. Paik).
Von 18,5 Kilo Fluxusliteratur, die ich hier in meinem Wäschekorb mitgebracht habe, sind
immerhin 0,4 kg dabei, in der über Künstlerinnen berichtet wird. Bei 1,03 lfm
Dokumentation sind 2,5 cm denselben gewidmet. In Kilo, Metern oder beim Zählen auf den
Dokumentationsfotos komme ich immer auf 1 bis 2 %.
Seit 12 Jahren arbeite ich im Frauenmuseum Bonn und es ist mir ein besonderes Anliegen
Fluxuskünstlerinnen vorzustellen. Ich betätige mich sozusagen als
Fluxuskunstarchäologin, denn oft ist es sehr schwierig, vergessenen Künstlerinnen
auszugraben. Künstlerinnen sollen ja auch Forscherinnen (insbes. der Frauengeschichte)
sein, wollen sie etwas bewußtmachen.
Seit vielen Jahren taucht immer wieder die Frage auf, was denn überhaupt der Unterschied
zwischen Frauen und Männer-Kunst sei.
2 Beispiele:
Jürgen Klauke mit Putzeimer auf dem Kopf (er sieht nichts mehr.) Ein Beitrag zum Jahr der
Frau ("Rund ums Essen" - Katalog Kunst u. Museumsverein Wuppertal, Hrsg. Ulrike
Ottinger, ´87).
Rita Preuss mit Kochtopf auf dem Kopf und Petersilie im Mund... dieses Bild heißt
Selbst mit Kochtopf (Katalog, Rita Preuss).
Umwickelt ein Künstler einen Baum mit Windeln, weckt dies andere Assoziationen als wenn
das Gleiche eine Künstlerin, die selbst Kinder geboren hat und jahrelang Windeln wusch,
dies tut. Das Ergebnis ist ästhetisch gleich... Der Kontext, in dem eine Arbeit entstand,
ist doch interessant! Kunstkonsument/Innen können sich alles unreflektiert an die Wand
hängen, aber reicht das aus? Die Verbindung zwischen Haushalt (Alltag) und Kunst wurde
immer schon von Künstlerinnen vollzogen, blieb unbeachtet bis Künstler diesen Bereich
okupierten (sponsert by my housewife).
Von Künstlerinnen bleiben oft nur Kochrezepte übrig (Heldinnenfriedhof - Grabsteine mit
Kochrezepte).
Über den künstlerischen Tellerrand hinausschauend, wurde im Frauenmuseum 1993 eine
Ausstellungsreihe Fluxus-Künstlerinnen" im Frauenmuseum gestartet.
Im Jahr 1985 hatte Mary Bauermeister im Frauenmuseum, sozusagen als Vorläuferin, eine
Einzelausstellung.
Ihre in den 60er Jahren entstandenen freien Textilarbeiten waren wegweisend für die Kunst
und werden heute immer wieder von anderen Künstlerinnen und Künstlern nachempfunden.
Seit den siebziger Jahren, beschäftigt sich die Künstlerin mir
"Grenzwissenschaften, Heilung, Symbolen, Farben und deren Energien."
Meine Auswahl der Fluxuskünstlerinnen, entstand aufgrund ihrer Zusammenarbeit mit dem
Frauenmuseum oder anderer befreundeter Museen bzw. Institutionen, persönlicher Kontakte
oder besonderem künstlerischen Interesse an deren Werk.
Die folgenden Künstlerinnen waren bereits mit Einzelaustellungen im Frauenmuseum oder
werden dort in der erwähnten Austellungsreihe bis zum Ende dieses Jahrzehnts ausstellen.
Yoko Ono
Sehr lange bevor ich Yoko Ono als Künstlerin kennenlernte, fand ich ein Kunstwerk von
ihr, welches mich bis heute faszinierte: a hole to see the sky through ´71.
Ihre Ausstellung color fly sky" (Ein Teil dieser Ausstellung ist noch als
ständige Ausstellung im Frauenmuseum zu sehen) zeigte Objekte, Photos, Schriften und
Filme aus den 60er bzw. 70er Jahren. Ihre Arbeit als Sängerin und Komponistin wurde
miteinbezogen.
1962 machte sie als erste eine Austellung in Tokio, die nur aus Wandschriften und Musik
bestand.
Diese Repräsentation erregte großes Aufsehen, warf sie doch alle bis dahin tradierten
Vorstellungen von Kunstereignissen über Bord.
Sie arbeitete mit Free Jazz Musiker/Innen zusammen, bevor sie als bereits international
bekannte Avantgarde-Künstlerin mit John Lennon ab 1966 zahlreiche Aktionen gegen den
Krieg inszenierte.
Yoko Ono gehört zu den aktivsten eigenständigsten progressivsten Künstlerinnen der
Fluxusgeneration in den Bereichen Bildende Kunst, Musik, und Film bzw. Video.
12 Jahre nach dem Tod ihres Mannes John Lennon, wurde sie in einigen Medien vor ihrer
Ausstellung im Frauenmuseum immer noch als Witwe angekündigt. Für eine
solche Negierung einer eigenständigen Künstlerinnenpersönlichkeit, gibt es keine
männlichen Gegenbeispiele.
Natalia LL
aus Polen kam als nächste Fluxuskünstlerin im November 95 ins Frauenmuseum. Sie ist
(nach Dr. R.-Misselbeck) die bedeutendste und international renommierteste Künstlerin
Polens. Bereits in den 60-er Jahren füllten Dokumentationen ihrer "Consumption
art die Seiten internationaler Kunstzeitschriften.
Ein grundlegendes Prinzip ihrer Arbeit ist, daß ihre Fotografien keine Wirklichkeit
abbilden sondern Fiktionen sind - ein konzeptionelles Vorgehen, in der das Medium
Fotografie stellvertretend für andere künstlerische Aussagen eingesetzt wird
("Natalia LL - Katalog Dr. R. Misselbeck, Köln ´94)
Die Ausstellung von Natalia LL sorgte mehrmals für Aufregung bei verschiedenen
Besucher/Innen. Die Banane, aus der consumption art aus den 60ern wurde zu
unrecht nur als phallisches Relikt bezeichnet, denn sie ist ja nun mal weiblich!
Natalia LLs schwarz weiße grafische Altardecken (dies ist nicht die
Bezeichnung der Künstlerin) - entpuppten sich bei näherem Hinsehen als hocherotische
Arrangements, welche die ganze Scheinheiligkeit einer Gesellschaft entlarven.
Tod und Erotik wurden hier humorvoll sarkastisch miteinander verbunden.
Eine Performance zum Nibelungenlied mit musikalischen Elementen aus der gleichnamigen
Wagner-Oper verwirrte Besucher und Besucherinnen völlig - hier wurde heldenhaftes
persifliert. Schade, daß für soviele Bewußtseinserweiterung Presse und Publikum oft
nicht sensibel sind. Das Werk von Natalia LL ist wegweisend.
Marianne Tralau
ordnete sich selbst nie als Fluxuskünstlerin ein. Dies geschah zum erstenmal durch das
Fluxeum in Wiesbaden.
Nach Ihrem Kunststudium, als Gobelinweberin ausgebildet, hat die Künstlerin eine sehr
intensive Beziehung zu Textilien, insbesondere zur Wäsche. Indem die Wäsche ins
Museum kommt, emanzipiert sie sich, sagt Marianne Tralau. In unserer Gesellschaft
ist die Hausarbeit ja weitestgehend unsichtbar geworden, und somit auch die Verdienste
derjenigen, die sie verrichten.
Marianne Tralau gründete 1985 die KAOS Galerie in Köln. Ein kommunikativer kooperativer
progressiver Ort der anderen Art. Jährliche Themenausstellungen der KAOS
Galerie sorgen für frische Luft, so die Gründerin, in der Kölner
Kunstszene.
Carolee Schneemann
aus New York setzt die Fluxusreihe im Frauenmuseum im Frühjahr 1997 fort. Sie war
Tänzerin, bevor sie mit Fluxuskünstler/Innen zusammenarbeitete. 1967 veranstaltete sie
ihr legendäres meat joy erotik: rohe Fleisch wurde in Verbindung mit Erotik
gesehen. Sie stieß zu Urzeitlichem und zu den Grundschichten der menschlichen
Psyche vor ("Fluxus-Virus" - Katalog der Galerie Schüppenhauer vom
Fluxusereignis 1992 in Köln im Parkhaus am Neumarkt).
Ein Statement über Fluxus von ihr liegt meinem Vortrag bei.
Takako Saito
ist vom Anfang der Fluxusbewegung über den Tod des Fluxus (s. Performance von
Al Hansen mit gleichn. Titel) - so es den überhaupt gibt, bis heute in der Kunstszene
ständig präsent. Sie verzeichnet kontinuierliche Ausstellungs- und Performancetätigkeit
über dreieinhalb Jahrzehnte hinweg in allen Kontinenten. In der Galerie v.d. Milwe in
Aachen machte sie unlängst eine 3 Sekunden Performance. Sie ist Erfinderin
des "You and me - Shops", eine kommunikative Art des künstlerischen
Austausches. In Venedig bei der Biennale ist sie regelmäßig vertreten. Takako beteiligt
sich an weltweiten Friedensaktionen. Vor 2 Jahren gab sie ihre persönliche Zeitung
bullshit heraus.
Takako Saitos Ausstellung ist im November 1997 im Frauenmuseum zu sehen.
Gerne würde ich noch über die weiterhin geplanten Austellungen der Fluxuskünstlerinnen
sprechen, jedoch glaube ich, daß in diesem Rahmen die Zeit zu knapp ist.
Weitere der sind gewidmet:
Alison Knowles (New York), Bobby Baker (London), Concha Jerez (Madrid), Mieko Suomi (New
York), Kubota
Für Anregungen zur Erweiterung meines Fluxushorizontes bin ich dankbar.......
Über die Gründe, warum Fluxuskünstlerinnen (nicht nur in der Literatur ... sondern auch
in Museen, Kunstzeitschriften, Galerien etc.) unterrepräsentiert sind, und das trifft ja
nicht nur für diese Kunstrichtung zu, sondern auch generell in der Kunst sowie auch in
fast allen anderen Berufen fehlen in den Spitzenpositionen meist Frauen:
zb.
- kein kontinuierliches Arbeiten aufgrund abgebrochener Berufsausbildung (familiäre
Strukturen hindern daran entsprechende Abschlüsse zu machen)
- arbeiten mit Lebenspartnern und dabei Vernachlässigung der eigenen beruflichen
Entwicklung (Zuarbeit für den Partner)
- falsche Bescheidenheit/zuwenig Selbstbewußtsein, fehlendes Management und daraus
resultierende Nichtbeachtung in den Medien
- Zurückhaltende Einstellung der Medien oder Institutionen gegenüber Künstlerinnen
(wirtschaftliche Gründe - Familienphase, konventionelles eingefahrenes Denken, bisweilen
sogar Frauenfeindlichkeit auf männlicher und weiblicher Seite etc.......... (Jan Hoet,
der Ausrichter der letzten Dokumenta behauptet in einer Diskussion mit demonstrierenden
Künstlerinnen, er habe keine (Künstlerinnen) finden können und einige
wären schon gestorben. Ich hörte es selbst. Immerhin waren es aber schon 17 % während
seiner Organisation.)
- die Geschichtsschreibung in allen Bereichen, nicht nur in der Kunst ist männlich
Künstlerinnen gibt es genausoviele wie Künstler!
Das Kölner Künstler/Innen - Verzeichnis beweist es!
Zum Abschluß komme ich noch auf den Gabriele Münter Preis zu sprechen. Ausgelobt durch
Frauenmuseum, BBK und Frauenministerium will dieser Preis Künstlerinnen über 40 Jahren,
die aus den genannte Gründen z.B. nicht von den normalen Stipendien, die
meist nur bis 35 Jahre gewährt werden, eine Chance geben. Es bewarben sich bisher ca.
4000 Künstlerinnen.
Vielen Dank.
Ingeborg Broska
Düsseldorfer Str. 21
46313 Otzenrath (Jüchen)
Heimatmuseum Otzenrath
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